Abschied:"Für meine Freunde ist Puchheim Prärie"

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Das letzte Programm: Kurz vor dem Ruhestand arbeitet Michael Kaller noch an den Veranstaltungen für die kommenden Monate. (Foto: Carmen Voxbrunner)

22 Jahre lang hat Michael Kaller das Puchheimer Kulturzentrum geleitet. Nun geht der 62-Jährige in Ruhestand. Im SZ-Interview spricht er über Termindruck, die Bedeutung lokaler Kultur und die fehlende Kneipenszene der Stadt.

Interview von Florian J. Haamann, Puchheim

Als Michael Kaller vor 22 Jahren die Leitung des Puchheimer Kulturzentrums übernommen hat, stecke das Internet noch in den Kinderschuhen und das neue, architektonisch moderne Gebäude, das bis heute prägend für das Ortsbild ist, war noch nicht von allen Einwohnern ins Herz geschlossen. Mit der Puchheimer Taschenoper hat der 62-Jährige ein Projekt entwickelt, das ebenfalls fast zwei Jahrzehnte die Kulturlandschaft des Landkreises mitgestalten konnte. Nun geht Michael Kaller Mitte November in den Ruhestand und übergibt das gut laufende Kulturhaus an seine Nachfolgerin. Im SZ-Interview blickt er auf seine Zeit als Kulturamtsleiter zurück.

SZ: Herr Kaller, 20 Jahre lang haben Sie die Entwicklung des Kulturbetriebs erlebt. Welche Veränderung hat sich Ihnen besonders eingeprägt?

Michael Kaller: Ich erinnere mich noch, wie wir 2008 oder 2009 das erste Onlineticket-System eingeführt haben und ich an Weihnachten bei meinen Eltern saß und dachte, toll, du hast frei und kannst gleichzeitig Karten verkaufen. Das kannte ich so bis dahin nicht, das war ein total tolles Gefühl, weil es bis dahin nur ein Wunschtraum war.

Wie hat die Arbeit denn damals ausgesehen?

Das Puc hatte damals noch keine Webseite und Tickets haben wir noch als Hartkarten verkauft. Außerdem musste ich am Anfang viel mehr telefonieren, es gab keine Künstlerhomepages, auf denen man einen Kontakt finden konnte. Wenn ich einen Künstler erreichen wollte, dessen Nummer ich noch nicht hatte, musste ich Kollegen anrufen, von denen ich wusste, dass sie wahrscheinlich den Kontakt haben. Heute läuft das meiste über Mail.

Wie hat es Sie damals eigentlich nach Puchheim verschlagen?

Ich bin aus Hamburg gekommen, wo ich halbtags bei einem Verlag beschäftigt war und eine eigene Theaterproduktionsfirma hatte, die Hamburger Theatermanufaktur.

Ist es Ihnen schwergefallen, das damals aufzugeben?

Nein, überhaupt nicht. Zunächst war es allerdings auch so geplant, dass ich als Schwangerschaftsvertreter für ein Jahr herkomme. Ich wollte damals die andere Seite des Schreibtisches kennenlernen, schauen, wie so ein Kulturzentrumsleiter denkt, nach welchen Kriterien er einkauft. Dieses Wissen wollte ich dann für unsere Produktionen nutzen.

Und dann?

Das Jahr ging rasend schnell rum und dann kam der Plan auf, dass meine Vorgängerin und ich den Job teilen. Das wollte sie nicht und hat sich zurückgezogen. Ich hatte da aber schon meinen Halbtagsvertrag unterschrieben und dann kam das Angebot, ob ich es nicht ganz machen will. Und ich habe gesagt, ist ok, mache ich.

Wie haben Sie damals den Umzug von Hamburg in den Süden erlebt?

Für mich war klar, wenn ich hier arbeite, dann will ich auch in Puchheim wohnen, damit ich alles kennenlerne und weiß, wie der Ort tickt. Deswegen waren München oder eine andere Gemeinde nie eine Alternative. In Hamburg habe ich eher in der Innenstadt gewohnt, da ist Puchheim natürlich schon ein Unterschied. Wobei man von hier ja viel schneller in der Münchner Innenstadt ist als vom Hamburger Stadtrand ins Zentrum. Deswegen habe ich auch nie verstanden, warum nicht mehr Münchner hier rauskommen.

Es ist also Ihre Beobachtung, dass nur wenige Münchner ins Puc gekommen sind?

Ich habe Freunde in München, denen habe ich immer gesagt: Kommt doch mal raus. Aber für die ist Puchheim Prärie. Pasing ist da schon gewagt, vielleicht verwegen. Aber immerhin können sie sich das noch vorstellen. Aber jenseits davon? Undenkbar.

Sie haben gesagt, dass Sie damals nach Puchheim gezogen sind, um den Ort kennenzulernen. Wie haben Sie Puchheim wahrgenommen?

Bis heute fehlt ein klarer Ortskern. Damals wie heute gibt es beispielsweise auch keine richtige Kneipenszene. Ich glaube, das hat mir am meisten gefehlt, es ist immer schön, wenn man ein paar Kneipen hat, bei denen man sagen kann, da gehe ich hin und treffe Freunde. Für mich braucht ein Ort einen Mix aus Kultur- oder Bürgerhaus, Bildungseinrichtungen wie Volkshochschule und Bibliothek und eben etwas, wo man hingehen kann.

