SZ-Interview:"Das wird ein verheerendes Signal in die Welt senden"

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Thomas Karmasin, seit 1996 Landrat von Fürstenfeldbruck und seit einem halben Jahr Präsident des Bayerischen Landkreistags (Foto: Leonhard Simon)

Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin (CSU) über die neuerlich zunehmenden Sorgen der Kommunen mit der Zuwanderung, über mehr Normalität nach der Corona-Zeit und die Frage, ob er 2026 noch einmal antreten wird.

Interview von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Als Videocall wie im Corona-Jahr 2020 muss ein Interview mit Landrat Thomas Karmasin (CSU) nicht mehr geführt werden, auch nicht unter 3-G-Bedingungen, die 2021 galten. Die Normalität ist zurück, auch dazu wird sich Karmasin äußern, ebenso wie über die zunehmenden Sorgen der Kommunen mit der Zuwanderung und die Frage, ob er 2026 noch einmal antreten wird.

SZ: Sie sind kürzlich 60 Jahre alt geworden und haben viel Belobigung erhalten. Ist das auch ein Anlass zurückzuschauen auf immerhin schon 26 Jahre Landrats-Dasein?

Thomas Karmasin: Das bleibt nicht ganz aus. Aber nicht nur auf die Landratszeit, es gab ja auch ein Leben davor. Und natürlich schaut man auch nach vorn, denn es war ja keine Abschiedsvorstellung. Es war eine lange Zeit und man konnte ein bisschen was bewegen. Aber es ist schon noch was zu tun. Es gibt noch einige Dinge, die ich anpacken möchte.

Die Hälfte der laufenden Amtsperiode ist schon fast vorbei und die Frage wird drängender: Werden Sie 2026 noch einmal kandidieren?

Ich bin tatsächlich noch nicht entschieden. Wir werden das zu gegebener Zeit mit Fraktion und Partei diskutieren. Ich habe zwei Seelen in meiner Brust. Einerseits fühle ich mit fit - gottseidank -, und habe immer noch große Freude an beiden Ämtern ( Landrat und Präsident des Bayerischen Landkreistags, Anm. d. Red.), andererseits haben wir das Glück, dass wir gute junge Leute haben, die als Nachfolger oder Nachfolgerin in Betracht kommen und die auch die Chance haben sollten, als junge Leute starten zu können. Im nächsten Jahr werden wir uns dazu äußern. Ich bin nicht amtsmüde, pappe aber auch nicht am Sessel.

In den vergangenen Jahren musste ein Landrat vor allem auch Krisenmanager sein. Und die Krisen nehmen ja kein Ende. Inwiefern hat das ihre Tätigkeit verändert?

Das hat die Tätigkeit in vielfältiger Weise verändert. Viele Arbeitsstunden hatte ich in diesem Beruf immer schon, aber es hat sich sehr anders angefühlt. Während Corona war ja nichts draußen los. Auch als Kommunalpolitiker hatte man kaum mehr Kontakt zur Bevölkerung und deutlich weniger zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich war froh, dass es heuer wieder eine Weihnachtsfeier bei uns im Amt gab, damit man wieder ein bisschen ins Gespräch kommt. Manche habe ich noch gar nicht gekannt.

Aber Home-Office, zumindest teilweise, wird bleiben.

Wir sind sehr großzügig mit Home-Office. Eine Dienstvereinbarung wird noch erarbeitet. Das völlig freizugeben, ist aber weder für die Beschäftigten gut noch für die Betriebsorganisation. Für manche Dinge braucht es das Zwischenmenschliche. Mir schwebt vor, dass man das mischen kann, etwa zwei Tage daheim und den Rest im Büro.

Kann man überhaupt noch irgendetwas gestalten, wenn man andauernd Krisen bewältigen muss?

