Mutter vor Gericht:Tod eines Neugeborenen

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  • Eine Frau gebiert ein Kind und sagt, sie habe nichts davon mitbekommen.
  • Nicht einmal, dass sie schwanger war, will sie bemerkt haben.
  • Das Schwurgericht verurteilt sie zu einer Bewährungsstrafe.

Von Andreas Salch, Germering

"Ein Anblick, den man nicht vergisst"

Es ist kurz nach 8 Uhr am Morgen des 18. August 2012, als eine Streifenwagenbesatzung der Germeringer Polizei den Notruf "Baby verstorben" erhält. Die Beamten eilen zu dem Anwesen. Notarzt und Kindernotarzt sind bereits da. Was sie sehen, lässt ihnen den Atem stocken. Katarina K. sitzt auf der Veranda des Anwesens und weint. In ihren Armen hält sie ihr totes Kind. Es ist in ein Handtuch eingewickelt.

"Das ist ein Anblick, wie man ihn als Polizist auch nicht vergisst", sagt einer der beiden Streifenbeamten zweieinhalb Jahre später. Er ist als Zeuge geladen in dem Prozess gegen Katarina K.. Seit dieser Woche muss sich die junge Frau vor dem Landgericht München II wegen Totschlags durch unterlassene Hilfeleistung verantworten. In jener Augustnacht hatte sie in ihrem Badezimmer im Dunkeln ein Kind geboren - ohne davon etwas mitzubekommen, wie sie selbst sagt: Sie habe keinen "Bezug mehr zu ihrem Körper" gehabt.

Die Frau glaubte an Bauchschmerzen und einen Blutsturz

Als die Polizeibeamten ihre Aussagen machen, weint Katarina K. bitterlich auf ihrem Platz auf der Anklagebank. "Der Vorfall brennt sich auch bei einem Polizisten, der selber Kinder hat, ein", sagt ein anderer Polizist aus. Die 26-Jährige ist groß, etwas korpulent, stammt aus Hamburg und war einen Tag vor der Geburt aus der Hansestadt mit dem Zug zu ihrem Halbbruder nach Germering gefahren. Sie hatte ihren kleinen Sohn dabei. Wenn sie von ihm spricht, gebraucht sie immer das Wort "Lütte", die norddeutsche Bezeichnung für Kind. Der Sohn wurde vor wenigen Tagen fünf Jahre alt. Katarina K. sagt, sie liebe das Kind über alles.

Immer wieder beginnt die 26-Jährige, die in einem Heim aufwuchs, nie einen Beruf erlernt hat und derzeit von Hartz IV lebt, laut zu weinen. Dabei presst sie die Lippen aufeinander, schüttelt den Kopf, streift sich die Haare aus dem Gesicht. Sie beteuert, dass sie von der Geburt nichts bemerkt habe. Hätte sie das Mädchen gesehen, "ich wäre mit ihr nach Hamburg zurückgelaufen und hätte meinen Lütten noch unter den Arm geklemmt", sagt Katarina K. mit tränenerstickter Stimme.

Am Abend zuvor rauchte sie Hasch

Irgendwann in der Nacht auf den 18. August sei sie mit Bauchschmerzen aufgewacht und ins Badezimmer gegangen, so die Angeklagte. Das Licht habe sie nicht angeknipst. Als sie sich in den Genitalbereich fasste, habe sie bemerkt, dass sie stark blutete. In diesem Augenblick habe sie an einen Blutsturz gedacht. Vom Flur sei nur etwas Licht ins Bad gefallen. Überall habe sie das Blut gesehen. Sie habe es mit Handtüchern zusammengewischt. Der Vorsitzende Richter Martin Rieder fragt, warum habe sie nicht an eine Geburt gedacht habe - sie hatte doch schon ein Kind zur Welt gebracht. Katharin K. widerspricht. Es sei soviel Blut gewesen, das könne man nicht mit einer Geburt vergleichen. Sie habe zuvor mit Sicherheit keine Wehen gehabt.

Die Richter glauben der jungen Frau - zumindest zum Teil

Was geschah, nachdem sie das Blut aufgewischt habe, wisse sie nicht mehr. Sie wolle nicht ausschließen, sagt die 26-Jährige, dass sie vieles verdrängt habe. Erinnern könne sie sich nur noch daran, dass ihr Halbbruder am nächsten Morgen an ihr Bett kam und sie mit den Worten anschrie: "Was ist denn hier los?" Er hatte das tote Kind im Bad gegen 7.30 Uhr entdeckt. Da er angeblich Drogen in seiner Wohnung hatte, soll er diese erst weggeschafft haben. Um 8.02 Uhr verständigte er die Rettungsleitstelle. Die Angeklagte hatte eingeräumt, am Abend zuvor mit ihrem Bruder Haschisch geraucht und Amphetamine genommen zu haben. Dadurch habe sie sich schon ein "bisschen eingenebelt gefühlt".

Ein Notarzt und ein Kindernotarzt versuchten, das Baby zu retten. Laut den Ermittlungen starb es an Sauerstoffmangel aufgrund unzureichender Beatmung. Bis zum Eintreffen der Notärzte hätten sich bereits im Hirnkammern-System Blutgerinnsel gebildet. Das Mädchen war bei der Geburt 38 Zentimeter groß und wog 1176 Gramm. Katarina K. befand sich in der 30. Schwangerschaftswoche.

Die Schwurgerichtskammer verurteilte die 26-jährige am Mittwochnachmittag zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt - auch weil das Gericht der Angeklagten glaubte, dass sie von der Schwangerschafts nichts wusste. Dass sie die Geburt nicht realisiert habe, glaubten die Richter indes nicht. Und: Nach Überzeugung der Kammer hat das Kind, ein Mädchen, gelebt und hätte am Leben gehalten werden können.

© SZ vom 21.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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