Girls' und Boys' Day:Rollentausch

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Max Dörfler, Lukas Wendler und Marco Feicht (von links) im Kinderhaus. (Foto: Günther Reger)

Beim Girls' Day und Boys' Day gewinnen Mädchen und Buben Einblicke in Berufe, in denen sie in der Minderheit sind. Ziel der bundesweiten Aktion ist, dass sich junge Menschen trauen, auch für sie untypische Jobs zu ergreifen. Vier Beispiele.

Von Ariane Lindenbach, Julia Kiemer, Nina Storner und Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Mädchen wählen zu häufig typische Frauenberufe und Jungs Berufe, in denen vorwiegend Männer arbeiten. Am alljährlich veranstalteten Girls' Day und Boys' Day soll gezeigt werden, dass es auch anders geht. Im Landkreis konnten Schülerinnen und Schüler am Donnerstag Einblicke in Berufe gewinnen, die sie bislang möglicherweise nicht als erste Wahl betrachtet haben. Die SZ hat einige von ihnen dabei begleitet.

Fliegende Frauen

Dass man mit einem Tampon ein Feuer machen kann, das hätte von den Mädchen niemand gedacht. Der Tampon wird aufgedröselt und dann in einen Strauß aus Ästen gesteckt, mithilfe eines Feuerstarters wird dieser dann angezündet. Es funktioniert tatsächlich, am Ende brennt der Strauß lichterloh. "Ich hatte gerade total das Erfolgserlebnis, als es wirklich zu brennen angefangen hat", erzählt Kim Fortuin, Schülerin der Q 11 des Edith-Stein-Gymnasiums in München. Zusammen mit 29 anderen Mädchen darf sie am Girls' Day 2015 einen Tag die Offizierschule der Luftwaffe im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck erkunden. Schon im Februar waren die begehrten Plätze ausgebucht, bei der Bundeswehr freut man sich über das große Interesse. Man wolle das typische Denken aufweichen und auf die Karrieremöglichkeiten als Frau bei der Bundeswehr aufmerksam machen, so Oberleutnant Hans Kroh. Dafür haben sie ein interessantes Programm für die jungen Frauen geplant. Aufgeteilt in drei Gruppen können sie an den einzelnen Stationen "Leben im Felde", "Flugsimulator" und "Eye in the sky" lernen, wie man fliegt, wie man ohne Streichhölzer Feuer macht und warum ein Luftbildauswerter so wichtig ist. Natürlich gibt es am Nachmittag auch eine Führung durch das Gelände. Die Teilnehmerinnen sind am Morgen sichtlich gespannt, was sie erwarten wird.

Einen richtigen Flugsimulator zu benutzen, an dem normalerweise die angehenden Soldaten im Zuge ihrer fliegerischen Erstausbildung üben, hört sich schon ziemlich spannend an. Obwohl man sich erst nicht so recht traut, macht Lilo Walter, Schülerin der zehnten Klasse am Gymnasium Olching, dann mutig den ersten Schritt und begibt sich in das "Flugzeug". Zumindest werde es nicht weh tun, wenn man abstürzt, merkt Oberst Oliver Kemmerzell lachend an. Insgesamt habe sie es sich "actionreicher" vorgestellt, trotzdem finde sie es interessant , erzählt Lilo. Auch beim "Leben im Felde" sind die Mädchen begeistert, als sie unter Anleitung der Hauptgefreiten Immanuela Bünsing den Anzug anziehen und sich das Gesicht "tarnen". Dort können die Teilnehmerinnen unter anderem auch das Feuer machen und die Einmannpackung, eine Tagesration, probieren. "Der Anzug ist total bequem und man fühlt sich richtig cool", findet Kim Fortuin. Die 16-Jährige kann sich deshalb gut vorstellen, später mal zur Bundeswehr zu gehen. Insgesamt zeigen sich die 30 Teilnehmerinnen des Berufsinformationstages sehr interessiert und äußern sich beeindruckt über die vielseitigen Möglichkeiten bei der Bundeswehr.

Dominik Dentl erklärt Lilo Walter den Flugsimulator. (Foto: Günther Reger)

Erziehen ist kein Kinderspiel

Der 14-jährige Marco Feicht hilft der drei Jahre alten Elena so selbstverständlich in die Jacke, als handle es sich um eine tägliche Aufgabe und um seine Schwester. Wären da nicht die vielen anderen Kleinkinder, die vielen anderen Jacken und Schuhe, die an und unter einem langen Regal entlang der Wand hängen und stehen. Der Schüler der Realschule Puchheim ist im Kinderhaus Tausendfüßler in Maisach. Mit drei Klassenkameraden aus der 8e ist der Teenager zum Boys' Day in die Einrichtung gekommen, um einmal einen typischen Frauenberuf kennen zu lernen - den der Erzieherin. Nach ein paar Stunden steht für ihn und seine Kumpels fest: "Das ist doch eher was für Frauen."

Für Sabine Mähler ist das sehr schade. Als Leiterin der Awo-Kindertagesstätte mit je zwei Krippen- und Kindergartengruppen - an diesem Donnerstag sind nur die Jüngeren da, die Kindergartenkinder machen einen Ausflug - ist ihr bewusst, wie wichtig männliche Kollegen für die Kinder wären. Zumal es immer mehr alleinerziehende Mütter gibt, deren Kindern man anmerkt, dass ihnen der Kontakt zu erwachsenen Männern fehlt. In ihrem Arbeitsalltag hat Mähler festgestellt: "Ich merke nicht, wenn kein Mann da ist, dass den Kindern etwas fehlt. Aber ich merke, wenn einer da ist, dass die Kinder ganz anders damit umgehen." Mähler verweist darauf, dass Männer anders reden, sprechen, agieren, denken. Eben einfach ganz anders sind als Frauen. Und dass es für Kinder wichtig sei, beides zu erfahren.

Gülcan Özkan (links) gibt Rabea Hänsch Tipps fürs punktgenaue Löten. (Foto: Günther Reger)

Die vier männlichen Gäste haben inzwischen ganz routiniert beim Anziehen geholfen, Schuhe hervorgeholt und kniend beim Hineinschlüpfen assistiert. Oder einem Kind etwas aus dem Regal heruntergeholt. Wie der kleinen Elena den mit ihrem Namen beschrifteten Karton, aus dem sie nun ihre Handschuhe holt. Darum hat sie den jungen Mann ganz ohne Berührungsängste gebeten.

Kaum sind die Kinder und ihre Betreuer fertig angezogen, laufen sie in den Garten, manche zum Sandkasten, andere zu der gemütlichen Nestschaukel, wieder andere in den hinteren Teil, wo der Schuppen mit den Dreirädern, kleinen Lastwagen und anderen Spielgeräten steht. Marco Feicht und Lukas Wendler stehen an der Schaukel und wiegen die beiden darin liegenden Kinder vor und zurück. Die Mutter seiner Cousine arbeite im Kindergarten, erzählt Feicht. Ob das Einfluss auf seine und Wendlers Wahl hatte, lässt er offen. Die Reaktionen aus der Klasse waren wenig motivierend. "Die haben uns eher so ein bisschen ausgelacht", erzählt Wendler. Außer ihnen hätten nur noch zwei Mädchen eher untypische Berufe für den Girls' Day gewählt. Wieso die vier sich nicht als künftige Erzieher sehen, können sie nicht erklären. Am Geld liege es nicht, eher daran, dass sie "irgendwas mit Computer" , Technik oder Mechanik mehr interessiert.

Hausmann-Nachwuchs

Neun Jungs sitzen lässig auf einer Bierbankgarnitur und werfen sich ein paar flotte Sprüche um die Ohren. Hie und da wird "Hey Alter!" in die Diskussion eingestreut, während sie in ihren Händen Nadel und Garn halten und Stück für Stück bunte Glasperlen auffädeln. So richtig komisch findet das keiner der Jungs, Rollenbild hin oder her. Man nimmt die Situation mit Humor. "Wissen Sie, die schenken wir unseren imaginären Freundinnen", ruft einer aus der Gruppe. Die anderen kriegen sich vor Lachen nicht mehr ein.

Die Buben im Alter zwischen 13 und 15 Jahren nehmen im Rahmen des Boys' Days am Hausmann-Workshop des Abenteuerspielplatzes Germering teil. Dort sollen sie nicht nur bunte Armbänder basteln, sondern auch lernen, wie man putzt, kocht, bügelt, einkauft, Knöpfe annäht und ein Baby wickelt. Kein echtes Baby versteht sich. Als Übungsobjekt bietet sich ein kleiner Plüschaffe an. Schwierig? "Ich hab' die Windel erst mal falsch rum gehabt", sagt Sercan. Der Rest der Gruppe lacht. Mustafa und Damjan fanden das Knöpfeannähen schon schwieriger. Babys wickeln ist keine Herausforderung mehr für sie, immerhin haben beide kleine Geschwister.

Die Nachfrage nach dem Hausmann-Workshop war von Anfang an groß. "Wir mussten acht Interessenten absagen", erzählt Martin Pollok, der Leiter des Abenteuerspielplatzes. Einige der Jungs sind so etwas wie Stammgäste, die in ihrer Freizeit oft zum Fußballspielen vorbeischauen. Die Vertrautheit zur Einrichtung sei dann auch bei einigen ausschlaggebend gewesen, sich genau für diesen Workshop anzumelden. Da macht sich Pollok keine falschen Vorstellungen. "Manche von ihnen wollten sich schon anmelden, bevor das Angebot überhaupt online war", sagt Pollok. Dass es nicht das Hausmann-Dasein war, das für die Jugendlichen den Reiz an der Sache ausgemacht hat, findet er auch nicht schlimm. "Egal aus welcher Motivation sie sich anmelden. Sie kommen und nehmen hier trotzdem Dinge mit, die sie später einmal brauchen werden", sagt er.

Florian Schmidt, Damjan Vujasin, Luca Wiedmer und Feti Sener (von links). (Foto: Günther Reger)

Dass die Jungs in dem Workshop vor allem Praktisches und Lebensnahes lernen, ist auch den beiden Erzieherpraktikanten Sebastian Schweiger und Reinhard Raab wichtig. Sie haben den Workshop zusammengestellt. Mit ihrem Konzept treffen sie offensichtlich ins Schwarze. Den Jungs gefällt es gar nicht mal so schlecht. Lustig ist es allemal. Und am Ende sind auch die Praktikanten erstaunt, dass sich die Hausmänner auf Probe so gut angestellt haben. Trotzdem, die Vorstellung, später tatsächlich mal Hausmann zu sein, findet keiner der Kursteilnehmer wirklich reizvoll. Die Frage, ob sie mit Hausarbeit später mal lieber gar nichts am Hut haben werden, finden sie trotzdem komisch. "Das macht man gemeinsam, ist doch klar", sagt Mustafa: "Machen wir ja jetzt auch zu Hause." Am Ende des Tages ist das eigentliche Ziel, tradierte Geschlechterrollen und Stereotype aufzubrechen, vielleicht gar nicht mehr so weit entfernt.

Ruhige Hände

Was Konzerttickets und Parkscheine mit Blutanalysen und der Post gemein haben, lernen fünf Mädchen zwischen elf und 14 Jahren in der Germeringer Elektro- und Feinwerktechnik-Gesellschaft (GeBE). Auch die 13-jährige Rabea Hänsch vom Max-Born-Gymnasium ist dabei und nimmt am Ende des Girls' Day mehr mit nach Hause als nur schöne Erinnerungen.

Seit 1975 besteht das Germeringer Familienunternehmen, das Sandra Pabst vor vier Jahren übernommen hat. Das Geschäft mit Thermodruckern, Touchscreens zur Messwertanzeige und Sondertastaturen floriert. Heute beliefert GeBE seine Kunden über die Grenzen Europas hinaus bei einem Umsatz von vier Millionen Euro. Unter den mehr als 50 Mitarbeitern ist das Geschlechterverhältnis ausgewogen, in der Entwicklung dominieren aber nach wie vor die Männer. Der Girls' Day soll einen Einblick in den Alltag von Ingenieurinnen, Konstrukteurinnen, Programmiererinnen und Elektrotechnikerinnen ermöglichen.

Ganz im Sinne von Rabea, denn mit ihren Lieblingsfächern, Physik und Chemie, bringt die Achtklässlerin beste Voraussetzungen mit. Nach einer kleinen Sicherheitseinweisung sehen die Mädchen die verschiedenen Abteilungen. Von Entwicklung und Produktion bis hin zu Kontrolle und Vertrieb ist es sonst ein weiter Weg, der Rundgang zeigt aber schnell, was hinter alltäglicher Technik steckt. Geräte, die Platinen zehnmal schneller verknüpfen als der Mensch, sind immer noch auf manuelle Nachbesserung angewiesen. Ruhige Hände sind gefragt, es kommt auf Zehntelmillimeter an. Amüsant findet Rabea die Station, an der die statische Ladung des eigenen Körpers gemessen wird. Sie lernt, wie vorsichtig mit einzelnen Bauteilen hantiert werden muss. Selbst Erfahrungen sammeln ist die Devise, und so probieren sich die Schülerinnen eifrig im Drehen, Fräsen und Löten. In ihrer Freizeit spielt Rabea Geige und singt im Schulchor. Nun muss sie darauf achten, dass der Lötzinn nicht verläuft und falsche Verbindungen schließt. Auch das Fräsen eines Schlüsselanhängers und das Löten einer Taschenlampe faszinieren sie. Selbst der eigentümliche Geruch des Lötzinns kann ihre Begeisterung nicht trüben. Ihre Werke darf Rabea am Ende des kurzweiligen Tages mitnehmen. Vier Jahre Schule trennen sie noch von der Berufswahl, was sie dann machen wird, ist noch offen. In Zukunft will das junge Mädchen aber verstärkt auf die mobilen "Scanner" von Paketzustellern oder Fahrkartenautomaten achten. Wie deren Innenleben aussieht, weiß sie ja nun.

© SZ vom 24.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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