Stolpersteine:Auf den Spuren der Ermordeten

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Vor der Ickstattstraße 13 sind am Dienstag 13 neue Stolpersteine verlegt worden, die an ehemalige Bewohner erinnern. (Foto: Catherina Hess)

Der Künstler Gunter Demnig verlegt 21 neue Stolpersteine, die an die Opfer des NS-Regimes erinnern

Von Wolfgang Görl

Ayala Mendelson und ihre Schwester Ilana Orin sind aus San Francisco angereist, ihre Cousinen Terza Geva und Emi Reshef kommen aus in Tel Aviv. Die Glocken von St. Maximilian schlagen gerade 15 Uhr, und in diesem Augenblick stehen die vier Damen vor dem Eingangstor des Anwesens Ickstattstraße 13. Was sie von dem Haus bislang wussten, entstammte den Erzählungen ihrer Mütter. Diese waren junge Mädchen, als sie Mitte der 1930er Jahre aus München flohen, nach Palästina oder in die USA. Die Großeltern, der Kaufmann Juda Baruch Rosner und seine Frau Amalie, blieben in ihrem Haus in der Ickstattstraße. Als sie sich doch entschlossen, Nazi-Deutschland zu verlassen, war es zu spät. Juda Baruch Rosner wurde ins KZ Buchenwald deportiert und am 25. März 1942 ermordet. Rund vier Monate zuvor hatten die Nazis seine Frau Amalie Rosner in Kaunas in Litauen umgebracht.

An diesem Dienstagnachmittag stehen nun vier Enkelinnen der Rosners vor dem Haus, in dem ihre Großeltern lebten und ihre Mütter glückliche Jugendjahre verbrachten - bis Hitler an die Macht kam und allmählich die Verfolgung der Juden und anderer Minderheiten begann. Während Nikola David, der Kantor der jüdischen Gemeinde Beth Shalom, in der gleißenden Junisonne einen Psalm singt, klopft der Kölner Künstler Gunter Demnig, schweißgebadet vor der Eingangsschwelle knieend, die 13 Stolpersteine fest, die er soeben in eine Fuge auf dem Boden einzementiert hat. Sie erinnern an die jüdischen Bürger, die in diesem Haus gelebt haben und ermordet wurden oder fliehen mussten.

"Heute ist ein sehr emotionaler Tag", sagt Terry Swartzberg, der Vorsitzende des Vereins "Stolpersteine für München". "Ein Tag der Trauer, weil es um das Gedenken an unschuldig ermordete Menschen geht, aber auch ein Tag der Freude." Diese hat Gunter Demnig ausgelöst, auf dessen Idee diese Art der Erinnerungskultur beruht. Da die Stadt München keine Stolpersteine auf öffentlichem Grund duldet, können sie nur auf privatem Gelände verlegt werden. Vor dem Hauseingang in der Ickstattstraße zum Beispiel, oder bei den Anwesen Herzog-Heinrich-Straße 5 und Römerstraße 7, wo Demnig am Dienstag weitere acht Stolpersteine zum Gedenken an die einstigen Bewohner in den Boden einließ.

Tirza Geva sagt in ihrer Ansprache, dass sie das Gefühl habe, sie wandle gerade in den Spuren ihrer Mutter. Durch dieses Tor sei sie gegangen, hier habe sie gespielt, und diese Straßen habe sie passiert. So ähnlich geht es auch ihrer Cousine Ayala Mendelson, als sie im Treppenhaus des mehrstöckigen Gebäudes steht. Sie hatte es nie zuvor gesehen, und doch kannte sie es. Die Mutter hat davon erzählt, wie sie als junges Mädchen emporgestürmt ist, zwei und manchmal drei der Holzstufen überspringend. Und vom dunklen Keller hatte sie auch erzählt, dort, wo die Vorräte lagerten und es kühl und auch ein bisschen unheimlich war. Es muss damals fröhlich zugegangen sein in der Familie Rosner. Vier Töchter hatten sie und einen Sohn, alle sehr musikalisch. Tirza Geva zeigt ein Bild der Großeltern: Zwei ältere Menschen, die ernst in die Kamera blicken. Das Foto, erzählt die Enkelin, wurde aufgenommen, als sich die Mädchen verabschiedeten. Juda Baruch Rosner war so klug, seine Kinder ins Ausland zu schicken, solange es noch ging. Er ahnte, was kommen würde, und blieb dennoch.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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