Schutzengelkirche:Weihnachten im Schatten des Krieges

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Begleitet von Pfarrer Joseph Vijay Kumar Nanduri bringt die zehnjährige Luisa die Friedenstaube zum Altar. (Foto: Günther Reger/Günther Reger)

Bei der orthodoxen Feier für die Menschen aus der Ukraine kommt in Eichenau trotz der schwierigen Umstände eine festliche Stimmung auf. Es gibt traditionelles Essen und Geschenke für die Kinder.

Von Clara Dünkler, Eichenau

Ihr Kleid ist mit glitzernden Steinchen besetzt. Bei jedem Schritt, den die zehnjährige Luisa durch den Mittelgang der Eichenauer Schutzengelkirche macht, funkelt ihr Festtagsoutfit. Mit beiden Händen hält sie den Griff des Korbes fest umschlossen. Über seinen Rand lugt der Kopf einer bronzenen Taube, die gebettet auf einer ukrainischen Flagge von Luisa Richtung Altar getragen wird. Von dort aus wird die von dem Künstler Richard Hillinger geschaffene Friedenstaube den Weihnachtsgottesdienst überblicken, der für die hier lebenden, aus der Ukraine geflohenen Menschen an diesem Samstag anlässlich des orthodoxen Weihnachtsfestes organisiert worden ist.

Ukrainische Kriegsflüchtlinge begehen im Januar in der Eichenauer Schutzengelkirche ihr orthodoxes Weihnachtsfest. Dort entdeckt Günther Reger die Friedenstaube, eingehüllt in die ukrainische Staatsflagge. Zwei Monate später verabschiedet sich Günther Reger in den Ruhestand. (Foto: Günther Reger)

Das in der Ukraine verbreitete orthodoxe Christentum feiert das Fest zu Christi Geburt nämlich erst am 6. und 7. Januar und nicht wie viele in Deutschland schon Ende Dezember. Die Schutzengelkirche ist zur Hälfte gefüllt, etwa 70 Menschen sind gekommen. Pfarrer Joseph Vijay Kumar Nanduri begrüßt die Anwesenden und heißt sie zu ihrem ersten Weihnachten in Eichenau willkommen. Es sei nicht einfach gewesen, die richtigen Worte zu finden, da der Anlass zugleich traurig und freudig ist. Die Geflohenen seien hier zwar in Sicherheit, dass sie durch den Krieg zur Flucht gezwungen worden seien, jedoch schrecklich. Er fordert die Zuhörenden auf, trotzdem dankbar und hoffnungsvoll zu sein, soweit ihnen das möglich ist. Seine Worte werden von Luisas Mutter, Inna Valuieva, auf Ukrainisch übersetzt. Sie stammt aus dem Osten des Landes und lebt selbst schon seit elf Jahren in Deutschland. Ihre Eltern jedoch erst seit der Krieg begonnen hat. Sie sitzen jetzt in der ersten Reihe. Jedes Mal, wenn seine Tochter spricht, zückt der Vater stolz sein Smartphone und filmt.

Inna Valuieva übersetzt die Worte des Pfarrers ins Ukrainische. Sie lebt seit elf Jahren in Deutschland. (Foto: Günther Reger)

Nach dem Gottesdienst findet eine Weihnachtsfeier im angrenzenden Pfarrgebäude statt. Im ersten Stock ist schon alles vorbereitet. Die Tische sind festlich eingedeckt. Miniatur-Tannenbäume leisten Schneekugeln und Lebkuchen Gesellschaft. Die Dekoration sei für die Veranstaltung gespendet worden, erzählt Gerd Sonnenberg, einer der Organisatoren. Die Gäste könnten sie nach der Feier einfach mitnehmen. Auch habe man sehr viele Geschenke für die ukrainischen Kinder bekommen. Allerdings eher für die Jüngeren. Deswegen gibt es für die älteren einen Wettbewerb. In Dreiergruppen sollen Puzzle mit 1000 Teilen möglichst schnell gelöst werden. Schon jetzt freut sich der 83-jährige verschmitzt: "Die Gewinner bekommen Geld, dann können sie sich was Schönes kaufen." Das sei doch besser, als ein Geschenk, mit dem man nichts anfangen könne.

