Fulvio Marino isst sein Stück Pizza so schnell, dass es beinahe so wirkt, als würde er es hinter sich bringen wollen. Er kann das allerdings machen, ohne den Koch zu beleidigen. Der 32-jährige Bäcker und Müller aus dem Piemont hat die Pizza schließlich selbst gebacken. Und den Teig entwickelt. Er muss nebenbei am Mittwochabend im Eataly in der Schrannenhalle an seinem neuen Stand viel erzählen, da bleibt kaum Zeit zum Kauen. Marino, ein schmaler Mann mit ausladender Gestik, gilt in seiner Heimat als der Pizzateig-Experte schlechthin. Ein Gespräch über falsche Zutaten, deutsche Brotqualität, die Gründe, warum er uralte Getreidearten einsetzt, und die Frage, wie man den besten Pizzateig hinbekommt.
SZ: Herr Marino, wie wird man denn Teig-Experte?
Fulvio Marino: In meiner Familie sind wir in dritter Generation Müller. Angefangen hat 1956 mein Opa, dann kamen mein Vater und mein Onkel. Mein Bruder, ein Cousin und ich sind auch Müller. Ich kümmere mich aber auch um Brot und Pizzateig.
Wie kamen Sie dazu?
Mit 14 habe ich angefangen, Teig herzustellen. Ich hatte als Müllersjunge jeden Tag nach der Schule mit unterschiedlichen Bäckereien zu tun, die alle ihren eigenen Teig gemacht haben. Da konnte ich schnell viel lernen. Später habe ich dann erkannt, dass man bei der Teigherstellung vieles optimieren konnte, gerade beim Mehl.
Mehl ist nicht gleich Mehl?
Nein! Es gibt Dutzende Unterschiede. Und die schmeckt man auch. Es geht damit los, woher der Weizen kommt. Von welchem Bauern und welcher Region. In Italien gibt es zum Beispiel im Süden sehr hartes Weizenkorn, das sich als Mehl fast wie Sand anfühlt, im Norden sehr weiches, das ganz weiß ist und eher dem entspricht, wie man sich hier Mehl vorstellt. Das liegt am Boden und dem Klima. Im Norden, mit weniger Sonne und mehr Regen, ist das Korn eben weicher.
Welcher Weizen ist besser?
Beide. Es kommt ganz darauf an, wofür man das Mehl einsetzt. Der harte Weizen ist gut für manche Brotarten, aber vor allem für Pasta. Die weichen Sorten hingegen eigenen sich vor allem für alle Produkte, bei denen Hefe eingesetzt wird. Pizzateig zum Beispiel.
Das ist eine entscheidende Frage: Wie macht man richtig guten Pizzateig?
Da eröffnet sich natürlich eine weite Welt. Italien hat ja verschiedenste Teigsorten, es gibt verschiedenste Pizza-Typen. Pizza Napoletana, Pizza Romana zum Beispiel.
Pizza Napoletana ist die Pizza, die man hierzulande vor allem kennt.
Exakt. Sie ist rund und wird in einem Holzofen bei einer hohen Temperatur für kurze Zeit gebacken. Dann gibt es noch die pizza al taglio, die in einer Art Auflaufform gebacken und dann in Stücke geschnitten wird. Oder Romana, das ist die Art, die wir backen, länglich wie ein Baguette und heißt auch alla pala. Weil sie mit einer Holzschaufel, der pala, in den Ofen bugsiert wird. Anschließend liegt sie direkt auf dem Steinboden des Ofens. Eine Pizza-Art, die von der Brotherstellung kommt. So eine Pizza hat einen dickeren Teig als eine napoletanische, wird länger und bei geringerer Temperatur in einem Brot-Ofen gebacken und enthält mehr Wasser. Dafür ist da kein Öl im Rezept, nur Wasser, Mehl, Salz und Hefe. Der Boden ist dann ganz kross beim Abbeißen.
Ein durchaus komplexes Thema. Worauf muss man beim Mehl achten?
