Jahresrückblick:Die Krisen bewältigen, wie sie kommen

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Flüchtlingslager: Auch in Hallen - hier in Eichenau - müssen Flüchtlinge aus der Ukraine im Frühjahr 2022 untergebracht werden. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der Ukraine-Krieg erschüttert die Menschen im Landkreis, aber er lähmt sie nicht. Viele helfen, als die Flüchtlinge kommen. Dann folgen die wirtschaftlichen Konsequenzen.

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

Am 24. Februar ist die Corona-Lage immer noch angespannt. Die Siebe-Tage-Inzidenz wird mit 1503,2 angegeben, Tendenz sinkend. Das heißt, es gibt 1503 Infizierte je 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche im Landkreis. In der Kreisklinik werden an diesem Tag 22 Menschen wegen Covid-19 behandelt, zwei von ihnen sind so schwer erkrankt, dass sie beatmet werden müssen. Immerhin 146 917 Menschen sind bereits das zweite Mal geimpft, die Kampagne für die dritte Sars-CoV-2-Schutzimpfung läuft. Die Maske ist Pflicht, und auch die Abstands-und Hygieneregeln werden weiter propagiert. Das hält 70 Menschen am folgenden Tag nicht davon ab, auf dem Fürstenfeldbrucker Hauptplatz zu einer Mahnwache zusammenzukommen. Denn es ist etwas passiert, das sich auch in Fürstenfeldbruck niemand hat vorstellen können. Dass es wieder zu einem Krieg in Europa kommt. Der russische Angriff auf die Ukraine hat begonnen, und die Jugendorganisationen der Parteien, darunter JU, Jusos und die Grüne Jugend, wollen ein Zeichen gegen den Krieg und für den Frieden setzen. Und es ist der Moment, da CSU-Stadtrat Andreas Lohde in die Runde tritt, das Mikro übernimmt und seinen Freund Fedir Balandin aus einem Schutzkeller in Kiew via Handy zur Versammlung sprechen lässt. Lohde ist es dann auch, der sich - in Abstimmung mit den Veranstaltern - für die Fortsetzung der Demonstrationen für den Frieden in der Ukraine einsetzt.

In der Tenne im Veranstaltungsforum Fürstenfeld sammeln Freiwillige Spenden für die Betroffenen des Kriegs in der Ukraine. (Foto: Leonhard Simon)

Die Corona-Pandemie tritt nun als Krise ein wenig in den Hintergrund. Wichtig ist vielen Bürgerinnen und Bürgern die Sorge um Menschen in der Ukraine. Menschen, die ihre Wohnungen verlassen müssen, Menschen, die aus dem Land flüchten und Menschen, die es verteidigen wollen. Die einzige Kommune im Landkreis, die partnerschaftliche Beziehungen zu einer Stadt in der Ukraine pflegt, ist Eichenau. Bürgermeister Peter Münster (FDP) hat schon am ersten Tag des Kriegs mit seinem Amtskollegen Aleksej Momot in Wischgorod Kontakt und bietet ihm an, dass Flüchtlinge nach Eichenau kommen können. Wischgorod ist bereits Ziel eines russischen Angriffs gewesen, liegt es doch nur wenige Kilometer nördlich der Hauptstadt Kiew und direkt am Kiewer Meer, einem Stausee des Djenpr mit einem großen Kraftwerk. Und während auf dem Hauptplatz in Fürstenfeldbruck die blauen Fahnen mit der Friedenstaube und die blau-gelben Flaggen mit den ukrainischen Farben geschwenkt werden, sind bereits Flüchtlinge an der ukrainisch-polnischen Grenze, um in den Landkreis Fürstenfeldbruck zu reisen.

Vor dem Rathaus Eichenau, im Hintergrund die katholische Schutzengelkirche, zeigt die Flagge die Solidarität mit der Ukraine. (Foto: Lukas Barth)

