Ausstellung in Fürstenfeldbruck:Rau und zugleich voll sinnlicher Lust

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Jakob Kirchheim eröffnet die gleichnamige Ausstellung des Berliner Künstlerkollektivs RUW. (Foto: Johannes Simon)

Die gleichnamige Ausstellung des Berliner Künstlerkollektivs RUW im Haus 10 zeigt, wie Kunst gleichzeitig Spaß machen und infrage stellen kann.

Von Johannes Simon, Fürstenfeldbruck

Kunst neigt zu Ritualen - vor allem wenn sie in geschlossenen Räumen zur Besichtigung frei gegeben wird. Vernissage nennt man das. Es gibt Rotwein und Häppchen und mit etwas Glück das eine oder andere interessante Gespräch. Die Kulturwerkstatt Haus 10 ist eine der Orte in Fürstenfeldbruck, wo dieses Ritual mit einer gewissen Regelmäßigkeit gepflegt wird. Um nicht nur sozusagen im eigenen Saft zu braten, richtet sich der Blick gelegentlich nach außen und es werden Künstler eingeladen, die sich aus weit entfernten Orten an die Amper verschlagen lassen. Das hilft, die eigenen Positionen zu überdenken, und manchmal sogar, die Frage nach dem Sinn der Kunst zum Gegend ernsthafter Betrachtung werden zu lassen. Aktuell richtet sich der Fürstenfeldbrucker Blick auf keinen geringeren Ort als Berlin, das schon immer als Sehnsuchtsort für jeden ambitionierten Jungkünstler galt und als Gegenentwurf der großen, weiten Welt zur engen Miefigkeit der Provinz wo auch immer in Deutschland.

Die Ausstellung trägt den etwas rätselhaften Titel RUW! und ist unter anderem der Name eines Künstlerkollektivs, das in etwa 14 Gleichgesinnte vereinigt. Des Ex-Gautinger und Jetzt-Berliner Jakob Kirchheim, der periodisch bereits vor vielen Jahren im Haus 10 gearbeitet hat, hat die Ausstellung initiiert und mit viel Fingerspitzengefühl kuratiert. Künstlerkollektiv klingt - wie man mit einem Augenzwinkern sagen könnte - auch etwas interessanter als Künstlervereinigung, weniger nach Tradition und mehr nach programmatischer Ausrichtung. Aber RUW ist nicht nur Kollektiv, sondern auch, und vor allem, Kunstmagazin. Das Wort RUW, klingt nach Wuff, nach Hund und Gebell, ist aber holländisch und heißt auf Deutsch "rau". Jakob Kirchheim gibt den Hinweis: "RUW! Ist eine Haltung, kein Hochglanz. Es ist auch als Anspielung auf das RAW-Magazin zu verstehen, das Art Spiegelman und Francois Mouly seit 1980 in New York herausgegeben haben". Mit dem Namen des Mouse-Erfinders Spiegelman, der für Graphic Novel auf künstlerisch höchstem Niveau steht, ist auch die Richtung vorgegeben, für die RUW! zeichnet: Jakob Kirchheim, Hannah Becher, Linn Fischer, Thomas Hillig, Hans Könings, Petra Lottje, Paula Muhr, Kathrin Rank, Susanne Roewer, Eva Schwab, Poul R. Weile und Marian Wijnvoord sind durchaus sehr unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten, die durch den gemeinsamen Nenner des Narrativen verbunden sind. Angelehnt an die Graphic-Novel-Szene sind ihre Bilder in sich selbst geschlossene Erzählungen oder erwecken zumindest den Eindruck, dass sie Teil einer bildnerischen Erzählung sein könnten.