Etwa 70 Besucherinnen und Besucher sind gekommen, um den Weihnachtsgottesdienst zu feiern. (Foto: Günther Reger)

Sonnenberg hat eine besondere Verbindung in die Ukraine und fühlt sich den Geflüchteten verbunden. Vor einigen Jahren wohnte ein Austauschschüler aus Kiew bei ihm, mit dem er bis heute Kontakt hat. Der heute 21 Jahre alte Medizinstudent schreibe Sonnenberg jeden Abend eine E-Mail wie es ihm gehe und berichtet über die momentane Lage. Er sei also immer auf aktuellem Stand. Dann muss Sonnenberg auch schon wieder weiter, man verlangt nach ihm.

Der Großteil der Anwesenden sind ukrainische Kriegsgeflüchtete

Das Buffet ist eröffnet. Hier gibt es nicht nur Plätzchen, sondern auch eine große Variation an Kuchen. Hektisch werden der Kaffee zubereitet, Plätze gesucht und Teller mit Leckereien beladen. Eine davon nenne sich Kutja, eine Süßspeise aus Weizen, Rosinen, Honig und Mohn, die in der Ukraine zu Weihnachten einfach dazugehöre. Valuieva erklärt, dass erst nach drei Löffeln Kutja die restlichen Speisen gegessen werden dürften. Sie glaube, dass das ursprünglich mit der in der orthodoxen Kirche auch vor Weihnachten üblichen Fastenzeit zusammenhängt, die mit dem Kutja-Essen beendet wird. So ganz sicher ist sie jedoch nicht. Lachend lehnt sie sich zu ihrer Mutter und fragt schnell auf Russisch die Expertin. Die nickt bestätigend. "Ich selbst habe schon lange kein orthodoxes Weihnachten mehr gefeiert", entschuldigt Valuieva sich.

Süßspeisen gehören fest zum ukrainischen Weihnachtsfest dazu. (Foto: Günther Reger)

Der Großteil der Anwesenden sind ukrainische Kriegsgeflüchtete. Nur wenige der restlichen Ortsbewohner- und bewohnerinnen sind gekommen. Das sei schade, bedauert Hans Ponath. Der Eichenauer ist gemeinsam mit Ehefrau Gisela Hötker-Ponath hier, um die Möglichkeit zu nutzen, mit Menschen aus der Ukraine in Kontakt zu kommen. Dieses Vorhaben habe gut funktioniert, freuen sie sich. Mit ihren ukrainischen Tischnachbarinnen seien sie gleich ins Gespräch gekommen und Telefonnummern wurden bereits ausgetauscht.

Plötzlich wird es laut im Raum. Der Puzzlewettbewerb wurde soeben eröffnet. Während die Älteren aufgeregt die Teilchen vor sich ausbreiten und ihr Geschick unter Beweis stellen, bekommen die jüngeren Kinder ihr eigenes Programm. Buntstifte stehen bereit und auf großen Blättern können Friedenstauben ausgemalt werden. Die sechsjährige Emilia ist schnell fertig. Symbolträchtig hat der Vogel jetzt ein blaugelbes Gefieder. Sie zeigt ihr Kunstwerk ihrer Mutter Nataliia Boroshniuk. "Alle wünschen sich Frieden, aber das hängt nicht nur von uns ab", sagt Boroshniuk. Seit März 2022 ist sie mit ihrer Tochter in Deutschland. Die beiden stammen aus Wischgorod, das seit 20 Jahren Partnerstadt Eichenaus ist. Dieses Weihnachten fühle sich ungewöhnlich an, eigentlich würden sie jetzt mit der ganzen Familie am Tisch sitzen. Das heißt auch mit den Großeltern und den Männern der Familie. Nur die Mütter mit den Kindern seien geflohen. "Aber es ist besser hier zu sein, als jetzt in der Ukraine im Keller zu sitzen", fügt Olena Vasylyshena hinzu. Auch sie ist seit März vergangenen Jahres mit ihren beiden Kindern in Eichenau. Ursprünglich komme sie aus Winnyzja, einer Stadt im Zentrum der Ukraine. Sie würden versuchen ihre Soldaten zu unterstützen. Vasylyshenas 74-jähriger Vater habe sich freiwillig als Fahrer gemeldet.

