Kabarett:Scharfdenker und Schnellsprecher

Lesezeit: 2 min

Erwin Pelzig erfüllt in Germering die Erwartungen seiner Fans

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Der Beifall will nicht enden. Mehrmals muss Markus Barwasser, alias Erwin Pelzig, wieder auf die Bühne der Germeringer Stadthalle, um sich den prasselnden Applaus des Publikums abzuholen. Die mehr als tausend Besucher im restlos ausverkauften Orlandosaal zeigen sich begeistert, wie der Kabarettist ihnen in gut zwei Stunden die Verwerfungen dieser Welt nahe gebracht hat. Dabei ließ Barwasser kaum ein Ereignis, kaum ein Problem dieser Zeit in seinem neuen Programm "Weg von hier" aus. Was seine große Fangemeinde an ihm schätzt, ist seine eindeutige Positionierung gegen die Mächtigen dieser Welt, die ihre Macht missbrauchen.

Die hochpolitischen, klarsichtigen, aufmüpfigen, subversiven, verzweifelten Pointen des unbestechlichen Scharfdenkers und Schnellsprechers Pelzig folgen so dicht aufeinander, dass das Publikum mit Hören, Verstehen und Lachen kaum nachkommt. Das Programm kann also nicht beschrieben werden; man muss sich aufmachen, um es zu erleben. Ihn zu erleben sei jedoch Risiko, so Pelzig. Denn bis man heimkäme, könne es sein, dass die Wohnung zum doppelten Preis weitervermietet worden ist. Jamaica-Flop, Klimawandel, VW-Betrug, FIFA-Korruption, SUV-Protz, FDP und deren Wunsch nach Charakter oder Söder, dessen charakterliche Defizite in der CSU von Vorteil sind, SPD, AfD, Trump, die Abrissbirne oder Macron, das "Makrönchen", asoziale Netzwerke, Fake News, die EU, die mit subventionierten italienischen Tomatenmark die Tomatenpflücker in Ghana ruiniert und die Lügen der Geheimdienste - kein Thema bleibt hier unbearbeitet.

Bearbeitet wird alles so gründlich, so treffend, so bissig und in der Pelzig-Diktion so bürgerwütig. Auch die ständige Alltagsüberforderung, die Barwassers Figur Doktor Göbel zu einem verzweifelten Stakkato-Monolog herausfordert, gehört dazu und das wahnsinnsbefördernde Elend mit dem nicht funktionierenden Drucker. Und wer bislang noch nicht wusste, was ein GVZ ist, erfährt an diesem Abend auch dies. Auch das Träumer-Kritiker-Realist-Spiel, eine Technik aus der Psychotherapie, genannt "Voice Dialogue", führt Pelzig als Perspektivwechsel ein.

Barwasser geht es nicht um billige Pointen. Er hat ein Anliegen, stellvertretend für viele und zeigt die eigene wütend-verzweifelt-ohnmächtige Überforderung angesichts lokaler und globaler Probleme und deren Verursacher. Er vertritt seinen Standpunkt, angesichts des flächendeckenden und flächenfressenden Wahnsinns. Unabhängig davon, ob Publikumsaufklärung, Verbrechensbenennung und Verbrecherbeschimpfung viel, wenig oder nichts bewirkt. Barwasser rechnet eher mit wenig, bei der Suche nach Vernunft.

Diese Unvernunft schaffe eine Welt, in der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn 3000 Eure Rente bezieht, wohlgemerkt: pro Tag. Ehe Vernunft einkehrt, würde "Bild" tatsächlich, wie angestrebt, zur "ehrlichsten Zeitung" werden. Eher könnte der Berliner Flughafen fertig und 1860 München deutscher Meister (dies allerdings, bitte, in umgekehrter Reihenfolge) werden. Und weil die Welt so niederträchtig ist, schlägt Pelzig zurück: "Wenn man Heuchelei in Energie umwandeln könnte, wäre das fossile Zeitalter längst zu Ende."

© SZ vom 12.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: