Tanztheater:Vom langen Kampf für die Unabhängigkeit

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Zorn über die Vernichtung wichtiger kultureller Werke: Tänzerinnen der Gruppe Zhyttia beim Auftritt in Puch. (Foto: Leonhard Simon)

Tanz, Gesang, Schauspiel und Lichtshow: Die Gruppe Zhyttia erzählt im Gemeindehaus Puch die ukrainische Geschichte mit künstlerischen Mitteln. Nach dem Abschluss mit der Nationalhymne gibt es lauten und lang anhaltenden Beifall.

Von Adriana Wehrens, Fürstenfeldbruck

300 Jahre ukrainische Geschichte im Schnelldurchlauf, gezeigt durch einen multimedialen Auftritt aus Tanz, Gesang, Schauspiel und Poesie sowie Videoinstallation und Lichtshow: Das Tanztheater Zhyttia aus der Ukraine nimmt die Besucher im Gemeindehaus Puch mit auf eine Zeitreise, begleitet von eindrucksvollen Bühnenbildern. Für 14 Künstler erscheint die Bühne zuweilen etwas klein zu sein, ebenso für die komplexen Inhalte der Show. Im vollbesetzten Saal mit etwa 100 Leuten sind auch ukrainische Familien mit Kindern. Der Besuch ist kostenlos, Spenden werden am Ende eingesammelt. Die Erlöse aus der Benefizveranstaltung sollen der Stadt Lwiw im Westen der Ukraine zugutekommen.

Zehn kurze Geschichten

In zehn Kurzgeschichten stellen die Künstler Krieg, Angst und Unterdrückung, aber auch Glaube, Leben sowie die Hoffnung der Ukraine über die Zeit hinweg dar. Die Betonung liegt dabei auf dem Kampf für die Unabhängigkeit. Die Vorführungen sind hinterlegt mit Liedern ukrainischer Komponisten wie Bohdan Vesolovsky, Anatoliy Kos-Anatolsky, Wolodymyr Iwasjuk. Beim ersten Auftritt zeigen sich die Tänzer in dunkler Kleidung und mit Händen in Ketten, welche die Einschränkungen der ukrainischen Bevölkerung symbolisieren. Allein von 1627 bis 1910 habe das russische Reich Hunderte Dekrete zum Verbot der ukrainischen Sprache erlassen. Dies teilt der Erzähler mit, welcher die Zuschauer durch die Geschichte führt. Unterstützt werden seine Worte durch Bilder und Videoausschnitte, die auf einer Leinwand abgespielt werden.

Insgesamt 14 Künstlerinnen und Künstler stehen auf der Bühne. Sie präsentieren dem Publikum eine Mischung aus Tanz und Schauspiel. (Foto: Leonhard Simon)

Der Tanz erinnert an Kämpfe

Gemeinsam mit den Künstlern durchlebt das Publikum die Ukraine zur Zeit des Ersten Weltkrieges, als durch einen Erlass die Landessprache in den westukrainischen Gebieten verboten wird und sämtliche Gebäude von Museen, Bibliotheken und Schulen bis hin zu Archiven zerstört werden. Die Tänze in diesem Teil erinnern durch die akrobatischen Einlagen an Kämpfe, welche die Gruppe auf der Bühne nachstellt. Wieder etwas ruhiger wird es bei einer Gesangseinlage von Nasar Sawko, der unter anderem auch ein selbst geschriebenes Lied vorträgt.

Den Angriff auf die ukrainische Kultur stellt das Theater anhand von Mykola Leontowytsch dar, einem ukrainischen Komponisten, der für das weltweit bekannte Volkslied "Carol of the Bells" verantwortlich ist. Er wie auch Mychajlo Bojtschuk, Begründer der Schule des ukrainischen Monumentalismus in der Malerei, sind ermordet und viele weitere Bürger deportiert worden. Bei diesem Teil des Auftritts verfallen die Tänzer in einen Sprechchor, der die Wut im Rückblick auf das Geschehene ausdrücken soll.

Die Männer der Tanzgruppe brauchen eine besondere Erlaubnis, denn sie sind wehrpflichtig. (Foto: Leonhard Simon)

Nationalhymne zum Abschluss

Die Geschichte endet mit der heutigen Zeit. Auf der Leinwand sind Bilder aus dem Krieg in der Ukraine zu sehen, wie man sie auch aus den Nachrichten kennt. Die Künstler gehen in diesem Zusammenhang auf ihren bisherigen Auftritt ein: "Das alles wiederholt sich heute. Der heutige Krieg zeigt, dass Russlands Ziel die Auslöschung der Ukraine und ihrer Kultur ist. Wir alle sind Zeugen eines Völkermordes." Darauf folgt mit dem Anstimmen der ukrainischen Nationalhymne der bewegendste Moment des Abends. Fast der ganze Saal erhebt sich, während alle Ukrainer im Raum das Lied singen. Es folgt ein langer und lauter Applaus mit anschließender Übergabe eines Blumenstraußes an die Choreografin Iryna Masur.

Im Griff des roten Sterns: Der Maler Mychajlo Bojtschuk wird ein Opfer des sowjetischen Geheimdienstes. (Foto: Leonhard Simon)

Das Tanztheater befindet sich aktuell auf einer Tour mit dem Titel "Reminiszenzen.UA" durch Süddeutschland im Rahmen der Katholikentage. Zuletzt ist es zu Gast in Stuttgart gewesen. Fast wäre es zu der Reise nicht gekommen, da auch männliche Tänzer mit dabei sind. Diese mussten sich erst mit einem größeren Aufwand eine Sondererlaubnis beschaffen, da sie von der Wehrpflicht betroffen sind. Im vergangenen Jahr hat die Gruppe ihr 35-jähriges Bestehen gefeiert. Seit der Gründung ist die Gruppe schon durch 39 Länder getourt. Einige Mitglieder gelten als Volkskünstler mit besonderen Auszeichnungen im eigenen Land. Beim Eurovision Song-Contest 2004 sind sie mit Sängerin Ruslana in einer Performance aufgetreten, die ebenfalls von einem Kampfmotiv geprägt gewesen ist. Mit dem Auftritt konnten sie den Wettbewerb für sich entscheiden.

Edigna als Verbindung

Für die Organisation der Veranstaltung war der Edigna-Verein Puch zusammen mit dem Dachverband der ukrainischen Organisationen in Deutschland verantwortlich. Der Verein beruft sich auf die selige Edigna von Puch, die der Legende nach die Tochter von Anna von Kiew war. Auf diese Weise besteht eine besondere Verbindung zur Ukraine. Aus diesem Anlass ist unter anderem der ukrainische Konsul ein regelmäßiger Gast. Auch Staatspräsident Viktor Yushchenko hat den Ortsteil von Fürstenfeldbruck im Jahr 2007 besucht. Edigna Kellermann, Vorsitzende des Vereins, zeigte sich äußerst begeistert von dem Auftritt an diesem Abend. "Ihr wart so großartig!", rief sie dem Tanztheater nach dem Auftritt zu. Auch die Iryna Masur bezeichnete den Auftritt als etwas "ganz Besonderes". Da die Geschichte von Edigna die gleichen Wurzeln habe, sei der Besuch der Gruppe in Puch von großer Bedeutung gewesen.

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