Hilfsinitiative aus der Kreisstadt

Aus dem Nichts gründet sich in Fürstenfeldbruck die Initiative "Brucker helfen der Ukraine" und sammelt ein, was in der Ukraine benötigt wird. Für die, die bleiben wollen, und für die, die bleiben müssen. Auch in Eichenau werden Transporter gepackt. Lebensmittel, Decken, Betten, Medikamente, medizinisches Material und viele Erste-Hilfe-Kästen. Denn die ukrainische Armee wehrt sich gegen die Invasoren und hat Verletzte zu versorgen - und Tote zu beklagen. Von Fürstenfeldbruck aus fährt am dritten Tag des Krieges der erste Wagen mit Hilfsgütern ins polnische Lublin. Dort hat die Caritas einen Umschlagplatz eingerichtet, dort laden Ukrainer die Waren um und bringen sie in ihre Heimat. Gastronom Moritz Hickethier und Stadtrat Florian Weber (Die Partei) sind die Initiatoren und Motoren der Ukrainehilfe in Fürstenfeldbruck, und sie sind einigermaßen beeindruckt, dass am ersten Tag der Sammlung mehr als 300 Menschen aus Fürstenfeldbruck und dem Landkreis etwas abgeben. Es zeigt sich in den folgenden Tagen und Wochen, dass diese Spendenbereitschaft erst einmal nicht nachlässt, dass größere Lagerräume nötig werden und dass auch auf gezielte Aufrufe hin dann das gespendet wird, was in der Ukraine am dringendsten gebraucht wird. In Eichenau sind es, zum Beispiel, Medikamente oder Insulin, die direkt an die ukrainische Grenze gefahren werden. Im Laufe des Jahres kommen noch zwei Feuerwehrautos und zwei Krankenwagen dazu, die gebraucht gekauft werden.

Die Zahl der Flüchtlinge nimmt zu, die privaten Quartiere werden knapp, und der Landkreis richtet im Maisacher Gewerbegebiet ein zentrale Ankunftsstelle für Geflüchtete aus der Ukraine ein. Es werden in kürzester Zeit Hallen, etwa in Fürstenfeldbruck, Adelshofen und Eichenau, wie im Katastrophenfall ausgestattet und dienen als Massenquartiere. Die Asylhelferkreise, die schon 2014 die Hauptlast übernahmen, kommen wieder zusammen und sind den Kriegsflüchtlingen - und der Verwaltung - eine wichtige Hilfe. In Eichenau etwa erfassen Mitglieder des Freundeskreises Wischgorod die Daten der Ankommenden, kümmern sich um deren Anmeldung. Im Nachbarort Puchheim wird Geld aus dem Bürgerfonds vorgestreckt, um in Notfällen zu helfen. Die Stadt berät die Flüchtlinge, außerdem finden Impfaktionen statt. Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) sieht die Hilfsbereitschaft mit Wohlwollen, aber macht sich auch schon wenige Wochen nach der Ankunft der ersten Flüchtlinge bei Familien in Puchheim Sorgen: "Die Wohnzimmercouch ist irgendwann keine Lösung mehr."

Quartier in Hallen

Die private und ehrenamtliche Hilfe stößt schon sehr bald an ihre Grenzen. Ende März sind im Landratsamt 1500 Geflüchtete registriert worden, von denen aber nur etwa 270 in Hallen in Adelshofen, Eichenau, Gelbenholzen und Olching eine vorübergehende Bleibe gefunden haben. Die große Mehrheit der Flüchtlinge - überwiegend Ukrainerinnen mit Kindern - ist privat untergebracht. Und das bringt einige Gastgeberinnen und Gastgeber schon nach wenige Wochen in Schwierigkeiten. Die finanziellen Reserven der Geflüchteten gehen zu Ende, die Gastgeber helfen mit Geld aus, und manche verschulden sich sogar. Das ruft die Koordinatoren von Asylhelferkreisen aus zehn Kommunen auf den Plan, die fordern, dass die Auszahlung von Geld und die medizinischen Leistungen deutlich schneller gehen müssten.

Freilich gerät über den Sommer, als sich die Ukraine immer stärker wehrt und die russische Armee zurückdrängen kann, der Krieg etwas aus dem Wahrnehmung, weil nicht mehr so viele Flüchtlinge ankommen. Doch die Zahlen nehmen wieder zu, verursacht durch die anhaltenden Bombardierungen ukrainischer Infrastruktur und den Winter. Nach den Erfahrungen mit den Massenunterkünften in Turnhallen, erwägt der Landkreis am Ende des Jahres, vorübergehend beheizte Zelte aufzustellen.

