Germering:Seelsorge im Akkord

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Der Germeringer Stadtpfarrer Andreas Christian Jaster ist inzwischen für drei Pfarreien zuständig. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Stadtpfarrer Andreas Jaster berichtet aus seinem Alltag als Priester, in dem er viel zu oft in Eile ist.

Von Gerhard Eisenkolb, Germering

Andreas Christian Jaster ist seit fast zwei Jahrzehnten Stadtpfarrer in Germering. Er erinnert sich gut an die Zeit, als in der Stadt noch jede der drei katholischen Pfarreien ihren eigenen Pfarrer hatte. Inzwischen ist nur er übriggeblieben. Das heißt, er ist zwar für drei Pfarreien zuständig, kann aber nicht das leisten, was vorher drei Pfarrer machten. Erschwerend kommt für ihn hinzu, dass es die Mitglieder der drei Pfarrgemeinden nach wie vor gewohnt sind, eine lebendige Kirche mit einem für ihre Gemeinde zuständigen Pfarrer zu haben. Daraus ergeben sich Ansprüche an den Pfarrer, die ihn schon mal überfordern können. Was Jaster vor ein Dilemma stellt: Entweder er enttäuscht die Gemeindemitglieder oder er wird dem Anspruch nicht gerecht, den er an sich und sein Amt stellt.

Wie fatal sich dieser Priestermangel auswirken kann, erklärt Jaster am Beispiel der Patrozinien in Sankt Martin und Sankt Cäcilia an zwei aufeinander folgenden Wochenenden. Am 13. November feierte er das Patrozinium in Sankt Martin, wie es sich gehört, mit einem großen festlichen Gottesdienst. Anstatt anschließend mit der Gemeinde zum Pfarrfest zu gehen, hetzte Jaster weiter nach Sankt Cäcilia. Dort zelebrierte er einen zweiten Sonntagsgottesdienst. Dann eilte er wieder zurück nach Sankt Martin, um mit gehöriger Verspätung den geselligen Part des Patroziniums mitzufeiern.

Oft hat der Pfarrer den Eindruck, er müsse sich "derrennen".

Eine Woche später wiederholte sich diese Prozedur beim Patrozinium von Sankt Cäcilia. Erst Festgottesdienst, dann Sonntagsmesse in Don Bosco, dann wieder zurück zum geselligen Beisammensein in Sankt Cäcilia. Solche fliegenden Wechsel sollen sich 2023 nicht mehr wiederholen. Jaster ist kein Mensch, der vermeintlich besseren Zeiten nachtrauert oder über die Krise der Kirche und des Glaubens jammert. Seine Sorgen sind konkret. Sie ergeben sich aus der Bewältigung des Alltags. So ist es für ihn keine Dauerlösung, an Sonntagen von einer Kirche zur anderen zu hetzen und sich zu "derrennen", wie er es nennt. Das läuft seinem Verständnis von Seelsorge zuwider. Er will für die Menschen da sein, ihnen Halt geben, ihr Vertrauen gewinnen.

Wie eine moderne Weihnachtsgeschichte mutet Jaster an, was er kürzlich im Pfarrbüro erlebte. Bei ihm meldete sich ein Mann, der ihm einen größeren zusammengesparten Geldbetrag anvertraute, mit der Bitte, einen Bedürftigen zu suchen. Dem soll er damit eine Weihnachtsfreude machen. Für Jaster ist das einerseits ein Zeichen großen Vertrauens, andererseits aber auch ein Zeichen dafür, dass noch immer die Weihnachtsbotschaft in Erfüllung geht, Licht in die Welt zu bringen. Armen zu helfen, sei letztlich auch Kirche.

Der Seelsorger hat eine Vorstellung von dem, was Menschen erwarten, wenn sie in der Weihnachtszeit einen Gottesdienst oder eine Mette besuchen: "Den Moment, der den Alltag heiligt", sagt er. Dazu gehöre das Gefühl, aufatmen zu können, im Einklang mit sich und anderen zu sein. Der Pfarrer hofft, dass an den Feiertagen von ihm nicht nur geistreiche Predigten erwartet werden. Aushilfs- oder Ruhestandspriester, die ihn entlasten, stehen ihm nicht mehr zur Verfügung. An Heiligabend und den zwei Weihnachtsfeiertagen zelebriert er jeweils zwei Messen, die verbleibenden zwölf Metten und Wortgottesdienste übernehmen die zwei verbliebenen hauptamtlichen Seelsorger und Ehrenamtliche.

