Archivserie:Holz, Knochen, Scherben

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Überblick: Stadtarchivar Marcus Guckenbiehl kann auf seinem Computerbildschirm die Ergebnisse der Grabungen im Stadtgebiet sehen. (Foto: Leonhard Simon)

Das Stadtarchiv Germering beherbergt vor allem archäologische Funde, die von der jahrtausendelangen Besiedlung des Gebiets künden. Schriftliche Dokumente gibt es dagegen nur wenige.

Von Andreas Ostermeier, Germering

Auf den meisten Tischen im Büro des Stadtarchivs Germering gibt es kaum einen freien Platz. Auf ihnen befinden sich zumeist mehr oder weniger vollständig zusammengesetzte Keramikgefäße. Gerade sind es die Funde aus den Grabungen auf dem großen Areal im Gewerbegebiet, auf dem das neue Briefzentrum für die Region München gebaut werden soll. Auf diesem Gebiet befand sich im frühen Mittelalter eine große Ansiedelung von Höfen, dementsprechend viele Funde gibt es, und einige davon liegen auf den Tischen im Büro. An einem der Tische arbeitet Stadtarchivar Marcus Guckenbiehl. Auf seinem Tisch ist freilich Platz für einen Computer - und auch einen weißen Bauarbeiterhelm. Schließlich muss der Archivar immer wieder auf Baustellen.

Rekonstruktion: Mit Hilfe eines speziellen Klebstoffs lassen sich die Teile eines Gefäßes wieder zusammensetzen. (Foto: Leonhard Simon)

Das Stadtarchiv ist direkt unter dem Ausstellungsraum des Stadtmuseums eingerichtet worden, im alten Feuerwehrhaus von Germering, direkt neben dem Rathaus. Wo früher die Feuerwehrwagen standen, dort sind jetzt die Glasvitrinen mit den Fundstücken aus dem Germeringer Boden zu sehen. Doch im Museum ist nur ein kleiner Ausschnitt der vielen Funde ausgestellt, die vor allem seit Beginn der Neunzigerjahre gemacht worden sind. Damals hat Franz Srownal mit dem Aufbau des Stadtarchivs begonnen. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet auch Guckenbiehl mit. Er ist einer von zwei Stadtarchivaren im Landkreis mit Festanstellung. Der Fachinformatiker mit dem Faible für Archäologie hat sich fast von Anfang an am Aufbau des Stadtgedächtnisses beteiligt.

Nahe am Wasser

Dieses Gedächtnis besteht vor allem aus Scherben, Knochen, Pfeilspitzen und etlichen anderen Dingen aus Bronze-, Eisen- und Römerzeit sowie dem frühen Mittelalter. Das Germeringer Archiv ist ein archäologisches Archiv, es bewahrt die Erinnerung an viele Jahrtausende Siedlungsgeschichte und macht auf die besondere Lage des Ortes aufmerksam. Nördlich von Germering beginnt Moorgebiet, das Grundwasser liegt nur wenige Meter oder gar Zentimeter unter der Oberfläche. Für Siedlungen war das zu nass. Im Germeringer Gebiet blieben die Füße trocken, für Brunnen musste jedoch nicht tief gegraben werden. Also ließen sich an dieser Stelle immer wieder Menschen nieder und errichteten Siedlungen. Was von diesen Siedlungen die Jahrtausende überdauert hat, das findet sich zu einem guten Teil im Archiv und im Museum der Stadt.

Puzzle-Arbeit: Fundstücke aus den Grabungen auf dem Gelände des künftigen Briefzentrums. (Foto: Leonhard Simon)

Die meisten Fundstücke stammen aus neueren Grabungen. Das hängt mit dem vermehrten Bauen zusammen. Bevor ein Gebäude errichtet werden darf, untersuchen Archäologen den Boden. Aufgrund der bereits gemachten Funde hat Guckenbiehl einen guten Überblick darüber, wo sich Zeugnisse der Vergangenheit im Boden befinden. Grabungsteams greifen dann zu Schaufel und Pinsel, um die Schätze ans Tageslicht zu befördern. Im Archiv liegen die Schätze in Kisten und Körben oder, wenn es sich um Holzpfosten aus alten Brunnen handelt, in einer mit Wasser gefüllten Wanne, damit sie nicht austrocknen. Eine besondere Aufbewahrung brauchen auch Eisenfunde. Weil das Material an der Luft korrodiert, muss es trocken und luftdicht lagern, bis es entsalzt wird.

