Mahnwache:Verstrahlte Muttertagsblumen und unbrauchbare Sandspielplätze

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Olchinger Grüne machen am Nöscherplatz auf den damaligen Super-Gau im Kernkraftwerk von Tschernobyl aufmerksam. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ein paar wenige Aktivisten der Olchinger Grünen erinnern am 36. Jahrestag an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.

Von  Karl-Wilhelm Götte , Olching

Die acht Aktivisten der Olchinger Grünen wirken bei ihrer Tschernobyl-Mahnwache auf dem Nöscherplatz mit Anti-Atomkraft-Transparent und Fahne etwas verloren. Der Einkaufstrubel auf der Hauptstraße ist nach 18.30 Uhr längst zu Ende. Passanten kommen zum 36. Jahrestag des Reaktorunfalls in der Ukraine kaum noch vorbei, dafür sind die Glocken von Sankt Peter und Paul sehr laut zu hören. Gekommen ist Christina Claus, langjährige Politikerin der Grünen im Landkreis. Claus ist 74 Jahre alt, immer noch Kreisrätin und bilanziert den jahrzehntelangen Kampf gegen die Atomkraft positiv: "Das Ziel ist erreicht - der Ausstieg steht fest."

Sie erinnert sich noch gut an die Tage um den 26. April 1986. Ihr Sohn war damals sechs Jahre alt und es ging darum, "den Kindern unverstrahlte Lebensmittel zu beschaffen". Sie war bei der Gründung der "Mütter gegen Atomkraft" dabei. Mütter fanden sich etwa zwei Wochen nach dem Super-Gau in Tschernobyl zunächst auf dem Marienplatz zusammen. "Sie legten dort ihre verstrahlten Muttertagsblumen zum Anti-Atomkraft-Zeichen zusammen", erzählt Claus. Wenig später gab es auch in allen größeren Landkreiskommunen "Mütter-gegen-Atomkraft"-Initiativen. Darüber hinaus bildeten sich Fachgruppen aus Medizinern, Naturwissenschaftlern oder Juristen, die das Thema bearbeiteten. Spendenaktionen, zum Beispiel für die krebskranken Kinder in Tschernobyl, fanden statt.

Die Nachrichten aus dem Atomkraftwerk erreichte Deutschland damals erst zwei Tage später. "Wir waren mit Freunden beim Griechen in München essen gewesen", weiß Heide Kuckelkorn, Sprecherin der Grünen in Olching, zu berichten "und sind dann im Regen nach Hause gelaufen." Dass der verstrahlt gewesen sein soll, habe man erst ein, zwei Tage später gehört. Kuckelkorn war damals 27 Jahre alt, Jochen Frings erst 18, hatte aber schon vorher die Anti-AKW-Bewegung unterstützt: "Ich hatte gerade meinen Führerschein gemacht und hörte im Autoradio vom Atomunfall." Auch er hatte den Regen erlebt. Genauso wie Michael Kircher, der 1986 in Nürnberg als Erzieher gearbeitet hatte . "Wir haben ja überall die Sandspielplätze gehabt", erzählt Kircher, der heute 69 Jahre alt ist und zur Olchinger Stadtratsfraktion gehört. Vor und nach Tschernobyl hatte sich Kircher auch an den Demos gegen die WAA in Wackersdorf beteiligt. Die Aktion Sandaustausch beschäftigte damals ganz Südbayern, genauso wie die Beschaffung unverstrahlter Babynahrung.

Die Folgen der verstrahlten Regenwolken von Ende April 1986, die sich besonders in Süddeutschland und im Raum München entluden, sind immer noch spürbar. Es ging immer wieder um die Halbwertszeit von Cäsium 137, die sich erst nach 30 Jahren halbieren würde. Das betrifft besonders Pilzsammler bis heute. So warnt ein Strahlenexperte des Münchner Umweltinstituts immer noch vor dem Genuss von Maronenröhrlingen. Wildschweine könnten immer noch stärker verstrahlt sein als Pilze. Reichen Tschernobyl 1986 und der mehrfache Super-Gau von Fukushima im Jahr 2011, den Ausstieg aus der Atomkraft hierzulande unumkehrbar zu machen? Ja, sagt Grünen-Sprecherin Kuckelkorn. Für sie steht fest: "Atomkraft funktioniert nicht und ist nicht rentabel." Zumal man in Deutschland zukünftig kein Strom-, sondern ein Gasproblem haben werde. Christina Claus glaubt das auch, hätten doch die "Mütter gegen Atomkraft" ihre verdienstvolle Aufgabe nach 35 Jahren erfüllt und sich im vergangenen Jahr aufgelöst.

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