Das beste Mehl ist eines, das in einer Steinmühle hergestellt wird und nicht industriell.
Warum?
Weil bei einer richtigen Steinmühle etwas mehr vom Korn erhalten bleibt, gröbere Teile, die einen kräftigen und guten Geschmack haben und die bei industrieller Herstellung entfernt werden. Gerade für die Pizza zu Hause ist das wichtig. So ein Mehl heißt zum Beispiel Buratto und ist mit weichem Weizen hergestellt. Oder es gibt das Enkir-Mehl.
Was ist das?
Enkir, also Einkorn, ist das erste Getreide, das vom Menschen kultiviert wurde, in Mesopotamien. Es hat einen wunderbaren Geschmack, macht den Teig etwas gelb und enthält viel Vitamin A. So ein Teig hat eine ganz leichte Süße. Ich mische aber auch verschiedene Mehlsorten für neue Geschmäcker.
Die Zutaten sind klar. Wie mache ich daraus den perfekten Teig?
Technik und Tempo sind entscheidend. Nehmen Sie ein Kilo Mehl Buratto, dazu 600 Milliliter Wasser und zehn Gramm Hefe, frische Bierhefe. Das mischen Sie zehn Minuten mit den Händen, bis der Teig gut gemischt ist, dann geben Sie 20 Gramm Salz und noch ein bisschen Wasser dazu, dann: weiterkneten. Zehn Minuten. Bis der Teig glatt wird. Dann noch einmal 100 Milliliter Wasser, so dass man auf insgesamt etwa 700 Milliliter kommt. Kneten. Dann kommt der Teig für eine Nacht in das Gefrierfach. Acht Stunden etwa.
Das ist aber kein Feierabend-Schnellrezept. Warum ins Gefrierfach?
Dabei arbeitet die Hefe weniger, die Enzyme im Teig aber schon. Anschließend nehmen Sie den Teig raus und lassen ihn eine Stunde auftauen, rollen ihn in einer Form aus und lassen ihn noch einmal zwei bis drei Stunden gehen. Dann kommt etwas Öl und grobes Salz drauf und ab in den Ofen. Der läuft dann ohne Umluft bei 250 Grad für etwa 35 Minuten.
Welche Fehler kann man machen?
Zu viel Hefe, zu wenig Wasser, zu kurz gehen lassen und bei zu geringer Temperatur backen.
Sie als Bäcker können sicher auch erklären, warum die Auswahl an Brot in Italien so übersichtlich ist, eigentlich gibt es nur Weißbrot in verschiedenen Formen.
Das stimmt, aber es ändert sich gerade. Mir schmeckt das deutsche Brot am besten. Roggen zum Beispiel. Der Grund, warum es in Italien so viel Weißbrot gibt, ist einfach: Erstens ist es leichter herzustellen, und das Mehl dafür ist billiger. Es kostet ein Drittel im Vergleich zu dem Buratto-Mehl.
Also könnten die Deutschen von Italien das Pizza-Backen lernen, die Italiener umgekehrt aber das Brot-Backen.
Exakt so ist es.
Noch mal zur Pizza. Bislang haben wir ja nur den Teig, was kommt am besten drauf?
In Italien ist die Mode derzeit, wenig draufzulegen, dafür mit bester Qualität. Zum Beispiel Wilden Lattich, Rosinen, Pinienkerne und Spanferkel. Oder Schinken, Gorgonzola und Haselnuss. Im Prinzip geht fast alles, außer Ananas.
Wenn Ananas drauf müsste, wie würden Sie das auffangen?
Daran will ich gar nicht denken! Aber gut, wenn es sein muss, dann einen Bauchspeck, Pancetta, etwas Fettes, und das nur auf einer weißen Pizza, ohne Tomaten.
Schon mal bei Pizza Hut oder Domino's Pizza in den USA gewesen?
Ja. Man muss einfach sagen: Das sind zwei verschiedene Welten. Beide heißen zwar Pizza, aber es ist ein bisschen wie bei den Autos: Es gibt hässliche Modelle - und es gibt wunderschöne.