Tanztheater in Fürstenfeldbruck:Kommunikation der Widersprüche

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Ekstatisch: Die Vertigo Dance Company im Veranstaltungsforum Fürstenfeldbruck. (Foto: Robert Haas)

Der Vertigo Dance Company aus Israel gelingt der Spagat zwischen anspruchsvoller Materie und sinnlicher Umsetzung.

Von Jörg Konrad, Fürstenfeldbruck

In der Kunst gilt es Gegensätze zu überwinden. Oder: Das Ziel der Kunst ist die Kommunikation zwischen unvereinbar erscheinenden Widersprüchen. Kommt eine Interaktion nicht zu Stande, bleiben Probleme existent. Wobei zu beachten ist, dass der Wille zur Verschiedenartigkeit, trotz aller Bereitschaft zum Konsens, seine Originalität nur bis zu einem gewissen Grade aufgeben darf.

Es sind dies temporär relevante und aktuelle Themen, vor allem in einer überwiegend durch Selbstspiegelung gekennzeichneten Gesellschaft. Dieses Ausloten von individuellen Grenzen und gesellschaftlichen Freiräumen ist Inhalt des Stückes "One. One & One" der israelischen Vertigo Dance Company, die kürzlich im Veranstaltungsforum Fürstenfeld zu Gast war. Die Handlung: Wie schaffe ich es, meine Individualität auszuleben und andererseits als ein Teil des Ganzen akzeptiert zu werden? Wie kann ich enge Beziehungen eingehen und dabei in meiner Persönlichkeit doch unangreifbar bleiben?

Für diesen Weg der Erkenntnis scheint der Tanz in seiner metamorphorischen Körperlichkeit wie geschaffen. Noa Wertheim und ihre Tänzerinnen und Tänzer haben Gleichnisse und Lösungsmodelle in ihr Programm eingebaut, um dieses scheinbare Paradoxon sichtbar werden zu lassen. Sicher, manches kommt einer freien Suggestion recht nahe. Emotionen dem Unbewussten anheim geben und einfach in Bewegungen umsetzen. Aber was wäre Tanz ohne Choreographie? Und ohne Musik?

Die Mitglieder der Vertigo Dance Company durchpflügen ekstatisch die Luft, wirbeln wie Eiskristalle im Sturm über die Bühne, umkurven halsbrecherisch, aber kontrolliert ihre Partner, explodieren wie Dynamit und erstarren in Sekundenbruchteilen, sie beugen und strecken sich virtuos und finden in kontemplativer Ruhe zu sich selbst. Es geht um menschliche Distanz und Nähe, um Herausforderung und Erfüllung, Leben zwischen Haltung bewahren und sich Gehen lassen.

Der Vertigo Dance Company gelingt dieser immense Spagat zwischen anspruchsvoller Materie und sinnlicher Umsetzung beeindruckend. Die mit Wüstenstaub bedeckte Bühne deutet eine flüchtige Bodenständigkeit an, mit sich ständig ändernden Strukturen. Es sind dies die Spuren individueller Konsequenz, auch als eine getriebene Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Ist der Mensch nun Einzel- oder Gruppenwesen? Und so bewegt sich das Ensemble zeitweise geschlossen wie ein wogendes Schiff auf dem stürmischen Ozean, bis sich die einzelnen Tänzer wieder in individuellen Figuren offenbaren und verlieren und damit ihren autarken Charakter unterstreichen.

Die Musik zu diesem tanzenden Schauspiel stammt von Avi Belleli, einem israelischen Sänger, Bassisten und Komponisten. Sie ist als intuitiv/rhythmische Grundlage eine Mischung aus Soundsacpes in Form von Feldaufnahmen, elektronischen Samples, Jazz, Rock Riffs, Folklore und berührender Kammermusik. Sie unterstützt und evoziert die Bewegungen und Befindlichkeiten, schafft Räume und verstärkt Emotionen. Und begleitet die Tänzer auf den Schwingen individueller Herausforderung und Kreativität.

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