Kommentar:Überfällige Atempause

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Es war ein ungebremstes Bevölkerungswachstum zu erwarten. Dass es nun nicht so kommt, wird dem Landkreis gut tun.

Kommentar von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Die Prognosen zum ungebremsten Bevölkerungswachstum der Region bekamen mit der Zeit einen immer unangenehmeren Beigeschmack. Schließlich erlebt jede und jeder täglich angesichts verstopfter Straßen, überfüllter S-Bahnen und in schwindelerregende Höhen steigender Wohnungspreise und Mieten mit, wie sehr der Zuzug von Hunderttausenden belasten und frustrieren kann. Angesichts dieser Überforderung lassen die neuesten Prognosen des Planungsverbands zumindest für den Landkreis auf eine überfällige Atempause, vielleicht sogar auf eine Trendwende hoffen. Vorerst ist es nur eine Momentaufnahme mit vielen Unwägbarkeiten.

Eine Atempause brauchen die Kommunen und deren Bürgerinnen und Bürger dringend. Damit nachgeholt werden kann, was während diverser Wachstumsschübe versäumt wurde oder wegen knapper Finanzmittel nicht zu leisten war. Das ist nötig, um für die Bevölkerung die Folgen einer ungesunden Entwicklung abzumildern und deren Lebensumfeld lebenswert zu erhalten. Es sollte nicht mehr Quantität gefragt sein, sondern vor allem Qualität. Was mehr Lebensqualität bedeutet, aber nicht nur mit hohen Kosten gleichzusetzen ist. Das schließt Begegnungsräume, neue Formen des Wohnens, des Bauens, des Zusammenlebens, der Mobilität und der Stadtplanung mit ein, wie sie die Räumliche Entwicklungsstrategie für den Landkreis bis zum Jahr 2040 in Grundzügen aufzeigt. Das ist nur möglich, wenn die Kommunen als Akteure in einem gigantischen Monopolyspiel künftig bei der Ausweisung von Bauland einen größeren Anteil am Planungsgewinn erhalten. Dies ist überfällig, damit die Folgelasten diese nicht mehr regelmäßig in ihrer Handlungsfähigkeit beschränken. Einfamilienhaus, Trennung von Arbeit und Wohnen und lebenslanges Pendeln können nicht das Zukunftsmodell für das Leben im Landkreis sein.

Ein Zuwachs von nur noch 0,25 Prozent pro Jahr anstelle des bisher noch als erträglich geltenden einen Prozents könnte Druck aus einem überhitzen Kessel nehmen. Um Zeit für eine zeitgemäße, zum Landkreis passenden Stadtplanung zu finden. Letztlich begleitet der durch ein zu schnelles, kaum zu steuerndes Wachstum bedingte Nachholbedarf den Landkreis schon seit zwei Generationen. Zweimal hat man sich zur Linderung der Münchner Wohnungsnot den Kraftakt aufgebürdet, einen Zuwachs von etwa 60.000 Einwohnern in nur zwanzig Jahren zu stemmen. Seither hecheln mit den Folgelasten überforderte Kommunen in der Aufholjagd zwischen dem Zuzug der Neubürger und dem Zwang, nachträglich die für deren Bedürfnisse notwendige Infrastruktur zu schaffen, jedem Wachstumsschub hinterher. Und zwar in der undankbaren Rolle, von dieser Entwicklung getrieben zu sein, statt sich in der Rolle derjenigen zu finden, die mit Augenmaß vorausschauend steuern, wohin die Reise geht.

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