Man kann und man muss auch. Es muss ja weiter gehen. In manchen Bereichen bin ich erstaunt, was trotzdem geschafft wurde. Die Digitalisierung zum Beispiel muss weitergehen. Wir haben da jetzt einen Preis bekommen, aber perfekt sind auch wir noch nicht. Da müssen wir insgesamt vorankommen. Und dann gibt es auch noch Einzelprojekte, die mir sehr wichtig sind. Zum Beispiel das Forschungs- und Entwicklungszentrum im Bereich der Nuklearmedizin auf dem Fliegerhorst. Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein, dass diese Pläne Wirklichkeit werden.

Welche krisenbedingte zusätzliche Aufgabe hat das Landratsamt am meisten belastet?

Das ist gar nicht so einheitlich zu beantworten. Es hängt davon ab, was man als belastend ansieht, und auch von den Abteilungen. Aber auf jeden Fall war Corona sehr aufwendig. Es war viel zu organisieren und auch wenn vieles geschlossen war, hat man doch Personal gebraucht, um zum Beispiel das CTT-Team ( die Kontaktnachverfolgung, Anm. d. Red.) zusammenzustellen. Es war eine große Belastung für das Haus. Aber alle haben trotzdem mit viel Engagement mitgearbeitet, weil man wusste: Das vergeht wieder. Im Unterschied zur Situation in der Zuwanderung. Da ist überhaupt nicht abzusehen, ob das besser wird und ob man doch mal eine andere Regelung findet. Das scheint ins Unendliche zu gehen und man weiß nicht, wie man es lösen soll.

Die Kommunen sind ja speziell seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wieder stärker gefordert, Geflüchtete unterzubringen. Wie ist die Situation im Landkreis?

Es ist eine perspektivlose Nichtgestaltbarkeit. Was die Situation mit Ukraine-Flüchtlingen angeht, lief es etwas anders. Aber jetzt kommen wieder die Menschen aus den gleichen Herkunftsländern und auch wieder in dem gleichen Ausmaß wie 2015, nur mit weniger Bildern, weil sich die Zuwanderer nicht mehr am Hauptbahnhof in München konzentrieren oder am Grenzübergang Simbach. Fast jede Woche kommt ein Bus mit 50 Leuten in den Landkreis, das ist extrem viel. Etwa 650 Plätze haben wir seit Februar geschaffen - ohne Amperpark. Der schließt zum Jahresende. Dann wird anderswo verdichtet und umgelegt. Es ist ein gigantischer Aufwand. Auch die Regierung von Oberbayern verdichtet gerade am Fliegerhorst. Wir sind überall räumlich an der Grenze. Manche Landratskollegen sagen, wenn man die Schulturnhallen belegt, gibt's zwar einen Aufstand, aber dann kriegt's wenigstens jemand mit.

Aber in der Vergangenheit wurden auch im Landkreis die Schulturnhallen belegt.

Ja, aber damals war das eine vorübergehende Notfallmaßnahme. Die Turnhallen sind dann wieder frei gegeben worden. Aber die Leute sind ja zu einem großen Teil noch da. Wir überlegen jetzt, Gewerbehallen, die leer stehen und sich beheizen lassen, zu verwenden und reden tatsächlich auch von Zelten. Dass sich der Bund damit nicht auseinandersetzt, das ärgert mich. Wir Landräte und Oberbürgermeister waren in Brüssel bei der EU-Kommission und dort im Gespräch mit einem jungen Mann aus der Kommission. Der sagte uns, von Deutschland seien keine Probleme diesbezüglich gemeldet worden - er wisse was von Zypern.

Sie haben der Ampelkoalition vorgeworfen, zusätzliche Pullfaktoren zu schaffen, die Menschen dazu animieren würden, nach Deutschland zu kommen.