Was Knochen erzählen

Extra gelagert sind auch die Knochenfunde. Es gibt viele von ihnen. Guckenbiehl kommentiert das mit dem Satz: "Leichen hat die Stadt genug im Keller." Der Archivar öffnet einen Pappkarton. In dem befinden sich die Überreste von Bestatteten. In so manchem Kiefer befinden sich noch etliche Zähne. Hätte es vor Jahrtausenden bereits Behandlungsakten von Zahnärzten gegeben, könnte man bestimmen, von wem die Knochenteile stammen. Doch auch ohne Behandlungsakten sagen die Knochen eine ganze Menge über die Menschen aus, zu denen sie gehört haben. In ihnen finden sich Informationen zu Größe, Geschlecht und Haarfarbe. Auch lässt sich durch Untersuchung seiner Knochen feststellen, in welcher Gegend ein Mensch aufgewachsen ist. Immer besser werden die Untersuchungsmethoden der Archäologie, weshalb auch nur die Fundstätten geöffnet werden, die geöffnet werden müssen, beispielsweise weil ein Haus gebaut werden soll. Zu einem späteren Zeitpunkt werden uns die Funde aus der Vergangenheit noch mehr erzählen können, sagt Guckenbiehl.

Aufbewahrung: In einem Pappkarton, eingewickelt in eine Folie, befinden sich die Überreste eines bestatteten Menschen. (Foto: Leonhard Simon)

Kleine Bauerndörfer

Dagegen nehmen sich die schriftlichen Archivalien im Germeringer Stadtarchiv bescheiden aus. In den Räumen sind in erster Linie Bücher zu sehen. Laut Guckenbiehl handelt es sich vor allem um Literatur über regionale Geschichte. Über bemerkenswerte Dokumente verfügt Germering nicht, die ältesten stammen laut Stadtarchivar aus dem 19. Jahrhundert. Der Grund dafür ist, dass Germering und Unterpfaffenhofen bis ins 20. Jahrhundert hinein kleine Bauerndörfer gewesen sind. Zu verzeichnen gab es vor allem Geburten, Hochzeiten und Todesfälle. Das taten die Pfarreien. Deren Aufzeichnungen liegen aber nicht im Rathaus, sondern im Archiv der Erzdiözese oder in staatlichen Archiven. Dort sind sie auch heute zu finden. Auch Gerichtsakten finden sich keine, ganz im Unterschied zu einer Stadt wie Fürstenfeldbruck, in der es ein Amtsgericht gibt.

Akten: Dokumente aus den Schulen von Germering und Unterpfaffenhofen sind im Archiv zu finden. (Foto: Leonhard Simon)

Erst seit 1903 - damals ging die Bahnstrecke von München an den Ammersee in Betrieb - wuchs die Bevölkerung in den beiden Orten an, und damit stieg auch die Menge der schriftlichen Dokumente. Als Große Kreisstadt hat Germering unter anderem die Zuständigkeit für Baugenehmigungen im Stadtgebiet vom Landratsamt übernommen. Nun werden auch sämtliche Baupläne dort aufgehoben. Durch das Anwachsen von schriftlichen Dokumenten und Fotos wird das Archiv für Nachfragen interessanter, sei es zu Themen der Regional- oder der Familiengeschichte.

Neben Knochen, Büchern und Scherben birgt das Germeringer Stadtarchiv auch noch ein nicht mehr sichtbares Stück Ortsgeschichte. Guckenbiehl stellt an seinen Besucher die Frage, was er denn am alten Feuerwehrhaus vermisse, und gibt die Antwort selbst: vom Schlauchturm ist nichts mehr zu sehen. Aber abgerissen wurde der Turm nicht. Er ging als Teil des Aufzugsschachts im Rathausgebäude auf. Der Turm ist also noch da, aber nicht mehr zu sehen, ähnlich wie die vielen archäologischen Objekte, die noch im Germeringer Boden liegen. Werden sie eines Tages ans Licht geholt, dann finden sie ihren Platz im Stadtarchiv oder im Museum.

Das Stadtarchiv befindet sich im Museumsgebäude an der Domonter Straße 2. Die Telefonnummer lautet 089/89 419-108, Termine gibt es nur nach vorheriger Anmeldung.

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