SZ-Adventskalender:In Todesangst vor den Taliban

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Durch die Unterstützung des SZ-Adventskalenders konnte sich die afghanische Familie Sarwari eine Nähmaschine leisten. (Foto: Younes Tajik)

Mohammad Naim Sarwani arbeitet für die westlichen Soldaten in Afghanistan. Als diese das Land verlassen, flieht er mit Frau und Kindern. Jetzt lebt die Familie in Germering und wartet auf die Aufenthaltsgenehmigung.

Von Andreas Ostermeier, Germering

Die Angst war schon lange vorher da, lange bevor die Taliban im August 2021 die Macht in Kabul übernommen haben. Die Angst um Frau und Kinder und die Angst um das eigene Leben haben Mohammad Naim Sarwani beherrscht. Sechs Jahre lang arbeitete der 42 Jahre alte Afghane als Ortskraft für die Soldaten aus Ungarn. 2013 gab er diese Tätigkeit auf, hielt allerdings Kontakt zu den Isaf-Truppen, den westlichen Streitkräften in Afghanistan. Er sei nur noch selten aus dem Haus gegangen, erzählt er beim Treffen in der Asylunterkunft in Germering. Um Plätze, von denen er wusste, dass sich dort Taliban treffen, habe er einen Bogen gemacht.

Jetzt wohnen er, seine 27 Jahre alte Frau Yasamin und die vier Kinder in einem Zimmer. Der Vater würde gern öfter hinausgehen, am liebsten zur Arbeit. Doch er hat keine Arbeit, noch ist sein Deutsch zu schlecht. Einmal in der Woche hat er Sprachunterricht, mehr bekommt er nicht bezahlt, denn er und seine Familie sind bislang nicht als politisch Verfolgte anerkannt, sagt Peter Busch vom Helferkreis Germering, der die Familie betreut.

Dass er nicht so Deutsch lernen kann, wie er möchte, das schmerzt Mohammad Sarwari. Auch seine Frau Yasamin findet das ungerecht, denn ihr Mann habe als Ortskraft sein Leben riskiert. Und nun werde er behandelt wie alle anderen Flüchtlinge, auch die, die sich nicht gegen die Taliban gestellt hätten, sagt sie.

Drei Kinder gehen zur Schule

Was das Deutschlernen angeht, haben es die Kinder leichter, zumindest die drei, die in die Schule gehen. Die 13-jährige Sohar spricht schon richtig gut Deutsch, obwohl sie die Sprache erst seit ein paar Monaten lernt. Verbessert sie noch ihre Kenntnisse im Lesen, kann sie im Herbst nächsten Jahres in die reguläre achte Klasse wechseln. Sohar ist zuversichtlich, dass sie das schafft, denn Deutsch sei ihr Lieblingsfach - neben Kunst. Auch Tochter Froha, zwölf Jahre alt, besucht eine Deutschklasse. Der neun Jahre alte Bruder Mohammad Reshad hat auch schon viel gelernt, wenn auch der Drittklässler beim Besuch des Reporters zurückhaltend ist. Kein Deutsch lernen kann hingegen der jüngere Sohn. Für den Sechsjährigen gibt es keinen Platz im Kindergarten, und das, obwohl er nächstes Jahr in die Schule kommen soll.

Eltern und Kinder möchten nicht nur ihre Sprachkenntnisse möglichst schnell verbessern, sie wären gern auch etwas mobiler. Deshalb wünschen sie sich ein E-Bike. Vor allem für die Mutter wäre das eine Entlastung, denn ihr geht es nicht gut. Der Adventskalender möchte sie bei der Anschaffung unterstützen.

Die Eltern betonen, wie sie die Sicherheit schätzen, in der sie jetzt leben. Endlich können sie etwas zur Ruhe kommen. Das war ganz anders, als sie noch in Baghlan gelebt haben, einer Provinzstadt nördlich von Kabul mit etwa 83 000 Einwohnern. Der Terror der Gotteskrieger war dort niemals völlig weg. Mitte April 2010 kamen in der Provinz drei Bundeswehrsoldaten und ein Militärarzt bei Angriffen ums Leben. 2013, in dem Jahr, in dem Mohammad Naim Sarwari aufhörte, als Ortskraft zu arbeiten, starben in Afghanistan mindestens 223 Manschen durch Terroranschläge der Taliban.

Die Rettung ist nahe: Geflüchtete Afghanen stehen auf dem Flughafengelände US-Soldaten gegenüber. (Foto: Mohammad Naim Sarwari)

Als die Nato-Truppen im August 2021 das Land verließen, flohen Mohammad Naim Sarwari und seine Familie. Ein Bekannter brachte sie im Auto die 260 Kilometer zum Flughafen Kabul. Wären sie bei der Flucht von den Taliban entdeckt worden, wäre keiner von ihnen mehr am Leben, sagt der Vater.

Leute fallen von Flugzeugen herab

Dann erzählt er vom Flughafen. Im Unterschied zu anderen Familien von Ortskräften hatten die Sarwaris Glück, denn sie konnten ausreisen. Vier Tage musste die Familie neben dem Rollfeld ausharren, ehe sie nach Usbekistan - und von dort aus nach Budapest - ausgeflogen wurde. Er habe gesehen, wie sich Menschen an die startenden amerikanischen Flugzeuge hängten und heruntergefallen seien, sagt Sarwari. Auch die Kinder hätten das mitbekommen.

Die Familie konnte nur wenige Habseligkeiten retten. Die wichtigsten zeigt Mohammad Sarwari: die Ausweise, die bestätigen, dass er für die ungarischen Soldaten gearbeitet hat. Er holt die Papiere aus dem Schrank. Sie sind laminiert, "Isaf" steht darauf, auch eine ungarische Fahne ist zu sehen. Nach dem Vorzeigen dieser Papiere dürfen er und seine Familie sofort aufs Flughafengelände. Das rettet ihnen das Leben.

Rettender Nachweis: Mohammad Naim Sarwari (Zweiter von links) zeigt am Flughafen in Kabul Papiere, die ihn als Ortskraft ausweisen. (Foto: Mohammad Naim Sarwari)

In Ungarn aber möchten die Sarwaris nicht bleiben. Die Kinder hätten dort keine Chancen, sagt der Vater. In den wenigen Monaten, die sie in dem osteuropäischen Land waren, habe es keine Schule für sie gegeben. Also machen sie sich auf nach Deutschland. Da sie dort aber nicht erstmals EU-Boden betreten, wird erst geprüft, ob sie nach Ungarn zurückkehren müssen. Das bedeutet Angst und Ungewissheit für die Familie. Die Prüfung endet in ihrem Sinn, ihnen wird ein Platz in der Unterkunft in Germering zugewiesen.

Nun träumen sie von einer eigenen Wohnung. In dem Zimmer in der Unterkunft ist nicht viel Platz. Die Familienmitglieder schlafen auf Matratzen, die am Morgen aufeinandergeschichtet werden, damit sich Kinder und Eltern untertags in dem Zimmer bewegen können. Neben den Matratzen gibt es noch eine Couch und mehrere Spinde für die Kleidung. Ein Teppich in der Zimmermitte vermittelt ein klein wenig Wärme und Gemütlichkeit.

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