Fürstenfeldbruck:"Es gibt keinen gesunden Menschenverstand"

Lesezeit: 2 min

Benjamin Grünbichler. (Foto: Claus Schunk)

Suchtexperte Benjamin Grünbichler spricht über Verschwörungstheorien und ruft dazu auf, kritisch zu denken.

Von Clara Dünkler, Fürstenfeldbruck

Die Ideen sprudeln: Die Autoindustrie ist dafür verantwortlich, dass die Busse zu spät sind, und der Fürstenfeldbrucker Stadtrat hat beschlossen, die Eishalle abzureißen. Mit fast kindlicher Freude überlegen sich die 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des von Volkshochschule und Stadtbibliothek Fürstenfeldbruck organisieren Diskussionsabends, wie eine Verschwörungstheorie aussehen könnte. Bei der Aufgabe geht es darum zu verstehen, wie solche Theorien entstehen, wie schnell man ihnen selbst Glauben schenkt und wie man ihren Wahrheitsgehalt prüfen kann.

"Es gibt keinen gesunden Menschenverstand", sagt Benjamin Grünbichler. Er ist Geschäftsführer des Vereins "Neon - Prävention und Suchthilfe", und insbesondere Experte für Online-Spielsucht. An diesem Abend hält er einen Input-Vortrag über "Verschwörungstheorien, Fake News und Faktenchecker - wie wahr ist die Wahrheit?" Grünbichler sagt, dass ethische Werte mit der jeweiligen Sozialisation zusammenhängen und es keinen grundsätzlichen, zwischen allen Menschen bestehenden, moralischen Konsens gebe. Wer sich also beim Erkennen von Verschwörungsmythen, Fake News und Co. auf einen "gesunden Menschenverstand" berufe, müsse damit rechnen, falsch zu liegen.

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Der Experte differenziert zwischen Verschwörungstheorie und Verschwörungsmythos. Während eine Theorie überprüfbar ist, sind es Mythen nicht. "Wenn jemand vermutet, dass im Erdinneren Reptiloide wohnen, kann ich das selbst nicht überprüfen", gibt Grünbichler ein Beispiel für einen Mythos. Eine Verschwörungstheorie müsse dahingegen nicht grundsätzlich falsch sein. Sie lasse sich wie eine wissenschaftliche Theorie verifizieren oder eben falsifizieren.

Alfred Wegners Ur-Kontinent

Dass der Begriff des Verschwörungstheoretikers so negativ konnotiert ist, sei eigentlich nicht gerechtfertigt. Grünbichler nennt den Wissenschaftler Alfred Wegner, der Anfang des 20. Jahrhunderts die These von einem Ur-Kontinent vertrat, und ebenfalls als Verschwörungstheoretiker galt. Erst nach seinem Tod wurden seine Annahmen in den Sechzigerjahren bestätigt.

Per Definition sei eine Verschwörung eine geheime Zusammenarbeit mehrerer zum Nachteil Dritter, sagt Grünbichler. Und solche Verschwörungen habe es durchaus gegeben. "Durch Abwertung und Schubladendenken, haben wir noch niemanden in die Gesellschaft zurückgeholt", sagt der Sucht-Experte.

Neben gefährlichen Verschwörungen gebe es aber genauso gefährliche Verschwörungstheorien. Auffällig für diese ist der Versuch ihrer Vertreter und Vertreterinnen, "Logikketten" zu bilden. "Sie vermuten, hinter dem Weltgeschehen ein einziges, großes Muster erkennen zu können", sagt der Referent.

Die sozialen Medien trügen zum Erhalt dieser Theorien bei, da sie durch die "Filter-Blase" nur Inhalt anzeigten, der die eigene Meinung weiter bestätigt. "Die Algorithmen von Google und den anderen großen Technik-Konzernen interessieren sich nicht für Moral, sondern für Profit", sagt Grünbichler.

Diese selektive Darstellung von Inhalten führe zu einer Wahrheitsverzerrung. Um dem entgegenzuwirken, rät der Experte den Teilnehmenden, möglichst viele unterschiedliche Medienkanäle zu konsumieren: "Lesen Sie alles, aber halten Sie nicht alles für bare Münze. Seien Sie kritisch, wenn Medien eine absolute Deutungshoheit beanspruchen." Plattformen wie Mimikama und Correktiv.org informieren über aktuelle Fake News.

Microtargeting

Ob künstliche Intelligenz auch Einfluss auf Fake News nehme, möchte ein Teilnehmer wissen. Der Experte beschreibt in diesem Zusammenhang das sogenannte "Microtargeting", bei dem mittlerweile auch lernfähige Algorithmen eingesetzt würden, um die jeweiligen individuellen Vorlieben der Nutzer zu bedienen.

Insbesondere bei politischen Wahlkämpfen werde diese Technologie verwendet, "und zwar von allen Seiten. Da gibt es kein Gut gegen Böse", sagt Grünbichler. Auch wenn Microtargeting nicht dasselbe sei wie Fake News, werde auch hier durch das Auswählen der Informationen ein einseitiges Bild der Realität geschaffen.

Viele der Teilnehmenden berichten in der anschließenden Diskussion, sie fühlten sich von der "Informationsflut" überfordert. Die Welt erscheine komplexer als früher, was einige beunruhigt. "Ich versuche, meinen Frieden in der Unsicherheit zu finden", sagt ein Diskutant. Wie die Anwesenden Medien konsumieren variiert stark. Während eine Teilnehmerin angibt, jeden Tag mindestens eine Stunde nationale und internationale Zeitungen zu lesen, findet ein anderer das unrealistisch. Natürlich könnte auch er diese Zeit investieren, sagt er. Letztlich vermute er aber, dass zufriedener sei, wer sich auf den eigenen Mikrokosmos konzentriere.

Als Mittel gegen falsche Nachrichten und Verschwörungstheorien fordert Grünbichler die Zuhörenden auf, grundsätzlich wieder kritischer zu denken.

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