Kathrin Ranks "Unter der Laterne" ist ein Ölgemälde, das an Nachrichtenfotografie erinnert - der Betrachter spürt förmlich die Dramatik des Geschehens. (Foto: Johannes Simon)

Als exemplarisch sollen Kathrin Ranks kleinformatige Ölbilder genannt werden: "Unter der Laterne" zum Beispiel zeigt in fahlen Farben ein brennendes Auto in nächtlicher Umgebung - malerische Umsetzung von Nachrichtenfotografie. Man spürt die Atemlosigkeit des dramatischen Geschehens. Kopfkino, das eine Kaskade von möglichen Szenarien und Handlungsabläufen suggeriert. Ganz anders Jakob Kirchheim, der sehr zurückhaltend schwarz-weiß gehaltene Linolschnitte präsentiert und sich damit eines klassischen Gestaltungsmittels der Buchillustration des frühen 20. Jahrhunderts bedient, man denkt unwillkürlich die Arbeiten von Frans Masereel. Kirchheim beherrscht diese Kunst, die auch technisch sehr anspruchsvoll ist, mit großer Meisterschaft.

In seinen Linolschnitten präsentiert Jakob Kirchheim das klassische Gestaltungsmittel der Buchillustration des frühen 20. Jahrhunderts. (Foto: Johannes Simon)
Hans Könings' Aquarell "De Dichter" aus dem Jahr 2020. (Foto: Johannes Simon)

Stilistisch ganz anders, wenngleich ebenfalls hochgradig illustrativ, präsentiert sich Katharina Arndts Serie "Nightclubbing" - stark vereinfachte Figuren, fast wie Kinderzeichnungen, plakative, neonhafte Farbgebung und dennoch ganz auf den Punkt! Jeder Strich sitzt, nichts bleibt unverbindlich. Weniger auf Erzählung als auf (Industrie-)Architektur ausgerichtet sind Hannah Bechers raumgreifende "Dot"-Bilder, die sowohl Graphic-Novel-Ästhetik als auch Schablonen-Graffiti fast unverschämt selbstsicher miteinander verbinden.

Eine Klasse für sich ist Marian Wijnvoords achtteilige Öl-Serie "At Sea", die, mit lässiger Eleganz in gedeckten Farben gemalt, die Seestücke der alten niederländischen Malerei heraufbeschwört. Eine der interessantesten Künstlerinnen der Ausstellung dürfte Eva Schwab sein, deren emblematisches Wachstuch "Atom and Eve/Kernschatten" die Besucherinnen und Besucher berührt und möglicherweise verstört zurücklässt. Eine sehr starke Arbeit allemal! Auch die Exponate der nicht einzeln besprochenen Künstlerinnen und Künstler sind ohne Ausnahme kräftige Statements, die es wert wären, gewürdigt zu werden.

Hannah Bechers raumgreifende "Dot"-Bilder verbinden sowohl Graphic-Novel-Ästhetik als auch Schablonen-Graffiti miteinander. (Foto: Johannes Simon)

Die Stärke der Ausstellung besteht grundsätzlich darin - und dazu trägt der mehr oder minder narrative Charakter jeder einzelnen Arbeit bei - dass die Kunstschaffenden allesamt in der Lage sind, in Kommunikation mit den Besuchern zu treten. Es ist eine sinnliche Lust zu spüren, ohne Rücksicht auf stilistische Konventionen, sich hemmungslos jedes denkbaren ästhetischen Gestaltungsmittels zu bedienen. Hier darf Kunst Spaß machen, in Frage stellen, immer wieder neu gedacht werden. Kunst darf aber - nebenbei gesagt - auch unterstützt werden. 50 Euro kostet das RUW!-Magazin mit Originalarbeiten in der Ausstellung. Alle Einnahmen dienen der Finanzierung der Ausstellungen. An die Beteiligten wird nichts ausbezahlt. Aber auch wenn man RUW! nicht kaufen will: Man sollte sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen - jenseits von Smalltalk, Rotwein und Häppchen. Das gibt's beim nächsten Mal!

Ausstellung RUW im Haus 10 in Fürstenfeldbruck, zu sehen bis zum 16. Oktober, jeweils freitags von 16 bis 18 Uhr und samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr.

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