"Es gibt keinen Plan, keine Regeln, das ist der Krieg."

Putins angekündigter Weihnachtsfrieden auf Zeit lässt die beiden Frauen nur bitter auflachen. Er sei ein Lügner, schon jetzt haben sie Nachrichten erhalten, dass auch von russischer Seite geschossen werde. Man könne nur noch von Tag zu Tag leben. Mehrmals habe Vasylyshena schon geplant, ihre Familie zu besuchen, da für einige Zeit keine Bomben gefallen waren. "Und dann ruft meine Mutter an und sagt sie schießen wieder. Es gibt keinen Plan, keine Regeln, das ist der Krieg."

Um sich mehr von Russland zu distanzieren, wollen viele das orthodoxe Weihnachtsfest in der Ukraine nach vorne verschieben und schon am 24. und 25. Dezember feiern. Diese proeuropäische Strömung finden auch die beiden Ukrainerinnen sinnvoll. Allerdings werde das vermutlich noch eine Weile dauern, da vor allem die älteren Generationen weiterhin Anfang Januar feiern wollen. Aber dann gebe es Weihnachten einfach zweimal, lachen die beiden.

Nach dem Gottesdienst feiern die Besucherinnen und Besucher gemeinsam im Pfarrgebäude. (Foto: Günther Reger)

Nicht nur das Datum unterscheidet sich zu dem in Deutschland gefeierten Fest. Zwar bringt auch in der Ukraine der Weihnachtsmann die Geschenke, allerdings nicht an Heiligabend, sondern an Neujahr. Überhaupt wird der Jahreswechsel größer gefeiert, als Weihnachten. Da gibt es normalerweise nur Süßigkeiten. Emilia freut sich natürlich trotzdem über den Kuscheltierelch, den sie bekommen hat. Sie macht es sich neben Luisa gemütlich, die schon bei ihrer Oma sitzt. Gleich wird eine Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Es geht um einen Jungen, der gemeinsam mit seinem Hund versucht, den Teufel zu überzeugen, den gestohlenen Weihnachtsstern zurück zu geben. Erst wenn dieser am Himmel erscheint, dürfen die drei Löffel Kutja gegessen werden und erst dann kann Weihnachten losgehen. Als der Teufel von den Konsequenzen seines Diebstahls erfährt, zeigt er sich einsichtig und gibt den Stern freiwillig zurück. Auch er möchte Weihnachten feiern.

Für die Kinder und Jugendlichen gibt es kleine Geschenke. (Foto: Günther Reger)

Draußen ist es schon dunkel, als die Gewinner und Gewinnerinnen des Puzzlewettkampfs endlich feststehen. Vasylyshenas 16-jähriger Sohn wedelt freudig mit dem Umschlag. 30 Euro hat er ergattern können. Die Lichterkette am Tannenbaum wird eingeschaltet und obwohl die Kuchenteller noch nicht leer gegessen sind, wird schon abgeräumt. Nahtlos schließt sich die nächste Mahlzeit an. Mindestens zwölf verschiedene Gerichte gehören auf die ukrainische Festtafel, das meiste seien Schinken- und Wurstplatten, erklärt Valuieva.

Auf der Fensterbank sitzt die Friedenstaube in ihrem blaugelben Nest und betrachtet das Geschehen. Sie ist eine von 30 Tauben, die Hillinger 2008 anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten Nationen schuf. Diesem Exemplar ist der Palmzweig aus dem Schnabel gefallen.

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