Kunst:Fäuste, Tränen, Visionen

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In einem einzigartigen Kunstprojekt in Marthashofen verarbeiten minderjährige Asylbewerber die Erlebnisse ihrer Flucht

Von Karl-Wilhelm Götte, Grafrath

Jawid steht vor seiner Collage und der 19-jährige junge Mann aus Afghanistan singt noch ein Lied in seiner Heimatsprache. "Es ging um Liebe zu einer Frau", übersetzt ein anderer afghanischer Flüchtling das Thema des Liedes. Jawid gehört zu den zwölf minderjährigen Flüchtlingen, die am Kunstprojekt "Gegen die Wand" teilgenommen haben. Vier Künstlerinnen unter der Leitung von Christina Kuehn haben sechs Wochen lang mit den jungen Flüchtlingen im Kunsthaus Bella Martha in Grafrath zu den Themen Flucht, Heimatland, Neuland und Zukunft gearbeitet und in diesem Workshop erstaunliche Werke geschaffen. Jetzt wurden sie in einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert.

"Freiwillige Abhängigkeit ist der schönste Zustand und wie wäre der möglich ohne Liebe", hat Nazim aus Afghanistan auf seine Collage geschrieben. Darüber rankten düster wirkende Berge in Schwarz und Grau, davor ein blauer See mit Wiese und Bäumen. Siar Hakim hat ein lebensgroßes Selbstbildnis gezeichnet. Der heute 17-Jährige sieht sich in einer grünen Landschaft. Darüber ist ein tränendes Auge zu erkennen. Auch Stacheldraht und Gitterstäbe eines Gefängnisses sind zu sehen. "Das Bild zu malen, war sehr schwer für mich", sagt Siar. Er vermisse seine Mutter und seine Schwester sehr. "Auf der Flucht habe ich viele Dinge erlebt, die ich nicht wieder erleben möchte", bekräftigt Siar. Seine Schlussfolgerung hat er auf sein Bild geschrieben: "Ich werde niemals liegen bleiben. Ich werden immer wieder aufstehen."

Adam Sissé aus Burkina Faso steht groß mit Händen über den Kopf im Bild. Das bedeute, die Freiheit und die Würde des Menschen zu schützen. Wald, Grün und Tiere sind in seiner Collage zu sehen. Ein Haus und ein Auto sind auch dabei. "Das sind mein Wunschhaus und mein Wunschauto", kommentiert er diese Mixtur. Boubacar Sall äußert sich auch politisch. Der 17-jährige Jugendliche aus Guinea steht mit erhobener linker Faust in seinem Gemälde. "Bei uns kämpfen die verschiedenen Ethnien gegeneinander", sagt er, "und die Politik in unserem Land ist schlecht."

An sechs Samstagen kamen die Jugendlichen aus Afghanistan und Afrika nach Marthashofen. Sie wurden von den Künstlerinnen in Grunertshofen und Fürstenfeldbruck in ihren Unterkünften abgeholt. "Sie waren immer von zehn bis 17 Uhr hier und haben mit viel Elan gearbeitet", berichtet Malerin Christina Kuehn. "Das habe ich bisher noch nicht so oft erlebt." Auch Dozentin Freya Junker, die ebenfalls für Malerei zuständig ist, ist von dem Einsatz der Jugendlichen, die zuvor kein künstlerischen Ausdrucksformen kannten, begeistert: "Ich habe selten so intensiv arbeitende, höfliche und willige Menschen getroffen." Neben den Collagen haben sie mit Bildhauerin Cornelia Rapp noch ein Selbstbildnis in Sandstein gemeißelt. Diese stehen auf einem Tisch in der Mitte des Raumes.

Die Jugendlichen haben sich den Dozentinnen gegenüber, zu denen noch die Grafikerin Lena Keller gehörte, sehr offen gezeigt. "Es hat Gespräche gegeben über Ehe, Frauen und Glauben, genauso über Unterschiede und Gemeinsamkeiten", berichtet Kuehn. Immer sei das Miteinander geprägt gewesen von würdevoller Behandlung und Respekt. Das Projekt haben Kuehn und ihre Mitstreiterinnen in mühevoller Vorbereitungszeit auf den Weg gebracht. Sie mussten einen umfangreich begründeten Antrag beim Berufsverband Bildender Künstler einreichen, um einen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Zuschuss von 3900 Euro zu erhalten. Für ein Honorar für die vier Künstlerinnen blieb da kaum etwas übrig. "Für dieses Geld würde ich das nicht noch einmal machen", kritisiert Kuehn diese minimale Förderung. Vieles sei überhaupt nicht förderungsfähig gewesen. Kuehn ungehalten: "Unsere intensive Vorbereitung wurde überhaupt nicht honoriert."

Die Freude an der Arbeit mit den Flüchtlingen hat die vier Künstlerinnen für vieles entschädigt. So auch der bemerkenswerte Kommentar von Hamid aus Afghanistan zu seinem von ihm erstellten Bild, in dem er sich als Mann in Denkerpose sieht. "Wir Menschen haben zwei Hände", erzählt er den Ausstellungsbesuchern, "mit einer Hand helfen wir uns selbst, mit der anderen Hand den anderen." Hamid hofft, dass er in Deutschland bleiben kann, um seine Lebensziele zu erreichen. Der 18-jährige junge Mann möchte studieren und gerne Flugzeugmechaniker werden.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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