Kultur:Musik als emotionale Stütze

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Bei dem Konzert im Kurfürstensaal entsteht eine besondere Nähe zwischen Musizierenden und Zuhörern. (Foto: Leonhard Simon)

Berührendes Gedenkkonzert von Bach-Chor- und Bach-Orchester Fürstenfeldbruck zum Gedenken an das Olympia-Attentat von 1972.

Von Klaus Mohr, Fürstenfeldbruck

Musik fängt da an, wo Worte enden. So könnte man ganz kurz zusammenfassen, welche Möglichkeiten die Musik hat. E. T. A. Hoffmann hat diesen Gedanken in Worte gefasst, wenn er schreibt, dass "die Musik dem Menschen ein unbekanntes Reich aufschließt." Überall dort, wo der menschliche Verstand nicht ausreicht, um Dinge zu begreifen, wo Gefühle die Oberhand gewinnen, da können Klänge eine Art emotionale Stütze sein. Das Olympiaattentat von 1972 ist so ein Ereignis, das wir rational auch nach einem halben Jahrhundert nicht wirklich begreifen können - und trotzdem müssen wir es aushalten. Es ergibt also Sinn, beim Gedenken Musik in den Mittelpunkt zu stellen. Bach-Chor und Bach-Orchester Fürstenfeldbruck wählten unter der Leitung von Gerd Guglhör dafür in verkleinerter Besetzung ein Programm mit eher wenig bekannten Werken und den Kurfürstensaal des Klosters als Aufführungsort. Als Solistin wirkte die Bratschistin Barbara Weiske mit. Dadurch entstanden eine besondere räumliche Nähe und eine starke klangliche Verbindung zwischen Musizierenden und Zuhörern.

Im Mittelpunkt des Programms standen Instrumental- und Chorwerke des 1946 geborenen lettischen Komponisten Pēteris Vasks. Seine Klangsprache hat deutlich tonale Wurzeln, doch befreit er die Abfolge von Klängen von festgelegten Regeln, so dass oft schwebende Höreindrücke zurückbleiben. Aus der Kombination aus Erdverbundenheit und offener Freiheit entstehen einfühlsame, ja geradezu erhebende Klänge, die der Schwere eines Gedenkens bei aller Ernsthaftigkeit Flügel für die Zukunft verleihen können.

Eingerahmt wurde die Konzertstunde von zwei Sätzen des Concerto für Viola und Streichorchester von Pēteris Vasks aus dem Jahr 2016. Der Kopfsatz (Andante) spannte Klangbereiche auf, indem der flirrende Beginn in den Geigen in Pizzicati in der klanglichen Mitte überführt wurden. Mit dem Einsatz der Viola kam der Klang dann quasi auf dem Boden an, indem die Solistin, ausgehend von einem tiefen, äußerst sonoren Ton, eine ganz weiche Kantilene entwickelte. Melodische Korrespondenzen zwischen der Bratsche und dem Orchester zeugten auf der Basis eines dichten Legatoklangs von Intimität und Selbstverständlichkeit. Im Finalsatz ging der Impuls nun von der Viola aus, das Orchester unterstützte sie mit sanften Liegeklängen. Wie eine Art Aufbruch wirkte die Zunahme an Bewegung und Dynamik, die dann sorgsam wieder auf den Violaton zurückgeführt wurde.

Hauptwerk des Konzerts war "The Fruit of Silence" für gemischten Chor und Streichorchester von Pēteris Vasks. Der Text stammt aus einem Friedensgebet von Mutter Teresa. Was im Violakonzert von einem Instrument geleistet wurde, erhielt nun durch den Chor eine direkt menschliche Komponente. So wurde der Chor, gerade auch durch seine beeindruckende Homogenität, zu einem wunderbaren Klangträger. Der Gesamtklang erfüllte den Raum, sprengte ihn aber nie, doch wuchsen Vokal- und Instrumentalstimmen zu einer untrennbaren Einheit zusammen. Die Deklamation des Textes trat in den Hintergrund und ging atmosphärisch im Klang auf.

Zwei Choräle von Johann Sebastian Bach fügten sich nahtlos in die Programmfolge ein. Mit stimmiger Zurückhaltung entstanden so elegische Ruhepunkte quasi aus der Unendlichkeit und für die Ewigkeit.

Analytische Erläuterungen zur Musik widersprechen im Kern dem offensichtlichen Anliegen Vasks, seine Musik allein durch das Hören zu verstehen. Dass letztlich jeder Zuhörer eigene und damit individuelle Hörzugänge findet, ist kein Defizit, sondern ein unerschöpflicher Reichtum, der direkt aus der Musik kommt. Die Moderationen waren daher absolut entbehrlich und hatten nur zur Folge, dass die wunderbare Spannung im Raum immer wieder neu aufgebaut werden musste. Die Zuhörer bedankten sich bei allen Ausführenden am Ende mit großem Beifall. Das humane Ethos dieser Musik war wohltuend, auch im Hinblick auf die zahlreichen weiteren Bedrängnisse für die Menschheit in der Gegenwart.

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