Ganztagsklassen:Tanz den Terror

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Die Schüler der Guardini-Mittelschule sind für eine Performance ausgezeichnet worden, die sie in Kooperation mit dem NS-Dokuzentrum umgesetzt haben. Solche Bildungspatenschaften werden seltener - weil es in München kaum Interesse am Ganztagsunterricht gibt

Von Melanie Staudinger

Bühne frei: Die Achtklässler der Mittelschule an der Guardinistraße haben für ihr Theaterprojekt "Stranger than" einen bundesweit ausgeschriebenen Preis erhalten. (Foto: Orla Connolly/OH)

Was passiert, wenn aus Nachbarn plötzlich Fremde werden, wenn man ausgegrenzt, nicht mehr toleriert wird? Mit diesem Thema haben sich 22 Achtklässler der Mittelschule an der Guardinistraße in Hadern ein Jahr lang beschäftigt. Sie besuchten Gedenkstätten, Ausstellungen, Theaterstücke. Sie befragten Zeitzeugen, die den Terror der Nationalsozialisten überlebt haben. Sie recherchierten in Archiven, sprachen über ihr eigenes Leben. Daraus entwickelte sich in Kooperation mit dem Verein "Spielen in der Stadt" und dem NS-Dokuzentrum die Tanz-Theater-Performance "Stranger than", die jetzt mit dem "Mixed Up"-Preis, einem bundesweiten Wettbewerb für kulturelle Bildungspatenschaften, ausgezeichnet wurde.

"Das war schon sehr außergewöhnlich für alle Beteiligten", sagt Alexander Wenzlig, der Vorsitzende von Spielen in der Stadt. Denn normalerweise sieht die Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus anders aus in bayerischen Schulen. Die Haderner Schüler besuchen eine Ganztagsklasse und haben dementsprechend mehr Zeit. Sie lernten nicht nur Jahreszahlen und Kriegsschauplätze auswendig, sondern näherten sich dem Thema insgesamt auf ihre eigene Weise, mit Mitteln der Kunst, des Theaters, mit Tanz, Musik und Film.

Die Jugendlichen stammen aus neun Nationen, einige von ihnen sind selbst vor Terror und Krieg geflohen. Gemeinsam wollten sie erforschen, wie und warum junge Menschen andere ausgrenzen - heute und in der Nazi-Zeit. "Das Projekt zeigt, wie eine gelungene Kooperation im Ganztag aussehen kann", sagt Wenzlig. Die Schule liefere die Grundkenntnisse, die NS-Zeit steht im Lehrplan für die achten Klassen. Das NS-Dokuzentrum biete einen authentischen Zugang für die Vermittlung des Themas, die Tanz- und Theaterpädagogen von Spielen in der Stadt kümmerten sich um die Umsetzung.

Die Zusammenarbeit mit der GuardiniSchule ist eine von sieben Kooperationen, die Spielen in der Stadt mit Schulen unterhält und dort im Rahmen des Ganztagsunterrichts pädagogische Angebote macht. Die liefen seit Jahren erfolgreich, berichtet Wenzlig. Neue Schulen aber nimmt der Verein nicht mehr auf. Zu hoch sei der Verwaltungsaufwand, zu gering die finanzielle Förderung, die der Freistaat vorsieht. 6700 Euro bekommen Vereine wie Spielen in der Stadt - für ein komplettes Schuljahr mit insgesamt 38 Wochen. Damit könnten schon die Pädagogen kaum angemessen bezahlt werden. Das Budget soll aber darüber hinaus auch reichen, um Kosten für Verwaltung und Organisation abzudecken. "Wenn wir Projekte machen wollen, müssen wir also so gut wie immer zusätzliche Drittmittel einwerben", sagt Alexander Wenzlig.

Nicht nur der Verein Spielen in der Stadt sieht den Ganztagsunterricht in München als gefährdet an. Andere Organisationen wie die Innere Mission oder der Kreisjugendring haben sich bereits zurückgezogen. Nur jeder zehnte Grundschüler besucht momentan eine der 222 Ganztagsklassen an 55 Standorten. Und auch die Eltern reagieren zurückhaltend: Zwar wünschen sich knapp 90 Prozent ein ganztägiges Angebot, doch nur ein gutes Drittel davon würde sein Kind in einer gebundenen Ganztagsklasse anmelden, in der sich Lern-, Spiel- und Erholungsphasen am Vormittag und Nachmittag abwechseln. Im laufenden Schuljahr konnten vier beantragte Ganztagsklassen nicht genehmigt werden: Das Interesse war zu gering.

Das Netzwerk Ganztagsbildung, dem mehr als 500 Träger der außerschulischen Bildungsarbeit, Schulleitungen, Lehrer, Sozialarbeitern sowie Eltern- und Schülervertretungen in München angehören, will den Negativtrend stoppen. Anfang des kommenden Jahres plant die Initiative, einen neuen Anlauf. Ein Positionspapier im Jahr der Landtagswahl soll Landes- und Stadtpolitiker aufwecken - damit auch künftig Projekte wie "Stranger than" möglich bleiben, wie Wenzlig sagt.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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