Konzert:Kraftvoll dramatisches Geschehen

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Die Aufführung von Bachs "Johannes-Passion" unter Gerd Guglhör erntet großen Beifall des Brucker Publikums. Dieser gilt allen Beteiligten wie der Geschlossenheit der Interpretation

Von Klaus Mohr, Fürstenfeldbruck

Betrachtet man das Geschehen um die Passion Christi, dann ist sie heute genauso aktuell wie vor rund zweihundert Jahren: Ein Mensch, der sich nicht schuldig gemacht hat, wird hingerichtet. Das ist nach wie vor ein Skandal, dessen Eindringlichkeit durch die Vertonung noch gesteigert werden kann. Wenn Gerd Guglhör mit Bach-Chor und Bach-Orchester Fürstenfeldbruck die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach aufführt, dann ist das nicht nur ein alle paar Jahre wiederholtes Ritual am Karfreitag. Es ist auch immer spannend zu erleben, welche Akzente er diesmal setzt.

Foto: Johannes Simon (Foto: N/A)

Von Bach gibt es keine letztgültige Fassung, weil er bei verschiedenen Aufführungen schon im 18. Jahrhundert eine Flexibilität praktizieren musste, die im künstlerischen Betrieb heute absolut unerlässlich ist. Aus diesem Grund existieren zu manchen Nummern der Version, die meistens aufgeführt wird, Alternativen. Im Vorfeld wurde bekannt, dass Guglhör sich für mehrere solcher Alternativfassungen entschieden hat. Wer nun das ausverkaufte Konzert im Stadtsaal besucht hat, konnte feststellen, dass diese alternativen Fassungen die Interpretationsmaximen des Dirigenten besonders gut unterstützten. Als Vokalsolisten waren Clemens Joswig (Bassbariton, Jesus), Roswitha Schmelzl (Sopran), Anna Haase van Brincken (Alt), Hermann Oswald (Tenor) und Benedikt Eder (Bass) zu hören.

Wenn Gerd Guglhör mit Bach-Chor und Bach-Orchester Fürstenfeldbruck Bachs Johannes-Passion aufführt, dann ist das nicht nur ein wiederholtes Ritual am Karfreitag. (Foto: Johannes Simon)

Den Eingangs-Chorsatz mit der zu Tönen gewordenen Dreieinigkeit Gottes inszenierte Guglhör als wogende Klangfläche, die aus der spannungsvollen Linienführung in den einzelnen Stimmen entstand. In der kraftvoll dargestellten Allmacht Gottes bildeten die Dissonanzen, die für das Leiden Jesu stehen, in das klangliche Geschehen integrierte Impulse. Der prägnante Choreinsatz der etwa 100 Sänger "Herr unser Herrscher" setzte sich so auf den stetig bebenden Untergrund. Hermann Oswald, der Rezitative als auch Tenor-Arien übernahm, beschränkte sich in der Rolle des Evangelisten vom ersten Rezitativ "Jesus ging mit seinen Jüngern" an auf den Bericht des Geschehens. Untadelig in der Deklamation und klar in der Diktion bildete der Evangelist ein verlässliches Kontinuum durch das Werk, das als verbindendes Element von einer anderen Warte aus wahrgenommen werden konnte.

Foto: Johannes Simon (Foto: N/A)

Die Choräle löste Gerd Guglhör ganz aus einer mystischen Betrachtungsebene heraus und gab ihnen eine sehr aktiv kommentierende und reflektierende Funktion. Dabei arbeitete er mit sehr zügigen Grundtempi und unterstützte die Phrasenspannung durch dynamische Bögen. Mit diesen Elementen konstituierte Guglhör eine Dramatik der Johannes-Passion in der Nähe zur Oper der Barockzeit. Diese Akzentuierung mag von Theologen der Bach-Zeit im Kontext der Aufführung in einer der Hauptkirchen Leipzigs kritisiert worden sein, trifft aber die Dramaturgie der Handlung dennoch ganz ausgezeichnet.

Der durch die Chromatik expressiv aufgeladene Ausdrucksgehalt der Arie für Sopran und Bass (Benedikt Eder) "Himmel, reiße, Welt, erbebe" unterstützte diesen Gestus: Die virtuosen Koloraturen der Basspartie kontrastierten mit der als Cantus firmus gehaltenen Sopranstimme. Die polyphonen Chorsätze vermittelten nicht nur plastische Versiertheit und klangliche Strahlkraft. So geriet der Chor "Kreuzige, kreuzige" messerscharf in der Deklamation auf den kurzen Notenwerten, war aber schön ausbalanciert im Legato bei den zugleich erklingenden langen Noten. Vorausgegangen war das Rezitativ "Und gaben ihm Backenstreiche", bei dem die Backenstreiche tonmalerisch von der Laute zu hören waren. Bei aller Aktivität hatten auch die ganz lyrisch-kantablen Momente ihren Platz, so in der Arie "Ich folge dir gleichfalls", die Roswitha Schmelzl mit substanzreichem und glockenhellem Sopran gestaltete. Berückend schön gesungen war auch die ganz intime Alt-Arie "Es ist vollbracht". Der große Beifall des Publikums zum Schluss galt nicht nur allen Beteiligten, sondern auch der Geschlossenheit der Interpretation, die begeistert gefeiert wurde.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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