SZ-Adventskalender:Auf der Brücke zur Normalität

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Jonathan Albrecht will trotz Angststörung wieder arbeiten

Von Kristina Kobl, Germering

"Es ist, als müsste ich die Einzelteile meiner Persönlichkeit jedes Mal erst wieder aufsammeln." So spricht Jonathan Albrecht (Name geändert) über die Streitereien mit seiner Mutter, die ihn zusätzlich zu seiner Krankheit belasten. Seit zehn Jahren hat er mit Depressionen und einer Angststörung zu kämpfen, die ihm ein normales Leben unmöglich machen. Sein größter Wunsch ist es, wieder arbeiten zu können. Technische Geräte, die er für die Rückkehr in seinen Beruf als Produktdesigner dringend braucht, kann sich der 33-Jährige von seiner Grundsicherung nicht leisten. Der Adventskalender der Süddeutschen Zeitung möchte ihn bei der Anschaffung unterstützen.

Er drückt sich gewählt aus, ohne lange zu überlegen, den Blick auf den Boden gerichtet; die Hände auf dem Schoß verschränkt. Alles was er sagt, sagt er mit sicherer Stimme. Er schreckt nicht davor zurück, sich seinem Gegenüber anzuvertrauen: Am Anfang seiner Krise hatte er Übelkeitsanfälle, dazu kamen starker Harndrang und schlimme Verdauungsbeschwerden. Die Ärzte fanden nichts, diagnostizierten ein Reizdarmsyndrom.

Doch die Beschwerden waren psychosomatisch. Mehrmals ließ er sich stationär in einer Klinik behandeln. Die Ärzte verschrieben ihm immer wieder Medikamente, insgesamt über 20. Doch mit keinem davon konnte er dauerhaft leben, teilweise hatten die Medikamente massive Nebenwirkungen. Eines löste einen Anfall aus, bei dem er plötzlich zitterte, seinen Kopf unkontrolliert gegen die Wohnungstür schlug und beinahe das Bewusstsein verlor. Zurzeit lebt er ohne Medikamente, das klappt besser als mit.

"Ich würde wahnsinnig gerne arbeiten", sagt Albrecht. Die Ausbildung zum Bürokaufmann und die Umschulung zum technischen Produktdesigner schloss er als Jahrgangsbester ab. Man merkt ihm den Ehrgeiz und den Willen an, wenn er spricht. Er ist kognitiv fit, nur seine Psyche macht nicht mit. Ihm sei der Halt unter den Füßen weggebrochen, sagt er. Keine Ruhe, keine Pause, ein Job in einer Werbeagentur - von acht Uhr morgens bis 23 Uhr. Sein Chef: ein Choleriker. Vor vier Jahren ging es nicht mehr weiter. "Jeder Tag, an dem ich aus dem Arbeitsleben draußen bin, erhöht den Druck." Er hat ein schlechtes Gewissen, keine Leistung bringen zu können, die letzten Jahre an Erfahrung verpasst zu haben. Seine Umschulung, glaubt er, ist nichts mehr wert, nachdem ihm seine Krankheit jahrelang ein normales Leben verwehrte. Doch er gibt nicht der Krankheit die Schuld - sondern sich selbst.

Als Überbrückung arbeitet er seit Juli zwei Tage pro Woche im Café Zenja - aber nur dann, wenn es ihm gut genug geht. Nur vorübergehend, um sein Leben zu ordnen. Die Wertschätzung, die er dort bekommt, bedeutet ihm viel. Bereits an seinem ersten Tag bekam er positives Feedback von Gästen, kein Tag vergeht ohne ein Lob oder eine kleine Aufmerksamkeit. Das gibt ihm das Gefühl, gebraucht zu werden. Außerdem ist er dort gut abgelenkt, kann vor den Gedanken flüchten, die sich zu viel um ihn selbst drehen.

Sein zweitgrößter Wunsch: eine eigene Wohnung. Seit zwei Jahren lebt Albrecht aus finanziellen Gründen wieder bei seiner Mutter. Diese ist ebenfalls psychisch krank und auf seine Unterstützung angewiesen. Er kümmert sich um den Einkauf und das Kochen - und ist abhängig von ihren Stimmungen. Nicht einmal zuhause findet er Beständigkeit. Eine große Belastung. Doch die Warteliste für eine Sozialwohnung ist lang - und sein Name steht weit hinten. "Ich beziehe Grundsicherung und bin dazu noch krank, wie soll ich eine Wohnung finden?" Die Grundsicherung ist nur befristet, immer wieder muss der junge Mann zum Amtsarzt gehen und sich ein Attest abholen.

Wenn er Zeit hat, fährt er gerne Fahrrad und ist auch sonst viel an der frischen Luft unterwegs. Die Fortbewegung mit öffentlichen Verkehrsmitteln stellt für Albrecht eine große Herausforderung dar. Bei längeren Bahnfahrten bekommt er Panikattacken. Sozialen Kontakte hat er kaum - durch die Krankheit sind fast alle weggebrochen.

Für die kommenden Jahre hat er große Ambitionen: Albrecht möchte nicht ewig in der Gastronomie arbeiten und auch nicht irgendwo Regale einräumen. Er will etwas Kreatives machen, außerdem etwas, das ihm Sicherheit gibt, er denkt an die Zukunft, sogar an die Rente. Er versucht sein Selbstvertrauen stückweise wiederaufzubauen und in ein normales Leben zurückzufinden. Und hofft, bald wieder normal arbeiten zu können. Nur nie wieder 15 Stunden pro Tag.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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