Wenn einer auf der Flucht ist, dann überlegt er sich, wo er hingeht und geht dann dorthin, wo es für ihn am besten ist. Das würde niemand anders machen. Und bei uns sind die Sozialleistungen am höchsten. Man muss das in Europa harmonisieren, bei anderen Dingen macht man das ja auch. Jetzt lockt man noch zusätzlich damit, dass man es auch als Illegaler, wenn man den deutschen Rechtsstaat nur geschickt genug ausnutzt und man sich fünf Jahre in Deutschland aufgehalten hat, irgendwie doch schaffen kann, ein Aufenthaltsrecht zu bekommen. Das wird ein verheerendes Signal in die Welt senden. Da wäre mir eine Altfallregelung lieber gewesen. Wenn die Leute ohnehin hier bleiben , dann sollen sie wenigstens arbeiten dürfen und sich integrieren. Damit hätte man aber signalisiert, den Fehler von 2015 ziehen wir jetzt glatt, aber wir machen ihn nicht immer wieder.

Bei Begriffen wie Pullfaktoren unterstellen Ihnen SPD und Grüne fast schon routinemäßig, sie würden "am rechten Rand fischen". Was antworten Sie ihnen?

Das ist als Argument völlig inhaltsleer. Richtig ist , dass wir aufpassen müssen, dass man nicht im Wording Dinge ausdrückt, die Hass auf die Menschen schüren, die da kommen. Aber ist daraus abzuleiten, dass die Realität nicht beschrieben werden dürfe, weil die Realität sonst rechten Parteien Vorschub leisten würde? Im Gegenteil: Man leistet dem Vorschub, wenn man die Realität, die die Menschen hier im Land erleben, unterdrückt und geschönt schildert. Auch Beschönigungen sind letztlich Unwahrheiten und kosten Vertrauen.

Sprechen Sie da als neuer Präsident des Bayerischen Landkreistags auch für ähnliche Nöte anderer Landkreise?

Ich vertrete sehr heterogene Landkreise. München und Wunsiedel beispielsweise sind nicht vergleichbar. Die Region München braucht dringend die zweite Stammstrecke, andere Landkreise hingegen fragen: Was bleibt dann noch für uns? Oder sie können mit einem 49-Euro-Ticket nichts anfangen, weil dort eh kein Bus fährt. Eine gemeinsame Position auszumitteln, ist nicht ganz einfach. Aber es macht Spaß, auch diese Landkreise zu vertreten. In Sachen Zuwanderung aber sind die Probleme eins-zu-eins bei allen gleich. Darum wundert es mich, dass das Berlin nicht erreicht.

Wie einflussreich ist man in dieser Position?

Ich denke schon, dass wir als Landkreistag Gewicht haben. Im Freistaat ist die Zusammenarbeit gut und wir werden ernst genommen, auch die anderen kommunalen Spitzenverbände - im Bund jedoch nicht. Der Bund hört aber auch die Länder nicht an, nicht einmal die SPD-geführten Länder. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem neueren Urteil ausdrücklich geregelt, dass auch der Bund Ausweitungen von Leistungen nicht beschließen darf, ohne finanziellen Ausgleich vorzusehen. Doch das wird einfach nicht beachtet. Die einzige Möglichkeit wäre, dass der Kreistag dann für neue Aufgaben neues Personal genehmigt. Das aber kostet und fehlt uns für andere Dinge. Wir können deshalb nur darauf verweisen, dass mit den neuen uns zugewiesenen Aufgaben Wartezeiten verbunden sind, etwa beim Wohngeld oder beim Betreuungsrecht.

Die aktuellen Krisen wirken sich auch auf die Finanzen aus. Das Feilschen zwischen Kreis und Kommunen hat wieder zugenommen. Sie haben gesagt, Sie hätten diesmal das Gespräch mit den Kommunen gesucht wie noch nie. Warum?

Der Kreis hätte es sich komfortabel machen und das Geld einfach den Gemeinden über die Kreisumlage wegnehmen können. Aber am Letzten in der Nahrungskette bleibt es dann hängen. Dann müssten die Kommunen die Steuern oder Gebühren erhöhen oder die Kindergartenplätze streichen. Es wäre nur ein Wegdrücken der Probleme zu den Gemeinden. "Moralisch" fühle ich mich aber nicht in der Schuld, denn ich muss den finanziellen Anteil der Kommunen ja nur erhöhen, weil ich zum Beispiel mehr Sozialhilfe auszahlen muss an die Bürger eben dieser Kommunen.

