Kultur:"Wir wollen Arbeit sein!"

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Verzweifelte Studierende im Hörsaal: Zu viele Folien, zu wenig Zeit zum Nachdenken. (Foto: Katharina Holzhey/oh)

Der Film "Fachbereich 0" von Katharina Holzhey zeigt eindrücklich und mutig, wie Studierende unter den enormen Lernanforderungen zusammenbrechen

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Manchmal liegen zwischen "Fantasie ist es, die unserem Leben eine Richtung gibt" und "Wir wollten arbeiten, bis wir nichts mehr sind als unsere Arbeit. Wir wollen Arbeit sein!" nur einige Semester und Tausende Buchseiten und Powerpoint-Folien, gepresst in ein enges Lehrplankorsett. All die Verzweiflung und den Niedergang jeglichen Optimismus, die dazwischen liegen, zeigt der gut halbstündige Kurzfilm "Fachbereich 0" der 25-jährigen Fürstenfeldbruckerin Katharina Holzhey, der nun an der Neuen Bühne Bruck seine Premiere gefeiert hat.

Es ist ein brutal bedrückendes Werk, das mehr auf Atmosphäre und Emotion setzt, als auf ausschweifende Erklärungen und Schilderungen. Angesiedelt irgendwo zwischen überspitztem Kunstfilm und Dokufiktion, die den Zuschauer mit unruhigen Nahaufnahmen mitten ins Geschehen zieht.

Als lose Rahmenhandlung dient Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen", das sich unter anderem mit dem großen Konformitätsdrucks der Gesellschaft gegenüber der Jugend auseinandersetzt. Holzhey, die in Tübingen Psychologie studiert, nutzt die Geschichte, um den Druck, der auf ihr und ihren Kommilitonen lastet, greifbar zu machen. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler studieren ebenfalls Psychologie und sind komplette Laien.

Und trotzdem - oder eben gerade deshalb - schaffen sie es, eine eindrucksvolle Authentizität in ihre Figuren zu legen. Verzweifelt sitzen sie dicht gedrängt im Hörsaal, wild in die Tasten hackend, während vorne am Pult ein ikonisch ausgeleuchteter Dozent nicht einmal die Technik bedienen kann ("Wie Sie sehen, sehen Sie nicht. Das ist aber auch nicht schlimm") und dann unbedruckt seine Inhalte auf sie hereinprasseln lässt. Aus der Verzweiflung wird erst ein Schreien und dann Weinen, bis die Studierenden zusammenbrechen. Kein großes Problem, eine Putzkraft kehrt eine Ohnmächtige einfach aus dem Hörsaal.

5000 Folien und 1000 Buchseiten pro Semester lerne der Tübinger Psychologiestudiernde auswendig, heißt es im Film. Eine Form des Lernens, die in diesem Studiengang bundesweit verbreitet sei. Holzheys Kritik: Das führt im besten Fall dazu, aktuelle Praktiken korrekt weiterzuführen. Die allerdings müssten selbst hinterfragt und diskutiert werden. Für genau diese Ermutigung zum kritischen und eigenen Denken und einen Blick über die Grenzen der Disziplinen bleibe aber durch den großen Workload kein Raum.

Die Kritik des Films geht weit über die Universität hinaus

Man darf "Fachbereich 0", der vom Team meist abends oder nachts in den Räumen der Fakultät gedreht worden ist, nicht als billige, einfache Jammerei selbstmitleidiger Studenten abtun. Nicht nur, weil er klug und reflektiert ist und überhaupt kein Mitleid erregen will, sondern auf reale Missstände im verschulten Bachelor-Master-System aufmerksam macht. Sondern auch, weil er noch eine viel größere Ebene hat. Nicht umsonst beginnt Holzhey ihren Film mit einer Rede über den Gewaltbegriff. Gewalt hat, wer Eigentum hat und über die Strukturen entscheidet - und das sind weder Studierende noch Arbeiter. Und so ist der Film von Anfang an auch eine Kritik am kapitalistischen System, das den Menschen Fantasie und Freiheit durch monotone, stupide Arbeitsprozesse austreibt.

Genau diese Debatte ist es, die Holzhey mit dem Film anstoßen will. Bei der Premiere des Films scheint ihr das auch gelungen zu sein. "Das Publikum war sehr interessiert, weil sie irgendwie gesehen haben, dass auch bei ihnen im Beruf der steigende Druck, immer mehr machen zu müssen, dazu führt, dass die Arbeitsqualität ziemlich darunter leidet. Jemand hat zu mir gesagt: Schade, dass es jetzt auch schon die Studierenden trifft", erzählt die 25-Jährige.

Und der Film ist nicht nur gesellschaftlich relevant und sollte schon deshalb noch möglichst viele Zuschauer bekommen. Er ist auch eine Ermutigung an die Studierenden, Kritik an den Zuständen zu üben, wenn der Druck zu hoch ist und sie den Eindruck haben, nicht das Richtige zu lernen - und dafür einzutreten, dass sich die Verhältnisse verbessern. Also den gleichen Mut zu zeigen, den Holzhey und ihre Schauspielerinnen und Schauspieler gezeigt haben, indem sie sich mit ihrer Kritik, die sicher nicht jedem gefallen wird, so öffentlich präsentieren.

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