Kabarett:Pointiert-politische Gstanzl

Gerhard Polt und die Well-Brüder amüsieren das Publikum in Germering mit Klassikern und Kommentaren zur Gegenwart

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Immer wenn die drei Well-Brüder ihre pointierten Gstanzl singen, gehen die Besucher im großen Orlandosaal in der Germeringer Stadthalle begeistert mit. "Asyl für Deppen heißt AfD", endet ein Refrain, ein anderer schließt mit "der Scheuer hat in seinem Hirn eine Diesel-Software drin". Der Andrang des Publikums zu einer Gerhard Polt-Lesung im musikalischem Wechsel mit den Well-Brüdern ist so groß wie in alten Zeiten, als Polt noch mit den Biermösln, einer Well-Formation in anderer Besetzung, aufgetreten ist. "Ja, der Polt", sagt Stadthallenchefin Medea Schmitt spürbar zufrieden und lächelt, als sie am Eingang "vollkommen ausverkauft" vermeldet. Dass die exakt 1090 Besucher erst eine Viertelstunde nach Veranstaltungsbeginn alle im Saal gewesen sind, ist an so einem Tag eher zweitrangig.

Polt und Well

Michael, Karl und Christoph "Stofferl" Well beweisen mal wieder,dass sie absolute Multiinstrumentalisten sind

(Foto: Günther Reger)

Alle ist wie immer schon. Gerhard Polt nimmt wie seit Jahrzehnten gewohnt auf einem Stuhl hinter seinem spartanisch wirkenden Holztisch Platz und liest vor. Täuscht der Eindruck? Nein. Mittlerweile 76 Jahre alt hält er sein Manuskript viel näher an seine Augen als zu früheren Zeiten. Er beginnt mit einem Text aus dem Epilog von "Wir sind Gefangene" von Oskar Maria Graf aus dem Jahre 1927. Es ist ein autobiografischer Roman Grafs. Seine frühe Begegnung mit Gott und dem Pfarrer, der ihn schon als Kind vom Glauben abfallen lässt. Erinnerungen an seinem ständig betrunkenen Vater. Seine Suche als Jugendlicher nach dem Sinn des Lebens bei Nietzsche, Schiller oder dem Anarchisten Bakunin. Sein ersten Erfahrungen mit einer Frau oder die List, mit der er sich vom Militär befreite und so um das sinnlose Töten im 1. Weltkrieg herum kam. Polt trägt das eher ruhig vor, ohne Pathos.

Polt und Well

Gerhard Polt begeistert die Besucher wie eh und je.

(Foto: Günther Reger)

Bei "Der rettende Vorschlag", einer Grafschen Beschreibung einer SPD-Versammlung in den Revolutionstagen von 1918 im "Mathäser-Bräu" in München ist das anders. Polt erweckt die Figuren, den Bauarbeiter und Versammlungsleiter Joseph "Seppi" Zankl und den Münchner SPD-Granden Albert Roßhaupter, der vergeblich die lautstarken Revolutionsforderungen der USPDler abzuwehren versuchte, stimmlich ganz wunderbar zum Leben. "Seppi" Zankl beendete die turbulente Veranstaltung mit den Worten: "Nacha mach ma halt a Revolution" und mit dem Zusatz "dass a Ruah is". Schön ist auch die Geschichte, wie zur Nazizeit aus dem penetranten Heil-Hitler-Gegrüße "drei Liter" wurde.

Die "Biermösl Blosn" hat sich 2011 nach 35 Jahren und einem Bruder-Streit aufgelöst. Die drei Brüder Michael, Karl und Christoph "Stofferl" treten jetzt als "Well-Brüder aus'm Biermoos" auf. Sie demonstrieren im Wechsel mit Polts Lesung ihr bekanntes musikalisches Können. Ein dutzend Instrumente, darunter eine mittelalterliche Drehleier, kommen zum Einsatz. Doch am meisten beißen sie mit ihrem Gesang - ihren bissigen Texten - in guter Biermösl-Tradition zu. Sie nehmen Söders Kreuz-Erlass aufs Korn. "Bayern ist jetzt ein Gottesstaat", singen sie, "jeder BMW kriegt ein Kreuz auf die Kühlerhauben." Oder "in jeder Hand ham's jetzt a Kruzifix, aber gescheits Internet ham's net." Beeindruckend aus dem Munde Polts Grafs Text "Verbrennt mich". Einen Zeitungsartikel, den Graf in Wien im Mai 1933 in der Wiener Arbeiterzeitung veröffentlicht hat, als in Deutschland die Nazis Bücher der namhaftesten Autoren verbrannt haben. Graf stand zunächst auf der sogenannten weißen Liste der von den Nazis empfohlenen Bücher, womit er mit einer verbalen Attacke antwortete. "Verbrennt mich!" war seine Aufforderung an die Nazis. Virtuos unterstreicht Polt seine stimmlichen und schauspielerischen Qualitäten bei Grafs "Kriegerdenkmal-Enthüllung". Seine Stimme überschlägt sich, wenn er den Pfarrer oder den Veteranen-Major, der nie eine Kaserne gesehen hat, im weinerlichen Ton reden lässt und den Anwesenden zwei Portionen Schweinsbraten und zwei Freimaß Bier verspricht. Darauf steigen auch die Well-Brüder ein. Mit dem Schweinbraten sei man gut aufgestellt: "Für Europa und die Welt, damit das Abendland nicht dem Islam in die Hände fällt." Das amüsiert und gefällt dem Publikum, das immer wieder mit begeistertem Szenenapplaus reagiert. Ein sehr vergnüglicher Abend.

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