Impfungen im Landkreis:Auf der Bremse

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Mittlerweile wird auch der Corona-Impfstoff von Johnson & Johnson in die Arztpraxen im Landkreis geliefert. Er hat gegenüber den anderen Produkten den Vorteil, dass für den vollständigen Impfschutz eine einzige Dosis ausreicht. (Foto: imago)

Zweitimpfungen gegen das Corona-Virus stehen derzeit im Fokus, für weitere Erstimpfungen fehlen aktuell die Vakzine. Und die Priorisierung gilt auch nicht mehr. Wie die Ärzte ständig neue Vorgaben aus der Politik umsetzen müssen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Die Impfquote stagniert. Im Landkreis sind gut 38 Prozent der Bevölkerung einmal gegen Corona geimpft. Die Zahl veränderte sich in den zurückliegenden Tagen kaum, weil vor allem Zweitimpfungen verabreicht werden. Das Impfzentrum ist angewiesen, diesen derzeit den Vorrang zu geben. Auch die niedergelassenen Ärzte, die sich seit Anfang April an den Corona-Impfungen beteiligen dürfen, sind jetzt vermehrt auch mit den zweiten Injektionen beschäftigt. Seit einer Woche müssen sie bei der Auswahl der Impfwilligen auch keine Prioritäten mehr beachten. Allerdings klagen sie derzeit wieder über zu wenig Impfstoff.

Die Zahlen belegen die neue Schwerpunktsetzung. Die Quote der Erstimpfungen steigerte sich zuletzt derart minimal, dass das nur noch hinter dem Komma aufscheint. Mit derzeit 38,70 Prozent liegt der Landkreis unter dem bundesweiten Durchschnitt (41,5 Prozent). Bei den Hausärzten wurden am Dienstag und Mittwoch insgesamt 651 Personen erstmals geimpft, im Impfzentrum waren es sogar nur noch 86 Personen. Damit hat sich der Trend der vergangenen Wochen umgekehrt, als es vor allem darum ging, möglichst vielen Menschen die erste Corona-Impfung zu verabreichen. Nun ist für viele der Zeitpunkt der zweiten Injektion gekommen. In den vergangenen beiden Tagen wurden im Impfzentrum 1347 Zweitimpfungen verabreicht, in den Arztpraxen waren es 1500.

Gerne würden die Ärzte in Praxen und Impfzentrum parallel auch mehr Erstimpfungen vornehmen, doch der Impfstoff fehlt. "Er ist im Moment so knapp, dass es für nicht viel mehr als die Zweitimpfungen reicht", weiß Matthias Skrzypczak, der ärztliche Leiter des Impfzentrums. Zuletzt habe man bis zu tausend Impfungen pro Tag durchgeführt. Und auch diese Zahl kann laut Skrzypczak bei Vorhandensein von genügend Impfdosen noch gesteigert werden: durch mehr Personal, längere Öffnungszeiten, Sonderaktionen.

Die Hausärzte klagen ebenfalls über zu wenig Impfstoff. "Wir kommen momentan nicht voran", sagt Philip Kampmann, der mit Kollegen die "Hausärzte-Amperland"-Praxen in Olching, Esting und Maisach betreibt. Mit der Folge, dass bereits terminierte Zweitimpfungen bisweilen "auch nach hinten verschoben" werden mussten. "Wir impfen derzeit wesentlich weniger, als wir eigentlich könnten." Normalerweise schaffen die drei Praxen Kampmann zufolge wöchentlich etwa 500 Corona-Impfungen, seit voriger Woche ist es ein Drittel weniger. Das löse Frust aus, vor allem auch bei den Patienten. Deren Anspruchshaltung ist gestiegen - auch weil die Politik die Rückgabe grundgesetzlich gewährter Freiheiten auch an eine vollständige Impfung gebunden hat.

