Zum 50. Jahrestag:Digitale Erinnerung an das Olympia-Attentat

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Mit der App zum digitalen Erinnerungsort sollen die Ereignisse vom 5. September 1972 der Fliegerhorst Fürstenfeldbruck erlebbar gemacht werden. (Foto: privat/oh)

Zur Gedenkveranstaltung am 5. September werden eine Webseite und eine App mit Informationen und Hintergründen zu den blutigen Ereignissen von 1972 veröffentlicht. Der Erinnerungsort am Tower des Fliegerhorstes von Fürstenfeldbruck kann erst eingerichtet werden, wenn die Bundeswehr abgezogen ist.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Am 5. September 1972 überfiel ein palästinensisches Kommando in München die israelische Olympia-Mannschaft, ermordete zwei Sportler in ihren Quartieren an der Conollystraße und nahm neun Israelis als Geiseln, mit denen es in einem Flugzeug ausgeflogen werden wollte. Diese Maschine wurde auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck bereitgestellt. Bei einer misslungenen Befreiungsaktion der bayerischen Polizei kamen die israelischen Sportler und ein Polizist ums Leben.

An diese schrecklichen Ereignisse wird heuer in München und im Landkreis mit einer Reihe von Veranstaltungen gedacht. Pünktlich zur Gedenkveranstaltung des Landkreises zum 50. Jahrestag des Anschlags wird ein digitaler Erinnerungsort veröffentlicht werden, der aus einer Webseite und einer App besteht. "Es ist der erste Schritt hin zu einem authentischen Erinnerungsort", sagt Anna Lena Greithanner. Die freiberuflich tätige Historikerin hat zusammen mit ihrem Kollegen Dominik Aufleger im August 2020 ein erstes Konzept entwickelt. Seit Juni 2021 verstärkt der Historiker Robert Wolff, Referent bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, das Münchner Team. Sie haben für diese Arbeit, die der Landkreis in Auftrag gegeben hat, neues Material recherchiert und aktuelle Veröffentlichungen gesichtet.

Anna Greithanner ist freiberuflich tätige Historikerin. Sie hat im August 2020 ein erstes Konzept entwickelt... (Foto: privat/oh)
... gemeinsam mit ihrem Kollegen Dominik Aufleger. (Foto: privat/oh)
Seit Juni 2021 verstärkt der Historiker Robert Wolff, Referent bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, das Münchner Team. (Foto: Gerd Scheffler/Dr. Arthur Pfungst-Stiftung/oh)

Dabei ist dem Dreier-Team aufgefallen, dass zentrale Elemente der Geiselnahme bisher zum Teil widersprüchlich oder nicht korrekt dargestellt werden. Standen wirklich die beiden RAF-Mitglieder Ulrike Meinhof und Andreas Baader auf der Liste der freizupressenden Inhaftierten? Welche Befreiungspläne wurden im Krisenstab zur Befreiung der israelischen Geiseln diskutiert? Die Historiker haben neueste Erkenntnisse in Webseite und App integriert und werden dort wichtige Dokumente veröffentlichen, um Bildungseinrichtungen und Privatpersonen eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Ereignissen zu ermöglichen.

Die Webseite enthält ein 3D-Modell des Fliegerhorst-Areals, das mit einer Drohne aufgenommen wurde. Auf diesem Modell kann sich der Besucher bewegen und findet multimedial aufbereitete Informationen zum Attentat. Die App wiederum ermöglicht Besuchern mit ihrem Smartphone entweder virtuell den Ort des Geschehens erkunden und den Berichten von Zeitzeugen zuhören können oder kann bei einem wirklichen Rundgang über das Gelände die Technik wie einen Guide benutzen.

Hinterbliebene mussten jahrzehntelang um Entschädigungen und Aufklärung streiten

Allerdings bieten Homepage und App wesentlich mehr Informationen als ein normaler Audioguide oder eine konventionelle Ausstellung. Zu finden sind zeitgenössische Fotos und Filme sowie schriftliche Dokumente und ausführliche Interviews mit Zeitzeugen. Diese wurden auf Initiative des Landkreises mit Bürgern geführt, die damals in einiger Entfernung, etwa am Zaun des Fliegerhorstes, standen, sowie mit Sanitätern und Polizisten, die im Einsatz waren. Neben grundlegenden Informationen über das Attentat werden einige Aspekte des damaligen Geschehens im Detail behandelt, etwa die missglückte Polizeiaktion, aber auch die Biografien der ermordeten Geiseln.

Der Fokus liegt auf den Ereignissen in Fürstenfeldbruck, heikle Themen würden nicht ausgespart, versichern die drei jungen Wissenschaftler. So mussten Hinterbliebene jahrzehntelang mit deutschen Behörden um Entschädigungen und Aufklärung, etwa die Freigabe von Akten, streiten. Weitere Themen sind die Entwicklung des Gedenkens an das Attentat, aber auch Hintergrundinformationen zum aktuellen Antisemitismus und entsprechenden Beratungs- und Präventionsstellen. Zudem ermöglicht ein digitales Kondolenzbuch, der Opfer zu gedenken und persönliche Gedanken zu hinterlassen.

Die Arbeit am digitalen Erinnerungsort liege voll im Zeitplan, betont Aufleger. Pünktlich am 5. September würden die Homepage und die App online gehen. Alle Funktionen stünden wie geplant zur Verfügung, allerdings könne das Angebot auf der App ständig weiterentwickelt werden, erklärt Wolff. Für Besucher besteht im September die Möglichkeit, das digitale Angebot vor Ort zu nutzen, weil die Bundeswehr den Fliegerhorst zur Gedenkveranstaltung für einen begrenzten Zeitraum öffnen werde.

2012 landet ein Hubschrauber für Filmaufnahmen vor dem Alten Tower. (Foto: Günther Reger)

Der digitaler Erinnerungsort ist nicht als Ersatz für eine Gedenkstätte am Tower des Fliegerhorstes gedacht, wo das Massaker stattfand, sondern bereitet den Weg dahin: Die digitalen Angebote ermöglichen den Brückenschlag zwischen dem noch nicht zugänglichen Areal und der bereits stattfindenden Erinnerungsarbeit im Landkreis, sagte Greithanner. Sobald der authentische Ort für die Allgemeinheit zugänglich ist, kann die App vor Ort genutzt werden und stellt so ein erstes Element eines Erinnerungsprojektes dar. Die Einrichtung des realen Erinnerungsorts wiederum hängt davon ab, wann die Bundeswehr den Standort Fliegerhorst räumt oder zumindest den Bereich des Towers und einen Zugang freigibt.

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