Das A in der Blindenschrift ist ein Punkt. Auch Sehende können ihn leicht mit den Fingerspitzen ertasten. Aber dann wird es schon anspruchsvoller: Das B wird in der sogenannten Brailleschrift von zwei Punkten dargestellt, ebenso das C - beim B sind die Punkte untereinander angeordnet, beim C nebeneinander. Diesen Unterschied zu ertasten, erfordert schon eine Menge Fingerspitzengefühl, Konzentration und Aufmerksamkeit. Und man kann sich als Sehender nur schwer vorstellen, wie man auf diese Art ein Buch oder auch nur einen längeren Text lesen soll. Der kleine Ausflug in den Alltag von Menschen mit einer Beeinträchtigung beim Sehen ist Teil des sogenannten Inklusionskoffers; er soll Kindern einen Einblick geben in die Welt von Menschen mit Einschränkungen. Der Inklusionskoffer ist eines der Angebote beim ersten Inklusionstag im Landratsamt.
Die Inklusionsbeauftragte Sarah Grätz und ihre Kollegin Julia Stecher, Beauftragte für Menschen mit Behinderung, die beide seit diesem Jahr in der Kreisbehörde arbeiten, haben die Veranstaltung an einem Freitagnachmittag im großen Sitzungssaal des Landratsamtes ersonnen und organisiert. Der Inklusionstag solle dazu dienen, "Bewusstsein zu schaffen und Menschen zusammenzubringen", erläutert Grätz. Deshalb verschickten sie und Stecher die Einladungen "durch die Bank praktisch an alle", erzählt sie und nennt unter anderem Gemeinden, Schulen und Kitas als potenzielle Gäste. Nach Einschätzung der beiden jungen Frauen haben in den vergangenen Stunden bestimmt 70 Personen die Veranstaltung besucht - mit einer derartigen Resonanz für ihren ersten Inklusionstag sind sie mehr als zufrieden.
"Ich denke, wenn wir das jedes Jahr machen, kommen auch immer mehr Leute", mutmaßt Stecher; außerdem halte der Schneeregen heute sicher einige Leute von einem Besuch ab. Ein offizieller Aufhänger für den Inklusionstag ist übrigens der internationale Tag für Menschen mit Behinderung am darauffolgenden Sonntag, dem 3. Dezember und zugleich ersten Adventssonntag. "Wir fanden Freitag passender", unterstreicht Stecher bei der förmlichen Begrüßung.
Der Inklusionkoffer, den Gerti Ksellmann aus Rosenheim erläutert, zieht insbesondere das Interesse der erwachsenen Besucher auf sich. Sechs Puppen von der Größe eines Kleinkindes sitzen vor ihr auf dem Tisch, dazwischen Bücher und bunte Spielkarten. Fünf der Puppen haben eine Einschränkung, Maulwurf Brailli etwa hat eine Sehbehinderung, sein Name leitet sich von der Blindenschrift ab. "Es geht darum, dass die Kinder bei den Handpuppen aufmerksamer sind", erklärt Ksellmann, die selbst Erzieherin und Puppenspielerin ist. Im Landratsamt in Fürstenfeldbruck können Kitas und Schulen den Inklusionkoffer für bis zu vier Wochen ausleihen.
Die Kinder, die ebenfalls zahlreich, teils mit Eltern, teils mit ihrer Schulklasse, ins Landratsamt gekommen sind, probieren am kostenlosen Glücksrad begeistert ihr Glück. Etwa 15 lokale Unternehmen haben für die Gewinne sowie die gesamte Veranstaltung gespendet, auch das Kinderschminken bietet Susanne Droth natürlich kostenlos an. Am Sinnesparcours blödeln die Gesundheits-Clowns Knusper und Keks herum. Edigna M. Kellermann und Carolina Nehls sind von dem Inklusionstag "sehr begeistert", wie die beiden Lehrerinnen der FOS/BOS Fürstenfeldbruck, versichern. Auch ihre Schüler der Fachrichtung Gesundheit würden großes Interesse an den niederschwelligen Angeboten zeigen und nicht den Anschein machen, dass sie an diesem Freitagnachmittag lieber woanders seien, unterstreicht Nehls. Mit insgesamt drei Schulklassen, etwa 45 Schülerinnen und Schülern, sind die beiden Lehrkräfte ins Landratsamt gekommen. Wie Kellermann berichtet, gab es zu Beginn schon eine große Überraschung: Inklusionbeauftragte Sarah Grätz und Mit-Organisatorin der Veranstaltung war vor mehreren Jahren Kellermanns Schülerin. Nun zu erleben, wie eine junge Frau erfolgreich im Landratsamt arbeitet, die noch ein paar Jahre davor selbst auf derselben Schule gewesen sei, sei für ihre Schüler besonders motivierend, freut sich Kellermann.
Mit seinem Auftritt bringt der "Oh-Happy-Day-Chor - inklusiv mit Herz" schließlich noch viel Musik und gute Laune unters Volk.