Gröbenzell/Ghana:Vom Traum zur Wirklichkeit

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Geschafft: Anne Sittl (zweite von links) und Michael Ainooson (rechts) zeigen Besuchern aus Deutschland und der Schweiz das Gesundheitszentrum. (Foto: OH)

Die Gröbenzeller Ärztin Anne Sittl hat in Ghana ein Gesundheitszentrum aufgebaut

Von Ariane Lindenbach, Gröbenzell/Ghana

"Wenn einer träumt, ist es ein Traum, wenn zwei das Gleiche träumen, ist es der Beginn der Wirklichkeit." Diesen Ausspruch von Dom Hélder Càmara, eines brasilianischen Geistlichen, hat die zeitweise in Gröbenzell lebende Ärztin Anne Sittl an den Anfang ihres jüngsten Rundbriefs gestellt. Und damit sicherlich den richtigen Ton getroffen. Denn schon im nächsten Satz zieht sie eine Parallele zu ihrem eigenen Projekt und kann verkünden, dass der Bau des Gesundheitszentrums an der Küste von Ghana nun abgeschlossen ist und die Versorgung der Patienten beginnen kann. Und das ist noch nicht alles: Die Klinik verfügt über eine solide und tropentaugliche Grundausrüstung. Und über medizinisch geschultes Personal. Denn das Konzept hinter Anne Sittls Projekt ist nicht die dauerhafte Abhängigkeit von Spenden aus reichen Industrienationen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe.

Anne Sittl, die bereits während ihres Medizinstudiums mit ihren Eltern in Gröbenzell gelebt hat, hat nun dort ihren Zweitwohnsitz. Ihren Lebensmittelpunkt hat die 60-Jährige seit einigen Jahren an die westafrikanische Küste, nach Ghana, verlegt. Ihr Drang, andere Menschen zu unterstützen, begleitet die Mutter von drei Kindern praktisch ihr Leben lang. Nach dem Abitur arbeitete sie ehrenamtlich in einem Kibbuz in Israel. In den Neunzigerjahren, als viele Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland kamen, engagierte sie sich ehrenamtlich in einem Flüchtlingsheim in Erlangen. Dort hatte sie eine Art Aha-Erlebnis. Nämlich die Erkenntnis, dass es viel sinnvoller und nebenbei auch deutlich weniger aufwendig und kostenintensiv wäre, wenn man die Geflüchteten bereits in ihrer Heimat unterstützen würde. "Mir war es wichtig, dass Menschen ihre Heimat nicht verlassen müssen", betont sie. Vielmehr sollten die Menschen dank der Hilfe anderer irgendwann autonom leben können.

Und dieser Grundgedanke findet sich in allen Projekten wieder, die die drahtige Medizinerin seitdem verwirklicht hat. Egal, ob es die inzwischen fünf Nähwerkstätten sind, mit denen Mitte der Neunziger Jahre in Ghana alles begann, die folgenden Schlosser-, Schreiner-, Fahrrad-, Fernseh- und Radioreparaturwerkstatt sowie eine Garküche - sämtliche Werkstätten ermöglichen den darin arbeitenden Menschen, dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Desweiteren hat Anne Sittl mit ihrem Verein Ghana Freunde Takoradi und den eingesammelten Spenden den Bau einer Schule, von Brunnen in zwei Dörfern und einer Internatsschule unterstützt sowie die Ausbildung von Medizinstudenten, Lehrerinnen, Hebammen und Krankenschwestern gefördert. Und jetzt hat sie eben für viele Tausend Menschen im Einzugsgebiet von Brafoyaw, so heißt der Standort des Gesundheitszentrum, im Wert von 200 000 Euro gebaut. "In dem Distrikt gab es für die dort lebenden mehr als 120 000 Einwohner keinen Arzt", unterstreicht Sittl die bisherige Situation.

Es ist bereits zehn Jahre her, da wurde die Medizinerin für ihr Engagement in Ghana mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, der Ehrenbrief der Stadt Erlangen wurde ihr schon fünf Jahre früher verliehen. Aber für die 60-Jährige sind weder die Auszeichnungen noch das Erreichte ein Grund, sich eine Pause zu gönnen. Im Sommer war sie wieder in Deutschland, um Sachspenden für das Gesundheitszentrum einzutreiben. In Erlangen, wo sie auch viele Jahre gelebt und gearbeitet hat, hat sie von einer Klinik ausrangierte Krankenbetten bekommen. Weitere Spenden von Firmen, Arztpraxen und Krankenhäusern sammelte sie in einem Container für den Hilfstransport nach Ghana.

Dort, in dem neuen Gesundheitszentrum, dem noch Teile der Einrichtung und der Ausstattung fehlen, kann Anne Sittl nun ihren Plan von der Hilfe zur Selbsthilfe wieder einen Schritt weiter vorantreiben. Denn in den neuen Räumlichkeiten sollen den Frauen auch Gespräche zu Ernährungsfragen, zur Familienplanung, zur Bedeutung von Bewegung und zur Hygiene angeboten werden. In Projekten mit Schülern will die 60-Jährige außerdem den Erhalt der Natur, die Vermeidung von Plastikabfall, Verhütung sowie die Prophylaxe gegen sexuell übertragbare Krankheiten thematisieren. Es ist also noch viel zu tun für die zierliche Ärztin.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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