Müssen sich Bürger und Politik nach Jahren, in denen man sich doch einiges geleistet hat - eine neue Berufsschule etwa oder einen großen Anbau ans Landratsamt -, wieder ans Sparen gewöhnen?

Das sind schwierige Balanceakte in der Politik. Wenn man Dinge wie etwa ein neues Notfalllager ein Jahr verschiebt oder zwei oder drei, geht das noch, aber wenn man 15 Jahre verschiebt, dann sagen die Leute, es wird scheinbar nicht gebraucht. Aber wir brauchen es, weil auch die Unwetterlagen eher zu- als abnehmen. Deshalb muss man sich fragen, ob das nicht am Fliegerhorst unterkommen kann. Andere Dinge wie die Generalsanierung am Gymnasium Olching: Da muss man den Fachleuten glauben, wenn die sagen, dass die Substanz nicht mehr zu gewährleisten ist. Entsetzt hat mich allerdings die Differenz von erst geschätzten 38 und dann vielleicht 74 Millionen Euro. Aber das sind halt diese Unwägbarkeiten.

Gleichzeitig soll eine Energiewende gelingen, die der Landkreis ursprünglich mal bis 2030 geschafft haben wollte. War man damals zu optimistisch?

Wir waren damals sehr früh dran und haben dann feststellen müssen, dass man den Energieverbrauch nicht so leicht runter bringt und der Landkreis außerdem auch ständig von der Einwohnerzahl her wächst. Vor allem der Strom ist das Problem: Den braucht man heutzutage für alles, man kann ja sogar Türen mit dem Handy öffnen. Was mich ärgert, ist, dass man bei manchen Geräten nicht einmal die Standby-Schaltung abschalten kann. Ausstecken soll man sie aber auch nicht, weil sonst alles wieder hochgefahren werden muss.

Wie geht es weiter mit der Energiewende?

Für große Freiflächenanlagen haben wir den Platz nicht. Ein neues bayerisches Klimaschutzgesetz lässt aber jetzt zu, dass auch Landkreise Energie erzeugen. Eine Bioabfallvergärungsanlage wäre jetzt möglicherweise auch einfacher zu bewerkstelligen, weil zwei Nachbarlandkreise mitmachen würden. Für viele Dinge ist man allein zu klein, da empfiehlt sich eine Zusammenarbeit oder ein Zweckverband.

Neue Windräder?

Ich bin noch immer ein Befürworter der Windkraft. Vor einiger Zeit sagten die Menschen noch, das verschandelt, aber mittlerweile ist die Erkenntnis da, dass man was machen muss. Ich höre auch von immer mehr Gemeinden, dass sie das wieder in Angriff nehmen wollen. Ich hoffe, dass ich noch ein paar Windräder sehe in meiner Amtszeit. Den Teilflächennutzungsplan für die Windkraft ( der geeignete Flächen im Landkreis ausgewiesen hat, Anm. d. Red.) haben wir wieder aus der Versenkung geholt, aber umsetzen kann man ihn wohl nicht mehr, dazu hat sich zu viel verändert. Ob die Bürgermeister noch mal eine Koordinierung wünschen, müssen wir sie erst fragen.

Fast drei Jahre nach Beginn der Corona-Krise stellt sich gerade wieder die Normalität ein: Der Kreistag sitzt nicht mehr auf dem Parkdeck im Freien und man kommt wieder in geselliger Absicht zusammen wie an Ihrem Geburtstag. Wie wichtig ist das für alle?

Das ist enorm wichtig. Man kann nicht beliebig Dinge auf Distanz machen. Man merkt das überall. Bei unserer Weihnachtsfeier, die wir trotzdem noch draußen abgehalten haben, waren so viele da, dass die Würstl fast nicht gereicht haben. Jeder hat wieder Hunger nach Kontakten. Ich bin sehr froh, dass wir zur Normalität zurückkommen.

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