Kultur:Gänsehaut trotz Zuschauerflaute

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Bühnenprofi Michl Müller schafft trotz gelichteter Reihen Wohlfühlstimmung beim Publikum. (Foto: Günther Reger)

Beim Auftritt von Michl Müller beim Stockwerksommer wird deutlich, wie sehr die Kultur unter der Pandemie gelitten hat. Veranstalter Thomas Breitenfellner hat deshalb gemischte Gefühle.

Von Karl-Wilhelm Götte       , Gröbenzell

Michl Müller nimmt es wie ein Bühnenprofi, dass nur etwa 100 Besucher zu seinem Auftritt nach Gröbenzell gekommen sind. Schließlich ist der 50-jährige Kabarettist aus der Rhön kommendes Jahr schon ein Vierteljahrhundert auf den Bühnen der Republik unterwegs. Mit seinem Eröffnungssong trifft er dann auch sofort die Gefühlslage des Publikums. "Das fühlt sich gut an", singt er, "so locker leicht und unbeschwert und frei." Die Zuschauer klatschen mit und diese Wohlfühlstimmung setzt sich den ganzen zweieinhalbstündigen Müller-Abend beim Gröbenzeller Kultur-Sommer vor dem Stockwerk fort.

Kultursommer-Veranstalter Thomas Breitenfellner hätte sich am vorletzten Abend seiner dreiwöchigen Veranstaltungsreihe natürlich mehr Besucher gewünscht. Er musste mit dem Auf und Ab der Zuschauerzahlen klarkommen, auch finanziell. So manche Veranstaltung war auch ein Zuschussgeschäft. "Ich habe mir keine goldene Nase verdient, wie einige vermuten", sagt Breitenfellner im Gespräch mit der SZ. Natürlich gab es 1700 Besucher bei Rainhard Fendrich, aber auch nur 350 bei Vicky Leandros. Dass Leandros so wenig Publikum gezogen hat, habe ihn sehr überrascht. Aber in den Zeiten nach Corona, das die Kultur beinahe zwei Jahre lang zum Stillstand gebracht hat, gibt es viele negative Überraschungen. "40 bis 50 Prozent Zuschauerrückgang ist zu verzeichnen", weiß Breitenfellner aus eigener Erfahrung und aus der Veranstaltungsbranche zu berichten. So schlimm traf es den Kultur-Sommer zwar nur manchmal, aber es traf ihn auch.

Kabarettist Michl Müller (links) und Veranstalter Thomas Breitenfellner beim Auftritt im Stockwerk. (Foto: Günther Reger)

Trotzdem ist Breitenfellner stolz auf das hochkarätige Programm, dass er den Gröbenzellern und den vielen Besuchern von auswärts präsentiert hat. "Es waren große Namen vor Ort", stellt er nochmal heraus, wie die Spider Murphy Gang, Howard Carpendale, Konstantin Wecker, Rainhard Fendrich oder eben Leandros. "Namen, die man eher in einer großen Stadt erwartet", so Breitenfellner, "das war schon sehr besonders." Der Aufwand bei den Konzerten sei sehr groß gewesen. Doch erst einmal musste jemand wie Rainhard Fendrich samt 20 Technikern und Helfern nach Gröbenzell gelockt werden. Fendrich war schon im März dieses Jahres in der Münchner Olympiahalle aufgetreten. "Da musste ich mir etwas einfallen lassen", blickt der Veranstalter zurück auf November 2021, als es die ersten Kontakte zu Fendrich gab. "Ich habe ihm aufgemalt, dass Gröbenzell am 28. August exakt auf dem Weg zwischen zwei Auftritten vorher in Franken und danach in Baden-Württemberg liegt", erläutert Breitenfellner. Das habe ihn wohl überzeugt. Die Künstlerbeschaffung sei nach Corona nicht leicht, weil viele Termine schon auf 2022 bis 2024 verschoben wurden. Sein Programm in diesem Herbst im Stockwerk steht: Viel Kabarett, aber auch ein Weihnachtskonzert mit Deborah Sasson.

Inzwischen geht das heitere Kabarett von Michl Müller weiter. Er macht sich über Thermomix-Trullas lustig und wagt sogar Witze über die Coronazeit zu machen. "Unter der Maske verstehen mich sogar die Oberpfälzer", sagt und demonstriert er. Homeoffice-untauglichen Berufe, wie Maurer und Metzger beschreibt er amüsant. Wenig später ist Müller bei seinem eigenen Hausbau angekommen und den vielen unterhaltsamen Geschichten mit Architekt und Handwerkern. Das Publikum amüsiert sich köstlich, auch als es erfährt, dass "Pias Mann bügelt". Schon stellt sich Müller bereit für sein "Bügellied" und fordert die Besucher zum Mitsingen auf. "Männer, die bügeln, sind sexy", schallt es dann auch über den Platz. Der Kabarettist kennt alle Bühnentricks, Pausen, Wiederholungen, Querschlüsse zwischen den einzelnen Themen und Szenen - alles ist genau getaktet und getimt. Nie wird ein Gag zu Tode geritten, jede Pointe sitzt. Und auch die Einbeziehung des Publikums wirkt nicht, wie sonst so oft zu sehen, peinlich und übergriffig, sondern dient dem fröhlichen Gemeinschaftserlebnis. Da wird niemand bloßgestellt, sondern alle werden einbezogen bis zum Finale mit einer großen Zugabe, einem Medley, quer durch alle bekannten und beliebten Michl-Müller-Songs, von Heringsdösle bis zur Fleischfachverkäuferin.

Wird der zweite Kultur-Sommer vor dem Stockwerk eine Fortsetzung finden? "Zum 70. Geburtstag von Gröbenzell sollte es etwas Einmaliges sein", sagt Thomas Breitenfellner, der sich auch noch um seine Gastronomie kümmern muss. "Ich weiß nicht, ob wir jedes Jahr in dieser Liga spielen können." Doch dann gesteht er ein, dass er selbst immer wieder emotional gerührt gewesen sei, wenn er abends auf den Platz gekommen ist. "Live ist live", bekennt er, "da hatte ich immer wieder Gänsehaut." Das sei natürlich eine nachdrückliche Motivation für ihn, weiterzumachen. Zumal seine in diesem Jahr gekauften 2000 Stühle für den Kultur-Sommer darauf warten, wieder Besucher aufzunehmen.

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