Im April 2000 übernimmt Michael Kaller die Leitung des Puchheimer Kulturzentrums. Eigentlich nur ein Jahr als Schwangerschaftsvertretung. Geblieben ist er dann bis heute. (Foto: Johannes Simon)

Wie war es eigentlich damals um die Kulturlandschaft in Puchheim bestellt?

Es gab Veranstaltungen im Sitzungssaal der Gemeinde, für die hatte man extra einen Flügel angeschafft, es gab etwas in der Aula des Gymnasiums. Nur eben keinen zentralen Ort, keine bestehende Kulturtradition, an die man anknüpfen konnte. Aber es war das klare Bestreben da, Puchheim mit Kultur zu versorgen. Es war damals auch der Auftrag des alten Bürgermeisters, dass das Puc ein Kulturvollprogramm anbietet und alle Genres, so gut es Budget und Räume zulassen, abdeckt.

Haben die Puchheimer dieses Engagement honoriert?

Es ist ja grundsätzlich so, dass Puchheim erst 1972 mit der S-Bahn richtig groß geworden ist. Viele haben sich damals hier ihr Häuschen gekauft und sind hier alt geworden. Diese Leute sind sehr froh, dass es vor Ort ein Kulturangebot gibt und sie nicht immer nach München reinfahren müssen. Ihnen reicht das, was wir hier an Theater, Kabarett und Konzerten anbieten können. Deshalb finde ich es wirklich sehr schön, dass wir da gerade älteren Menschen helfen können, ihr kulturelles Bedürfnis zu befriedigen.

Welche Veranstaltungen sind bei den Puchheimerinnen und Puchheimern am gefragtesten?

Ganz klar Kabarett, das hat sich auch über die Jahre nicht geändert. Genauer gesagt sogar bayerisches Kabarett. Und zum anderen sind es Dinge, wie die Puchheimer Taschenoper, da haben wir mittlerweile einen sehr schönen Stamm an Leuten, die das goutieren und toll finden. Wenn man ein lokales Projekt aufzieht, dann wird das oft gut angenommen. Deswegen haben wir versucht, viele eigene Projekte zu organisieren, gleich im zweiten Jahr mit den Vexations von Satie, einem sphärischen Klavierstück von drei Minuten, das 28 Mal wiederholt wird. Wir haben es für alle Instrumente geöffnet und es haben 250 Musiker mitgemacht, Profis und Laien auf zwei Bühnen, 24 Stunden am Stück, das war toll und faszinierend. Zum 20-jährigen Jubiläum haben wir es dann nochmal in ähnlicher Form wiederholt und auch das hat erstaunlich gut funktioniert.

Michael Kaller und das rote Sofa: Zweimal im Jahr hat der Kulturamtsleiter Künstler aus dem anstehenden Programm eingeladen, um sich mit ihnen über ihre Arbeit zu unterhalten. (Foto: Günther Reger)

Ist es Ihnen eigentlich entgegengekommen, dass das Puc ein eher kleineres Haus ist und man so vielleicht mehr experimentieren kann und nicht immer die ganz großen Produktionen holen muss?

Absolut. Dadurch, dass das Puc maximal ein mittelgroßes Haus ist, hat man nicht ständig den Druck, alles vollkriegen zu müssen, und kann in der Tat mehr experimentieren. Wenn hier etwas nicht funktioniert, ist es nicht ganz so ein großes Drama. Wenn ich ein Haus mit 1000 Plätzen habe, dann sollte es schon öfter Mal voll sein. Und dann bin ich natürlich gezwungen, die großen Produktionen einzukaufen. Ich habe es auch immer als Herausforderung empfunden, Sachen zu machen, die das Haus eigentlich nicht hergibt. Die Taschenoper zum Beispiel. Wir haben keinen Orchestergraben, wir haben eigentlich gar nichts dafür. Aber wir haben es dem Haus abgerungen und konnten kreativ mit solchen Herausforderungen umgehen, das fand ich immer super spannend hier.

In knapp einem Monat werden Sie ihren letzten Arbeitstag im Puc haben. Schleicht sich schon etwas Wehmut ein?

Ich muss ehrlich sagen, ich freue mich auf den Ruhestand. Für mich ist die Taschenoper das letzte Projekt, der Schlussstein, der jetzt kommt und danach kann ich loslassen. Damit kommt etwas zu seinem Ende und das ist auch gut so.

Wie geht es nach dem Abschied aus Puchheim bei Ihnen weiter?

Meine Frau lebt in Günzburg, da werde ich hinziehen. Ich bin wirklich froh, in ein Leben einzutreten, das nicht von Terminen geprägt ist. Aktuell ist das oft schwierig, wir können uns nur am Wochenende sehen und da sind dann auch oft noch Veranstaltungen. Dieser Termindruck, privat und beruflich unter einen Hut zu bringen, das war teilweise schon grenzwertig. Deswegen freue ich mich wirklich auf das, was kommt.

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