Kultur:Raus aus der Diskurs-Spirale

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Der russische Oppositionelle Konstantin Bakhilin ist erst in die Ukraine und nach Kriegsbeginn nach Deutschland geflohen. (Foto: Privat)

Das Theaterprojekt "Vom Paradies sieht man die Hölle nicht" bringt Menschen zusammen, die vom Krieg in der Ukraine betroffen sind, um den immer gleichen Blick auf den Konflikt zu weiten.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Es ist diese immer gleiche Diskurs-Spirale über den Krieg in der Ukraine, die das Theaterprojekt mit dem so poetischen wie erschütternden Titel "Vom Paradies sieht man die Hölle nicht" durchbrechen will. "Man schaut am Sonntag Anne Will und sieht die immer gleichen weißen Deutschen und vielleicht noch Melnyk, die über die Betroffenen diskutieren. Diese klassische europäische und weiße Supremacy", sagt der gebürtige Brucker Theatermacher und Schauspieler Tim Freudensprung. Gemeinsam mit dem Theaterautor George Jamburia hat er deshalb das Projekt entwickelt, das die beiden als "dokumentarische Stückentwicklung" bezeichnen. Zu sehen ist es Mittwoch und Donnerstag im Alten Schlachthof.

Svitlana Dus und ihre Familie sind dem Krieg in ihrer ukrainischen Heimat nur durch einen Zufall entgangen. (Foto: Privat)

Um eine authentische Perspektive auf den Ukrainekrieg zu ermöglichen, bringen sie vier Menschen zusammen, die in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlicher Intensität davon betroffen sind. Einer von ihnen ist der junge russische Oppositionelle Konstantin Bakhilin, der als 18-Jähriger vor den Repressionen in seiner Heimat ins ukrainische Odessa geflohen ist, nur um nun, mit 19 Jahren, von dort nach Deutschland fliehen zu müssen. Nur durch einen Zufall sind die Ukrainerin Svitlana Dus und ihre Familie dem Krieg entkommen. Eigentlich wollten sie Ende Februar, kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen, in den Urlaub fahren. Doch das Reisebüro hat kurzfristig angefragt, ob sie auch etwas früher fahren könnten. Und so sind sie, ohne zu wissen, was ihrer Heimat bevorsteht, am 20. Februar nach Ägypten aufgebrochen. Dort haben sie den Schrecken in der Ukraine mitbekommen und sind aus Angst nicht zurückgekehrt, sondern nach Deutschland geflohen. Ergänzt werden die beiden durch die deutsch-französische Bruckerin Aline Pronnet und den linken Aktivisten Hagen Ullmann. Die dokumentarischen Perspektiven dieses Quartetts werden durch einen fünften, fiktiven, Charakter ergänzt, den Geist des Schlachthofs (Alexander Schmiedel), der so lange schon in dem historischen Gemäuer lebt, dass er von den Welt da draußen wenig mitbekommen hat.

Die Deutsch-Französin Aline Pronnet lebt in Bruck und repräsentiert die junge europäische Perspektive. (Foto: Privat)

Sie alle also treten miteinander - und mit dem Publikum - in Dialog, erzählen, was ihnen passiert ist, was sie über den Krieg denken, setzen sich mit dem Schrecken und vor allem den vielen menschlichen Katastrophen auseinander. "Das ist es, was uns wichtig ist: Dass ein Dialog entsteht und nicht wieder Monologe nebeneinander stehen", sagt Freudensprung. Er hoffe, dass auch viele Ukrainer das Stück besuchen. "Es geht auch darum, ihnen kulturell etwas anzubieten." Deshalb sprechen alle Beteiligten in ihren Muttersprachen - Ukrainisch, Russisch, Französisch, Deutsch -, eine Übersetzung gibt es in Untertiteln. Entstanden ist das Stück im gleichen Dialog, der auch auf der Bühne zu sehen sein soll. "Wir haben ihnen Fragen gestellt und dann haben sie angefangen zu reden", sagt Freudensprung. Anschließend haben er und Jamburia alles zusammengebracht. "Ich war in Georgien, als der Krieg angefangen hat, da ist man noch näher dran. Die Angst hat sich überschlagen, und viele sind als Freiwillige in die Ukraine gegangen", sagt George Jamburia, dessen Heimat 2008 im Kaukasuskrieg von Russland angegriffen worden ist. Auch deshalb ist ihm das Projekt wichtig.

Der linke Aktivist Hagen Ullmann spricht über seine Sicht auf den Ukrainekrieg. (Foto: Privat)

"Vom Paradies sieht man die Hölle nicht", Alter Schlachthof Fürstenfeldbruck, Mittwoch und Donnerstag, 29. und 30. Juni, jeweils 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei, es werden Spenden für das SOS-Kinderdorf Ukraine gesammelt.

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