Einer seiner drei Gemeinden: Pfarrer Jaster in der Germeringer Don-Bosco-Kirche. (Foto: Günther Reger)

Ein Gottesdienst hat für den Stadtpfarrer immer einen Vor- und einen Nachklang. "Wir brauchen den Gottesbezug, die vertikale Ebene, und ebenso wichtig ist die horizontale Ebene, die uns als Schwestern und Brüder verbindet", sagt er. Zur Eucharistiefeier in einer Gemeinde gehört für ihn mehr als die Zeit in der Kirche. Der Kirchgang bedarf der Ergänzung durch Begegnungen, Gespräche und dem, was sich daraus ergibt: das verbindende Voneinander-Wissen, wie er das nennt. Hört man Jaster zu, ist ein Pfarrer für Menschen dann relevant, wenn es ihm gelingt, zu ihnen eine Verbindung aufzubauen.

Ein weiteres Anliegen ist es ihm, dass Menschen "die Innerlichkeit einer in Würde gefeierten Messe spüren". Kommt ein überlasteter Pfarrer abgehetzt an und ist beim Gottesdienst nicht mehr ganz bei der Sache, tue das niemandem gut, meint er. Nicht mehr wie gewohnt weiterarbeiten zu können, hat für Jaster vor allem eine Konsequenz. Die heißt für ihn: Veränderungen wagen. Mit dem Risiko, Fehler zu machen. Seine Experimentierfreude zeigte er in der Coronapandemie auf eindrucksvolle Weise. Während im Lockdown 2020 im Landkreis überall an Fronleichnam die Prozessionen abgesagt wurden, fand er seine eigene, zu den strengen Hygieneregeln passende Lösung.

Im Lockdown 2020 zog Jaster ganz allein mit der Monstranz an Fronleichnam durch Germering. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Nach dem Motto "Wenn die Menschen nicht in die Kirche kommen können, kommt die Kirche halt zu den Menschen" zog er im Messgewand mit Monstranz durch die Straßen und segnete im Vorübergehen an Gartenzäunen stehende Menschen und deren Häuser. "Neue Wege zu beschreiten, ist nicht so schwierig wie eine Mondlandung", sagt er. Klappt etwas nicht, könne er jederzeit nachjustieren. Es sei an der Zeit, unverkrampft alles Mögliche auszuprobieren.

Jaster spricht von zwei Alternativen. Entweder, er legt Gottesdienste und anderes zusammen. Oder er leitet mehr Ehrenamtliche an, ihm Aufgaben abnehmen. Er bevorzugt Letzteres. "Ich komme an meine Grenzen, da lasse ich mir gerne helfen", sagt er und verweist auf gute Erfahrungen mit dem engagierten Laien Hermann J. Wagner, der ehrenamtlich Wortgottesdienste leitet. Nun fand er drei Frauen, die das Gleiche tun wollen und eine Fortbildung als Wortgottesdienst-Leiterinnen absolvieren. Jede von ihnen hat eine Familie und einen Beruf. Ihre Leidenschaft für die Kirche verbinde sie, schwärmt Jaster. Eine ist Erzieherin, eine andere Lehrerin. Der Pfarrer weiß, solche Frauen sind es gewohnt, andere anzuleiten und ihnen Dinge fürs Leben weiterzugeben. Das prädestiniere sie für ihre künftige Aufgabe und hilft, den Priestermangel zu bewältigen.

Weil das Team so geschrumpft ist, sind nur noch 40 Prozent möglich.

Noch bis vor zwei Jahren konnte er als Leiter des Pfarrverband Germering in einem Team von sieben bis acht hauptamtlichen Seelsorgern arbeiten. Da das Team seither auf drei Personen schrumpfte, sind nur noch etwa 40 Prozent von dem möglich, was vorher geleistet wurde. Und es fehlen nicht mehr nur Priester. Auch die Zahl der hauptberuflichen nichtpriesterlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge sinkt.

