SZ-Serie "Lebenslanges Lernen", Teil 5:Mit viel Liebe zur Literatur

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Ein seltener Moment im Leben von Ingrid Suhr-Täger ist es, wenn sie gerade mal kein Buch in der Hand hat. Denn mit dem VHS-Unterricht hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ingrid Suhr-Täger hat sich voll der Erwachsenenbildung verschrieben. Seit 1984 unterrichtet sie an verschiedenen Volkshochschulen.

Von Erich C. Setzwein, Gröbenzell

Sehr viele der Volkshochschüler von Ingrid Suhr-Täger haben eine gemeinsame Eigenschaft: Sie sind ihrer Dozentin treu, seit vielen Jahren, seit Jahrzehnten. Es sind Gemeinschaften, ja Freundschaften entstanden, wo immerSuhr-Täger ihre Kurse gibt. Am längsten zusammen ist ein Kreis in Großhadern. Aber auch in Eichenau, in Gröbenzell und in Landsberg sind ihre Kurse bekannt und beliebt. Sie lehrt seit 1984 an Volkshochschulen, die Erwachsenenbildung hat sie zu ihrem Beruf gemacht.

Begonnen hat alles mit Wochenendkursen in München, sie war in Geltendorf und Kaufering aktiv und lernte im Semester 1985/86 Barbara Gropp von der Volkshochschule Eichenau kennen. Suhr-Täger brachte dort und bringt bis heute an vielen Orten erwachsenen Menschen Literatur nahe. Sie selbst hat slawische Literatur in Mainz und an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert und in Religionsphilosophie promoviert. Aber Literatur geht bei der VHS besser, "Philosophie ist ohnehin ein schwieriges Geschäft", sagt die 64-Jährige und es schwingt ein klein wenig Resignation mit. Wobei das Tiefschürfende durchaus sein darf. Sie liebt die Russen, Pasternak und Gorki, bietet an, sich mit deren Werken auseinanderzusetzen. Es muss nicht immer aktuelle Literatur sein, "ruhig mal was Älteres".

Suhr-Täger kennt inzwischen wohl die meisten Volkshochschulen im Westen Münchens. Am Ende des Landkreises, in Geltendorf, unternimmt sie mit ihren Hörern eine literarische Reise durch ein Land, auch in Puchheim leitet sie einen Literaturkreis, in Eichenau und Gröbenzell kommt zu den Literaturkursen und -vorträgen noch das Studium Generale hinzu. Sie gibt an vier bis sechs Vormittagen Doppelstunden in Literatur und Philosophie. Die Inhalte, sagte die aus Kassel stammende Dozentin, würden sich schon wiederholen. Auch sehe sie Teilnehmer immer wieder. Es gebe eben die Kurse, die sich über Jahre und Jahrzehnte hielten, inzwischen kenne sie die Familiengeschichten ihrer Teilnehmer.

Wenn sie sich weiterbildet, gibt sie das Wissen gleich an ihre Hörer weiter

"Es ist herzlich, persönlich und freundlich", fasst sie die Stimmung in ihren Kursen zusammen. Am längsten, nämlich 23 Jahre, verbringt sie nun mit dem "aktuellen Vormittag" in Hadern. Es sind 25 Teilnehmer, die dort zusammenkommen, sie besprechen Bücher, sie diskutieren und machen gemeinsame Kunstführungen. In Gröbenzell hat Suhr-Täger an Freitagvormittagen einen Literaturkurs, an dem nicht nur Frauen, sondern auch vier Männer teilnehmen. Das hält sie für "ganz ungewöhnlich". Aber wer setzt sich am Freitagvormittag mit Literatur auseinander? In Gröbenzell sind es Menschen im Alter von 60 aufwärts. Menschen, die Zeit haben, weil sie keinen Beruf mehr ausüben, Menschen, die ein starkes Interesse am Thema und am gemeinsamen Erleben dieses Themas haben, zehn bis 15 Menschen, die in der schönen Regelmäßigkeit des Kurses ihr Leben strukturieren können. Sie beschäftigen sich auch unter der Woche damit, machen die Aufgaben, die Suhr-Täger ihnen gibt, bekommen neue Blickwinkel.

Ingrid Suhr-Täger ist vor 31 Jahren mit ihrem Mann von München nach Gröbenzell gezogen, sie hat sich dort um die Erziehung ihrer Kinder gekümmert und ist nicht mehr an die Uni zurückgekehrt. Sie hat erst nebenbei und dann intensiver die Volkshochschule als einen Ort entdeckt, an dem sie einem Beruf nachgehen kann, der wie für sie gemacht zu sein scheint. Sie liest gern - und beruflich dann auch sehr viel -, und geht mit der Akribie der Wissenschaftlerin ihre Aufgaben an. Da kann es auch mal sein, dass sie die Vorbereitungen für einen Vortrag viel länger binden, als für einen ganzen Kurs. Sie macht es sich und auch ihren Kursteilnehmern nicht leicht. Christa Wolfs "Kein Ort. Nirgends" sei schwer zugänglich, "an dem haben wir wirklich gearbeitet". Sie sei "manchmal so perplex", sagte sie, wenn sie den Lerneffekt in ihre Kursen sehen. Die Volkshochschule stehe jedem offen, unabhängig von der Vorbildung. Keiner werde gezwungen zu lernen, aber ohne den Prüfungsstress am Ende falle es den Teilnehmern oft einfach leichter, sich auf die Themen einzulassen.

Ihr eigene Weiterbildung, die sie als Wissen gleich wieder an ihre Hörer weiterzugeben versucht, findet sie natürlich in der Literatur. Sie liest von Berufs wegen, wie sie schätzt, gut 200 Bücher im Jahr: "Ich bin nicht festgelegt", sagt sie zur Auswahl. Freilich ist ihr privates Interesse an der slawischen Literatur und den russischen Autoren nach wie vor groß. Sie bedauert es, dass viele Werke der neuen europäischen Literatur gar nicht erst übersetzt werden. Auch die Amerikaner schätzt sie, "die können richtig gut erzählen". So wie Ingrid Suhr-Täger selbst, wie ihre Hörer in den Kursen wissen.

© SZ vom 11.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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