Der Druck werde größer, berichtet Katja Ruppert, die in Germering mit ihrem Kollegen Lutz O. Tiedtke eine Hausarztpraxis führt. Die Leute würden ungeduldiger und "fordern klar ein, was sie wollen". Zum Beispiel einen bestimmten Impfstoff. Der "Drang zu Biontech" sei extrem hoch, sagt Ruppert. Und obwohl manche am Telefon ihr Plazet etwa für Astra Zeneca gäben, müsse man später trotzdem mit ihnen diskutieren. Vor allem die Über-Sechzigjährigen seien es, die Astra Zeneca ablehnten, obwohl die Ständige Impfkommission (Stiko) diesen Impfstoff in erster Linie für diese Gruppe und nicht für die Jüngeren empfohlen hat. Seit dieser Woche hat Ruppert auch das Vakzin von Johnson & Johnson zur Verfügung, das nur einmal gespritzt werden muss.

Dass die jüngeren Altersgruppen weniger wählerisch sind, ist auch dem Mammendorfer Allgemeinarzt Emanuel Nies aufgefallen. Er berichtet davon, dass das Telefon nicht mehr still steht, das E-Mail-Postfach regelmäßig voll ist und Patienten sich unzufrieden äußern, wenn sie nicht beizeiten dran kämen. Bisweilen fühlen sich die Ärzte von den Patienten "mental unter Druck gesetzt", wie Katja Ruppert sagt. Um einen Impftermin zu bekommen, würden die Anrufer darauf verweisen, dass sie doch regelmäßig in die Praxis kämen, und da müsse doch was zu machen sein. Viele versuchen derzeit, sich gleich in mehreren Arztpraxen auf die Wartelisten setzen zu lassen. Ruppert und Tiedtke weisen deshalb auf ihrer Internetseite darauf hin, dass aufgrund der hohen Nachfrage "überwiegend die Patienten geimpft werden können, die im letzten Jahr in unserer Praxis behandelt wurden".

Dass die Priorisierung, die älteren und kranken Menschen in den ersten fünf Monaten der Impfkampagne eine frühzeitigere Impfung sicherte, nun aufgehoben ist in bayerischen Praxen, lässt den Druck auf die Ärzte weiter wachsen. Nun würden "die Patienten mit uns ringen", beschreibt Philipp Kampmann die Situation. Er sieht sich und seine Berufskollegen in diesem Zusammenhang von der Politik zu Schiedsrichtern gemacht. Es sei schon "ein Dilemma" und bisweilen auch "gefühlt ungerecht", etwa für jene, die sich schon vor einiger Zeit angemeldet haben". Doch man versuche weiterhin, die Impfreihenfolge nach moralisch-ethischen und medizinischen Gesichtspunkten zu gestalten.

Auch Emanuel Nies bemüht sich, die Patienten mit Priorität drei, die auf seiner Warteliste stehen, zu bedienen. Wenn noch Impfstoff übrig ist, geht man aber auch ganz pragmatisch damit um: Ihn erhält dann, wer am schnellsten erreichbar sei, sagt Katja Ruppert. Wichtig sei, dass der Impfstoff nicht verfalle.

In den Impfzentren soll die Priorisierung bundesweit von 7. Juni an nicht mehr gelten. Dort ist das laut Matthias Skrzypczak weniger problematisch: "Die Leute kommen ja bereits mit einem Termin zu uns." Den erhalten sie über die Software Bayimco, über die sie angemeldet sind. Die Impfzentren hätten dadurch sogar den Vorteil, dass der Verwaltungsaufwand, nämlich die Unterlagen zu kontrollieren, die eine Priorisierung belegen, weniger wird. Das Impfzentrum ist derzeit bei Prioritätsgruppe drei angelangt. In dieser Kategorie sind 18 500 Landkreisbürger angemeldet. Jetzt im Sommer, wo die Inzidenzzahlen runter gingen, müsse man "den Impfturbo zünden", fordert Philip Kampmann - "nicht dass wir dann noch in eine vierte Welle reinrauschen".

© SZ vom 28.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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