Gartenarbeit:Ein Kasten Helles, ein Kasten Wasser und zwei Säcke Pflanzerde

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Familie Bachfisch ist schon fleißig im Garten. (Foto: Stephan Rumpf)

An manchen Tagen ist das alles, was man zum Glück braucht. Das zeigt ein Besuch bei den Kleingärtnern der Stadt.

Von Julian Hans

An manchen Tagen ist alles, was man zum Glück braucht, ein Kasten Helles, ein Kasten Wasser und zwei Säcke Pflanzerde. Ahmet Seval hat alles in seine Schubkarre geladen und schiebt sie vergnügt durch den knirschenden Kies im Kleingartenverein NW 06 "Familienhilfe", den Sonnenhut auf dem Kopf. München erlebt sein erstes warmes Frühlingswochenende, nebenan im Luitpoldpark haben die Yogis ihre Matten ausgebreitet; irgendwie übt jeder Münchner an diesen Tagen den Sonnengruß auf seine Weise.

Für Seval ist es der erste Frühling als Kleingärtner. Im Oktober endlich hat der 63-Jährige nach langem Warten den Zuschlag für eine Parzelle bekommen. Die ganze Familie ist voll Tatendrang, das Gartenhäuschen soll gestrichen werden, die Beete werden vom Unkraut befreit. Bald ist es Zeit für die Aussaat im Gewächshaus, aber noch sind die Nächte frostig. Sevals Tochter Aylin war vor einer Woche sogar extra auf der Gartenmesse, um sich Anregungen zu holen. "Aber wir fangen jetzt erst einmal klein an, mit Tomaten", sagt sie.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Im Garten spüre man am besten, mit welcher Kraft sich die Natur im Frühling Bahn bricht, sagt Dirk Feike.

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"Wenn alles schön blüht, dann passt's", findet auch Josef Bogner, hier mit seiner Frau Angela.

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Im Kleingartenverein "Familienhilfe" am Luitpoldpark haben sich am Wochenende Münchner getroffen, die lieber in der Natur sind als im Internet. Zum Beispiel Achmed Seral und Familie.

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Auch Rosa und Thomas Bachfisch mit Tochter Emilia sind fleißig.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Und Dietmar Schmidt hat schon die Gartenkralle in der Hand.

Ein bisschen ist das Ganze für den Rentner Seval auch eine Reise in die Kindheit. Als er klein war, war seine Geburtsstadt Istanbul noch nicht die Millionenmetropole, die sie heute ist. "Da waren überall Gärten", erinnert er sich. "Wir haben bei den Nachbarn das Obst von den Bäumen geklaut. Da wuchsen Pfirsiche und Melonen. Heute ist da nur noch Beton." Vor 48 Jahren ist er nach München gekommen, "wir sind praktisch im Luitpoldpark aufgewachsen", erinnert sich seine Tochter. Sie haben längst Wurzeln geschlagen, jetzt wollen sie auch selbst etwas pflanzen.

Man kann den Frühling riechen und schmecken und spüren an diesem Wochenende. Den über Monate fast vergessenen Geruch von gegrilltem Fleisch, das erste Weißbier in der Sonne, die Hände in der kühlen, feuchten Erde eines frischen Beetes.

"Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Kraft sich nach dem Winter die Natur durchsetzt", sagt Dirk Feike. Der 75-Jährige kniet auf der Erde und lockert sein Beet mit einer kleinen Pflanzschaufel auf. "Wenn man sonst so im Büro hockt, ist das genau das Richtige", findet er. Sein Nachbar steht auf der Leiter und fegt mit dem Handbesen das alte Laub aus der Regenrinne. Rollstühle werden durch den Park geschoben, die Greise noch warm eingepackt in Daunen. Vom Biergarten dringt Schlagermusik herüber.

Dietmar Schmidt hat seine Parzelle direkt neben dem Wirtshaus Zum Brunnergarten. Die Tische und Bänke sind voll an diesem Nachmittag. Die Musik und der Lärm der Gäste stören ihn nicht, sagt der 79-Jährige. Nur manchmal singen Alleinunterhalter anzügliche Lieder, das mag er nicht. Aber die Obstbäume gehen davon auch nicht ein. "Im Herbst habe ich 55 Kilo Quitten geerntet." So viel konnte seine Frau gar nicht einkochen. "Die haben wir großzügig verteilt." Jetzt lockert er schon mal das Erdbeerbeet auf.

"Frühlingsgefühle? Also ich hab keine!", sagt Josef Bogner. Er hat sich mit seiner Frau Angela vor sein Gartenhäuschen in den Schatten gesetzt. "Sonst kriegt man ja gleich einen Sonnenbrand", sagt er. Er sei fast jeden Tag hier, berichtet der 79-Jährige, egal zu welcher Jahreszeit. Im Winter geht er spazieren, räumt den Schnee weg, sieht nach, dass nirgendwo eingebrochen wurde. Vor einem Jahr hätten Obdachlose die Tür zu ihrem Gartenhäuschen aufgehebelt, erzählt Angela Bogner. Geklaut haben sie nichts, aber sie haben in der Hütte übernachtet. "Die haben ins Geschirr gepinkelt, wir mussten alles wegwerfen."

Vor zehn Jahren musste in der Kleingartenanlage NW 06 am Luitpoldpark der Boden ausgetauscht werden, weil krebserregende Stoffe gefunden wurden. Damals haben viele Pächter aufgegeben, weil sie sich zu alt fühlten, um noch einmal alles von vorn aufzubauen. Die Bogners sind dabei geblieben. Sie sind Kleingarten-Traditionalisten. Um die Bäumchen im Vorgarten tanzt ein Reigen von Gipszwergen und -enten auf dem sauber getrimmten Rasen. "Wenn alles so schön blüht, dann passt's", fasst Josef Bogner seine Schrebergarten-Philosophie zusammen.

Dass in der Anlage NW 06 ein Kulturwandel im Gange ist, kann man am Rucola ablesen. Bei Bogners käme das bittere Kraut sicher nicht ins Beet. Familie Bachfisch aber freut sich, dass der Salat wie von selbst wächst. "Der ist wie Unkraut - einmal gepflanzt wird man ihn nicht mehr los", sagt Rosa Bachfisch. "Und die Schnecken hält er auch ab." Zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter hat sie den Tag im Freien genossen: "Endlich Sonne", sagt sie. Aber jetzt geht sie hinter dem Fernsehturm unter, Frau Bachfisch fröstelt und sie packen ein.

Drüben im Park studieren zwei Mädchen Hip-Hop-Schritte ein. Ein Gitarrist übt Flamenco: "Mediterranean Sundance" von Al Di Meola. Aber das geht dann fast schon ein bisschen zu weit, selbst an diesem sonnigen Wochenende.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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