Kommunen neu verteilt:Geschacher um die Selbständigkeit

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Die Kreispolitik bestimmt vom Landratsamt aus nicht mehr wie ursprünglich 42, sondern seit 40 Jahren nur noch 23 Gemeinden. (Foto: Günther Reger)

Vor genau 40 Jahren wurden im Zuge der Gebietsreform auch die Gemeinden im Landkreis neu geordnet. Von ursprünglich 42 Verwaltungseinheiten blieben am Ende 23 übrig, bis heute. Eine Rückschau.

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

In den Siebzigerjahren gab es eine Zeit, da Landespolitik nicht nur in der Staatskanzlei und im Landtag, sondern maßgeblich vom Türkenfelder Rathaus aus mit beeinflusst wurde. Peter Ofer, der aufmüpfige damalige Bürgermeister der Landgemeinde, war bei der Umsetzung der Gemeindegebietsreform der wichtigste Gegenpol zur Staatsregierung und zeigte ihr Grenzen auf. Da als Mindestgröße von Kommunen damals 5000 Einwohner vorgegeben waren, fürchtete Ofer, die geplante Zusammenlegung Tausender Gemeinden ziehe den Verlust der kulturellen Identität der über Generationen gewachsenen Dorfgemeinschaften nach sich.

Das wollte Ofer verhindern. Sah er doch den Gemeinschaftssinn gefährdet. Er befürchtete, die Bürger würden nur noch auf Nummern reduziert, wie er rückblickend sagt. Deshalb gründete er 1977 in Türkenfeld die "Aktionsgemeinschaft demokratische Gebietsreform Bayern". Das war die Zeit, als Eingemeindungen nicht mehr nur freiwillig erfolgten, sondern auch unter Zwang umgesetzt wurden. Auch im Landkreis kündigten Gemeinden wie Überacker an, sich nur unter Protest zu fügen.

Die aufmüpfigen Türkenfelder befürchteten den Verlust der kulturellen Identität

Das erklärt, warum sich zur Gründung des Bündnisses in Türkenfeld annähernd 500 Bürgermeister und Kommunalpolitiker aus dem Freistaat einfanden. Mehr als 2000 Gemeinden traten der Aktionsgemeinschaft bei oder ließen sich beraten. Bei etwa 700 der damals 7010 Gemeinden Bayerns will das Bündnis, so Ofer, zum Erhalt von deren Selbständigkeit beigetragen haben.

Selbst Franz Josef Strauß traf sich zum persönlichen Gespräch mit dem Rebellen Ofer und entschied angeblich selbst, was der Fürstenfeldbrucker Altlandrat Gottfried Grimm (CSU) bestätigt, dass Türkenfeld wieder aus der Verwaltungsgemeinschaft mit Grafrath, Kottgeisering und Schöngeising ausscheiden und selbständig bleiben durfte. Es lohnte sich, für die Selbständigkeit zu kämpfen. Ermöglichte das doch Kompromisse und Sonderlösungen. So blieb das mit Biburg vereinte Alling selbständig, obwohl die Gemeinde nur 1800 Einwohner zählte. Auch den Emmeringern wollte man die Zwangsehe mit der ungeliebten Kreisstadt Fürstenfeldbruck nicht zumuten.

Zudem regierte die Staatsregierung auf Proteste. So schuf sie mit Verwaltungsgemeinschaften ein Modell, bei dem Kommunen formal mit einem eigenen Bürgermeister und Gemeinderat ihre Selbständigkeit und Planungshoheit erhielten, die Umsetzung der Beschlüsse und die Verwaltungstätigkeit aber einer für alle Mitglieder zuständigen Verwaltung übertragen wurde.

Die Notwendigkeit der Strukturreform bestreitet der inzwischen 79-jährige Ofer nicht. Hatten sich doch die Zuständigkeiten vervielfacht und waren von kleinen Einheiten nicht mehr zu bewältigen. So haben bis 1978 im Landkreis Fürstenfeldbruck 16 der damals noch 42 Gemeinden ihre Aufgaben ohne einen einzigen Angestellten erfüllt. Alle Arbeiten, die in deren Gemeindekanzleien anfielen, erledigten Ehrenamtliche. Neun weitere Gemeinden mussten sich mit einem einzigen Mitarbeiter begnügen, der für alles zuständig war, was zur lokalen Daseinsfürsorge anstand. Angesichts der Anforderungen, die inzwischen an Kommunalverwaltungen gestellt werden, sind solche Verhältnisse unvorstellbar. Mehr als die Hälfte der Landkreisgemeinden hatten weniger als 1000 Einwohner, 13 weniger als 500, Holzhausen war mit 73 die kleinste.

Unterpfaffenhofen und Germering sollten nach den Ideen des Altlandrats getrennt bleiben

Nachzulesen sind diese Zustände in einem Schreiben des damaligen Brucker Landrats Grimm vom Oktober 1973 an die Regierung von Oberbayern. Auf 42 Seiten begründete Grimm seine Vorschläge zur Gebietsreform, der größten Verwaltungsreform seit der von Graf Montgelas in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als aus etwa 40 000 Weilern, Dörfern und Städten 7000 Kommunen wurden. Grimm regte an, die Zahl der selbständigen Gemeinden radikal von 42 auf 18 zu reduzieren - bis 1972 waren es sogar noch 59 gewesen.

Als mit Veröffentlichung im Amtsblatt die vom 1. Mai 1978 an gültige Gemeindestruktur bekanntgegeben wurde, waren von 42 Kommunen 23 übrig geblieben, also fünf mehr als von Grimm vorgeschlagen. Ofer räumt ein, dass der Widerstand im Landkreis gegen die Reform nicht allzu heftig war. Das lag auch daran, dass sich der Westen von München bereits in einer Umbruchphase befand und einen enormen Bevölkerungszuwachs zu verkraften hatten. Zudem war der für die Reform zuständige Innenminister Alfred Seidl (CSU) direkt gewählter Stimmkreisabgeordneter des Landkreises. Er profitierte also von dem Wohlwollen seiner Wähler und von seinem Ministerbonus.

Die mit allen Gemeinden abgesprochenen Vorschläge des jungen Brucker Landrats zeugen von Flexibilität und Fingerspitzengefühl. Er plädierte für den Erhalt von Türkenfeld. Das mit Kommunalpolitikern und Bürgern abgestimmte Konzept bietet einige Überraschungen. So wird vorgeschlagen, Germering und Unterpfaffenhofen nicht zusammenzulegen, obwohl der Germeringer Gemeinderat dies bereits beschlossen hatte. Auch Esting sollte nicht Olching zugeschlagen werden, sondern selbständig bleiben. Wie Grimm beteuert, war er bestrebt, der jeweiligen örtlichen Situation gerecht zu werden, vor allem sollten die Bürger die gefundenen Lösungen mittragen. Warum es zu anderen Lösungen kam, weiß er nicht.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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