Die Preise steigen

Eine weitere Auswirkung des Krieges auf den Landkreis sind die Preise für Strom und Gas, die drastisch steigen. Kein Energieversorger, der nicht Ankündigungen verschickt und die Kundinnen und Kunden darauf vorbereitet, dass sie bald höhere Abschläge zu bezahlen haben. In Germering etwa bekommen Gaskunden der Stadtwerke die schlechte Nachricht Anfang Oktober. Um 40 Prozent mehr wird der Brennstoff teurer, und das schon im folgenden Monat. Im Versorgungsgebiet der Stadtwerke Fürstenfeldbruck sind es etwa 800 Gaskunden, in Olching 500. Den Anbieter zu wechseln, macht die Sache aber noch teurer. In Fürstenfeldbruck und Olching etwa werden gar keine neuen Gaskunden angenommen, weil die beiden Stadtwerke keine Grundversorger sind. Anders ist das beim Strom. Da werden Abschläge fällig, die für manche Kunden existenzgefährdend sein können. Aber die Stadtwerke zeigen sich offen und wollen Lösungen anbieten.

Die politischen Konsequenzen sind nun überdeutlich. Der Landkreis will die Abhängigkeit von fossilen Energieträger reduzieren, aber ein Ausbau der erneuerbaren Energien wird sich so schnell nicht machen lassen. Jahrelang wurden Pläne für Windkraftanlagen nicht umgesetzt, weil in Bayern eine andere Stromproduktion favorisiert wurde. Die Abstandsregelung verbot zwar nicht den Bau von Windrädern, verhinderte ihn aber effektiv. In Jesenwang und Maisach wurde schon vor der Energiekrise geplant, und so könnten in den kommenden Jahren die nächsten drei Windkraftanlagen installiert werden. Autark wird der Landkreis damit noch nicht. Auch das Ziel, eine Energiewende bis 2030 zu erreichen, wird wohl nicht erreicht werden. Ziel 21, der Verein, der sich um diese Energiewende kümmern sollte und der sich mit Beginn der Gaskrise vor Beratungsanfragen nicht mehr retten konnte, wird aufgelöst. In seiner vorletzten Mitgliederversammlung wurde der nahezu unerschütterliche Vorsitzende Gottfried Obermair wiedergewählt. Er darf das letzte Jahr von Ziel 21 noch amtieren und den Verein abwickeln. Die Leistungen werden nun von einer Energieagentur übernommen, die der Landkreis Fürstenfeldbruck zusammen mit seinen Nachbarlandkreisen Starnberg und Landsberg gegründet hat. Nur hat diese neue Firma ihren Sitz nicht mehr in Fürstenfeldbruck.

Den sogenannten Spaziergängern, die nicht mit den Corona-Maßnahmen einverstanden sind, stellen sich in Fürstenfeldbruck Gegendemonstranten entgegen. (Foto: Stefan Salger)

Impfen, impfen, impfen

Abgewickelt wurden in diesem Jahr auch die Impfzentren. Das sah im Januar und Februar bei vierstelligen Inzidenzwerten zwar noch nicht so aus, wurde aber im Verlauf des Jahres immer deutlicher. Viele Menschen haben sich zur Impfung entschlossen, die meisten zu einer dritten oder bereits vierten. Corona ist nicht überwunden, aber es ist in der allgemeinen Wahrnehmung eine gewöhnliche Krankheit geworden. An der oder mit der Menschen auch im Landkreis noch sterben. Die aber kaum noch Schrecken auslöst. Im Mai fällt in vielen Bereichen die Pflicht, einen Mund-Nase-Schutz zu tragen. Seit 10. Dezember müssen auch Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr keine Maske mehr aufhaben. Es wird lediglich empfohlen. Auch Ungeimpfte haben nun wieder Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens, lediglich in Kliniken, Altenheimen und Pflegeeinrichtungen bleibt die Maske auf, und es werden weiterhin Schnelltestergebnisse verlangt.

In diesem Jahr ist es die Omikron-Variante des Virus, die sich schnell verbreitet. Die Zahl der Infizierten ist monatelang hoch, hoch ist aber auch die Impfrate. Der für den Landkreis zuständige Impfarzt Matthias Skrzypczak geht auch an für Impfungen ungewöhnliche Orte: ins Freibad in Germering oder Maisach etwa. Für ihn, sagte der Mediziner im Juli, sei es auch schon ein Erfolg, wenn sich jemand seriös beraten lässt, und viele würden das Angebot annehmen, "mal in Badehose mit dem Arzt zu ratschen".

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