SZ-Adventskalender:Schwer krank, aber voller Lebenswillen

Lesezeit: 3 min

Barbara Schachtschneider leitet die Brucker Fachstelle des Ambulanten Kinderhospizes München für pflegende Familien. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München eröffnet Ende November in Fürstenfeldbruck ein Büro, in dem pflegende Eltern beraten werden

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Kinderhospizarbeit unterscheidet sich grundlegend von der mit Erwachsenen in ihrer letzten Lebensphase. "Kinder haben einen ganz anderen Lebenswillen, sie wollen Sachen erleben", sagt Angela Zacher. So berichtet sie von einem Buben, dessen größer Wunsch es noch kurz vor seinem Tod war, einmal eine Feuerwehr zu besuchen. Im Unterschied hierzu würden Senioren in der letzten Phase ihres Lebens müde und verlören nach und nach die Lust am Leben. Die junge Frau ist beim Ambulanten Kinderhospiz München (AKM) als Familienbegleiterin und in der Trauerbegleitung tätig und sie leitet auch die Öffentlichkeitsarbeit der vor elf Jahren gegründeten Stiftung, die der Träger des AKM ist.

Zur Begleitung, Betreuung und Beratung von Familien mit Kindern, die unter lebenslimitierenden Krankheiten leiden, wird das ambulante Kinderhospiz am 30. November in der Münchner Straße 3 in Fürstenfeldbruck ein eigenes Büro eröffnen. Das ist zuständig für die drei Landkreise Fürstenfeldbruck, Starnberg und Landsberg am Lech. Termine sind unter Telefon 08143/909 40 40 zu vereinbaren. Der Adventskalender der SZ will einen Beitrag zur Ausstattung dieses Büros leisten. Schon seit Monatsbeginn können sich dort donnerstags in der Zeit von 14 bis 16 Uhr pflegende Familienangehörige mit Patienten unter 50 Jahren im "Hans-Kiener-Haus" bei kostenfreien Sprechstunden Informationen und Hilfe holen. Angeboten werden Begleitung, Entlastung, Schulung und Fortbildung, aber auch psychosoziale Betreuung. Das Büro will Anlaufstelle für Familienbegleitung, Hospizarbeit und Krisenteams sowie die Vermittlung von sozialmedizinischer Nachsorge und Palliativmedizin und die Schulung von Ehrenamtlichen sein.

Wobei für Zacher nicht das Schlimmste, nämlich der Tod im Vordergrund steht, sondern die Lebensqualität der kranken Kinder und die Entlastung und Stabilisierung von deren Angehörigen in einer schwierigen, das gesamte Umfeld belastenden Phase. "Wir wissen nicht, ob ein Kind stirbt", beteuert Zacher. Zudem schaffen es ja etwa 30 Prozent der Kinder, wieder gesund zu werden. So gibt es schwer kranke Patienten, die schon über einen Zeitraum von zehn Jahren vom Ambulanten Kinderhospiz begleitet werden und immer wieder in lebensbedrohende Situationen kommen und junge Erwachsene werden. Trotzdem seien sie bestrebt, Erfahrungen zu sammeln und ihre Tage mit Leben zu füllen. Angela Zacher weiß, dass das Wort Kinderhospiz abschrecken kann. Aber um das, was man normalerweise damit assoziiert, die letzte Lebensphase Erwachsener, gehe es überhaupt nicht.

Christine Bronner gründete 2005 mit ihrem Mann die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz, um Familien zu helfen, die Extrembelastungen ausgesetzt sind. Nach dem Tod von zwei eigenen Kindern entschloss sie sich zu diesem Schritt, weil, wie sie sagt, "mein Mann und ich wissen, wie es ist, wenn Kinder sterben und keine Hilfe da ist". Christine Bronner war, als ihre Kinder starben bereits als Therapeutin tätig und lebte in einer "stabilen Familiensituation". Trotzdem wäre ihre Familie damals fast zerbrochen, weil sie überfordert war. Alle Mitglieder hätten schwere Traumastörungen gehabt und seien chronisch krank geworden.

Die etwa 200 Familien, die 30 hauptamtliche und 160 ehrenamtliche Helfer vom Kinderhospiz zurzeit betreuen, sind in doppelter Weise gefährdet. Neben sozialer Isolation droht Verarmung. Zur Isolation kommt es, weil plötzlich das gewohnte Leben aus den Fugen gerät und sich fast alles nur noch um das kranke Kind dreht. Die Verarmung ist einfach zu erklären. Können zwei zuvor berufstätige Eltern nicht mehr ihrer Erwerbsarbeit nachgehen, weil der Sohn oder die Tochter betreut werden müssen, wird das Familieneinkommen bei steigenden Ausgaben erheblich beeinträchtigt. Wird anstelle eines normalen Kinderzimmers eine Einrichtung gebraucht, deren Ausstattung in Teilen der einer Intensivstation ähnelt, sind die Kosten enorm. Die technischen Geräte können im Extremfall den Stromverbrauch verdoppeln oder verdreifachen, sagt Bronner. Die Kosten der professionellen Betreuung und Begleitung einer Familie werden im Durchschnitt pro Jahr mit 6500 Euro veranschlagt. Krankenkassen übernehmen nur einen Anteil von 16 Prozent, die restlichen Kosten muss die Stiftung aufbringen. Deshalb ist sie für jede Unterstützung dankbar.

Um eine Familie zu stabilisieren, ist es wichtig, verlässlich da zu sein, beteuert Zacher. Eltern finden jemanden, der sich ihrer Sorgen annimmt und nach individuellen Lösungen sucht, die zu bestehenden Strukturen und zu den Angeboten im Landkreis passen. Auf Wünsche der kranken Kinder wird ebenso eingegangen wie auf die von Geschwistern, die oft zu kurz kommen. Auch gibt es Situationen, in denen vermittelt werden muss zwischen Kindern und Eltern oder zwischen Kindern und Ärzten.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: