Germering:Wo die Mammutjäger hausten

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Hobbyarchäologen und Fachleute stoßen beim kleinen Germeringer Stadtteil Nebel im Sommer 2017 auf Funde, die etwa 35 000 Jahre alt sind. Die spannenden Ergebnisse wurden jetzt erstmals öffentlich vorgestellt

Von Ingrid Hügenell, Germering

Eigentlich sollte die archäologische Grabung in dem Loch bei Nebel nur bis zur gelben Bodenschicht fortgesetzt werden. Sollten dort keine Funde liegen, wäre sie beendet. Als diese Schicht in 80 Zentimeter Tiefe in einem der fünf Sondierungsquadrate endlich auftauchte, war sie an einer Stelle braun verfärbt. Ein Befund, der untersucht werden musste. Was dann zufällig auftauchte, stellte sich als Sensation heraus: Steinwerkzeuge aus der Altsteinzeit. Menschen haben sie dort vor 32 000 bis 38 000 Jahren zurückgelassen, sie lagen noch genau so im Boden, bedeckt von Jahrtausende altem Sediment. Bis dahin habe es aus dem südbayerischen Raum keine Funde aus der Altsteinzeit gegeben, sagt Thomas Richter, 36, am Freitagabend im Stadtmuseum Germering. Bei einem Vortrag stellt der Kreisarchäologe des Landkreises Landshut vor etwa hundert Zuhörern die spannenden Ergebnisse erstmals öffentlich vor.

Mit Zeichnungen und vor allem lebendigen Erzählungen ruft Richter ein Bild dieser sehr frühen Menschen und der Welt, in der sie lebten, wach. (Foto: Karol Schauer/Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt/oh)

Ein "gellender Schrei" sei über das Feld geklungen, als im Sommer 2017 die Artefakte auftauchten, erzählt Richter. Denn dass dieser Fund etwas ganz Besonderes war, war sofort klar. Bis zu zwölf Ehrenamtliche aus mehreren historischen und archäologischen Vereinen hatten vorsichtig Schicht für Schicht abgetragen, "unter der ekelhaften Penibilität vom Marcus und mir", berichtete Richter. Vier Tage lang waren sie mit den ein Quadratmeter großen Gruben beschäftigt, leisteten dabei 316 Stunden Arbeit. Dafür gab es vom Landesamt für Denkmalpflege Zuschüsse für die naturwissenschaftliche Aufarbeitung. Nach genauen Analysen des Bodens weiß man nun, dass die von Menschen bearbeiteten Steine tatsächlich mindestens 32 000 Jahre im Boden lagen.

Thomas Richter, bei seinem Vortrag in Germering. (Foto: Günther Reger)

Richter ist seit seinem Studium mit dem Fundort Nebel vertraut. Er hat seine Magisterarbeit über etwa 7500 Jahre alte Steinartefakte aus der Mittelsteinzeit geschrieben, die dort schon vor mehr als 20 Jahren entdeckt worden waren. Lange sah es aus, als gebe es bei Nebel nichts mehr zu entdecken. Dann fand Stadtarchäologe Marcus Guckenbiehl doch noch etwas und rief Richter an. Der kam, besah sich das wellige Profil und frohlockte. So erzählt er es in seinem Vortrag. "Super, da könnte was gehen", habe er sich gedacht. Denn in den Tälern kann leicht Sediment über den Hinterlassenschaften von Menschen abgelagert werden. Die Archäologen haben dann die Chance, sie "in situ" zu finden, also unberührt. Mit dem sensationellen Fund aus der Altsteinzeit rechnete jedoch niemand.

Eigentlich sollte die archäologische Grabung in dem Loch bei Nebel nur bis zur gelben Bodenschicht fortgesetzt werden. (Foto: Thomas Richter/oh)

Mit Zeichnungen und vor allem lebendigen Erzählungen ruft Richter ein Bild dieser sehr frühen Menschen und der Welt, in der sie lebten, wach. "Mammutjäger" nennt er sie, weil die riesigen Eiszeit-Elefanten eine bevorzugte Jagdbeute waren. Vor etwa 35 000 Jahren beherrschte die Eiszeit die nördliche Hemisphäre. Die Gletscher reichten weit von den Alpen herunter, bis fast nach Nebel. Auch von Norden schoben sich Gletscher vor. Dazwischen war das Land eisfrei. Doch es war kalt, und weil so viel Wasser in den Gletschern gebunden war, auch trocken. Der Boden war permanent tief gefroren. Nur wenige Bäume konnten den Bedingungen trotzen. Doch in der weiten Grassteppe fanden riesige Herden von Pflanzenfressern Futter: Rentiere, Pferde, wollhaarige Nashörner und eben auch Mammuts. Die wenigen Menschen, wahrscheinlich waren es in ganz Altbayern nur etwa 35, die das riesige Gebiet zwischen dem Gletscherrand und der Donau durchstreiften, fanden reiche Beute.

Und bei Nebel offenbar auch gute Bedingungen zum Lagern: eine erhabene Lage am Parsberg, dazu eine Mulde, in der sie vor Wind geschützt waren. In der Nähe verlief ein kleiner Fluss. Nur 44 Steinartefakte zeigen heute, dass die Mammutjäger sich dort aufhielten. Es sind sogenannte Steinkerne, von denen die Mammutjäger Klingen und Spitzen abgeschlagen haben. Darunter Hornsteine, die es nur an der Donau gibt. Die Menschen, wohl eine einzige Gruppe, müssen sie von dort mitgebracht haben. Die Steine sind nur 1,5 Zentimeter lang und wirken eher unscheinbar. "Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters", gibt Richter zu. Und in ihrer Bedeutung. Denn dass es in der Zeit vor etwa 35 000 Jahren in dem Gebiet überhaupt Menschen gab, war bisher nicht bekannt.

© SZ vom 13.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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