Jaster suchte sich ganz bewusst Wortgottesdienst-Leiterinnen aus. "Es ist höchste Zeit, dass Frauen in der Kirche Verantwortung in der Liturgie übernehmen und vorne dran stehen", beteuert er und ergänzt: "Wir werden als Männerkirche wahrgenommen", in der nach wie vor ältere Herren bestimmten. Selbst wenn es für viele Katholiken noch eine Herausforderung sei, im Altarraum Frauen zu sehen, hält es Jaster für überfällig, diesen Schatz zu heben. Er höre in Gottesdiensten gerne Lektorinnen sowie Gemeinde- und Pastoralreferentinnen predigen. Das sei eine Bereicherung. Die Förderung von Frauen in der Kirche bezeichnet er als sein Streckenpferd und seine Zukunftsvision von Kirche.

Gläubige spüren längst, wie groß die Belastung ihrer Pfarrer ist. Das führt dazu, dass sich nicht mehr jeder traut, dem Seelsorger seine Sorgen und Nöten anzuvrtrauen. Diese Rücksichtnahme hält Jaster für falsch. In diesem Zusammenhang erwähnt er eine Frau, die kürzlich bei einem Versehgang erleichtert sagte: "Jetzt bin ich aber froh, dass ich mich an Sie gewandt habe". Sie erkannte, dass es ein Fehler gewesen wäre, ihrem Stadtpfarrer nicht zur Last fallen zu wollen. Brauche, wie beim Tod eines Angehörigen, jemand seelischen Beistand, solle sie oder er sich ohne Scheu unbedingt bei ihm melden. "Das mache ich gern", sagt er.

Pfarrer Jaster (rechts) bei der Einweihung neuer Löschfahrzeuge im Bauhof Germering. (Foto: Günther Reger)

Für problematisch hält er es dagegen, wenn er als Pfarrer fast genötigt werde, einen Notartermin für einen Kindergarten-Neubau wahrzunehmen und sich stundenlang ein kompliziertes Vertragswerk erläutern zu lassen, dieses zu unterschreiben und sich zudem damit zu beschäftigen, wie viele Parkplätze eine Kita braucht. "Solche Dinge soll ein anderer machen."

Im Büro des Stadtpfarrers gibt es diese Person bereits. Das ist eine Verwaltungsleiterin mit einer Fachausbildung in Verwaltungs-, Finanz- und Personalangelegenheiten und mit mehr Wissen und Erfahrung in diesem Bereich als der Pfarrer hat. Diese Mitarbeiterin leiste in enger Absprache mit ihm eine hervorragende Arbeit. Daher wäre es dumm, sich weiter selbst zu kümmern, sagt Jaster, der über diese Entlastung heilfroh ist. Einen Gottesdienst innig zu feiern, ist für den Pfarrer nach Jahrzehnten immer noch eine Erfüllung. Das Gleiche gilt für die regelmäßigen priesterlichen Gebete, die Vorbereitung einer Predigt, was schon mal mehrere Stunden dauern kann, und die Gespräche als Seelsorger.

Die ideale Vorbereitung auf die Weihnachtstage bieten nach Ansicht des Geistlichen eingespielte Traditionen mit einem festen Ort und einer festen Zeit wie die "Volksmusik im Advent" in Sankt Jakob am zweiten Adventssonntag oder andere Darbietungen. In ähnlicher Weise strukturiere das Kirchenjahr den Jahreslauf, was insbesondere für den Advent als Zeit der Vorfreude und Erwartung gelte.

Gefragt nach seinem persönlichen Weihnachtswunsch muss er nicht lange überlegen. "Ich ersehne Frieden", sagt er. Angesichts des schrecklichen Kriegs in der Ukraine bräuchten Menschen diese Perspektive. Mit einem Leben in Frieden verbindet er mehr als nur das Ende militärischer Auseinandersetzungen. Seinen Frieden zu finden, bezeichnet er als urmenschliche Sehnsucht. Das schließe mit ein, den Frieden mit sich selbst, mit der Schöpfung, mit Verletzungen, mit der Vergangenheit zu schließen.

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