Nicht gehört und nicht ernst genommen zu werden, führt zu Frust und Frust zu Gleichgültigkeit oder Wut. Die Stimme von Minderjährigen zählt in der Demokratie wortwörtlich nicht. Selbst mit der Volljährigkeit fühlt sich die Wirksamkeit der eigenen Bemühungen als einer von 83 Millionen oftmals an wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Doch ist dem tatsächlich so? Das Projekt von Sabine Kehr möchte Kindern und Jugendlichen das Gegenteil beweisen und sie vor einer Politikverdrossenheit bewahren.
Kehr ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaften und Soziologie der Universität Würzburg. Seit 2018 organisiert Kehr Plenumsdiskussionen mit dem Schülerparlament der Mittelschule Nord in Fürstenfeldbruck. Thematisiert werden Ideen, Probleme und Verbesserungsvorschläge der Schüler und Schülerinnen zur Gestaltung ihres Schullebens. Vor kurzem kamen die Vertreterinnen der jeweiligen Klassenstufen zusammen, um über schulrelevante Themen zu diskutieren, die die Kinder und Jugendlichen der Mittelstufe momentan beschäftigen. Anstatt politische Abläufe durch das Lehrbuch in der Theorie beigebracht zu bekommen, dürfen die Kinder aktiv an demokratischen Entscheidungen mitwirken.
"Oftmals sind demokratische Werte etwas Abstraktes für die Schüler", erzählt Kehr, "sie bekommen Selbstwirksamkeit zu spüren. Sie merken, dass es etwas bewirkt, wenn sie sich für etwas einsetzen." Schon schnell zeigt sich, dass die Schüler das Angebot der politischen Anteilnahme angenommen haben. Kehr agiert nur noch im Hintergrund und hilft aus, wenn Unklarheiten entstehen. Geleitet wird die Diskussion von den Schülern. Die aktuell diskutierten Themen sind die Fragen, ob die Schule einen Snackautomaten braucht, ob noch mehr von den Wellenbänken im Schulhof aufgebaut werden sollen oder mehr Mülleimer vor dem Schulgebäude aufzustellen sind.
Schnell zeigt sich, was Kehr mit "Selbstwirksamkeit" meint. Bei der Idee geht es um Anteilnahme, um das Vermitteln demokratischer Werte und darum, die Schüler dafür zu motivieren, sich für individuelle und gemeinschaftliche Anliegen einzusetzen. Anstatt politische Themen als "isoliertes, theoretisches Wissen" beigebracht zu bekommen, schaffe dieses Projekt eine Verbindung zwischen Politik und der eigenen Lebensrealität, erklärt Kehr. Mit Wortmeldungen und konstruktiven Beiträgen einigen sich die Schüler schnell auf mögliche Lösungswege. Dass an diesem Tag nur die Vertreterinnen der Fünft- bis Siebtklässler an der Podiumsdiskussion teilnehmen können, tut dem ganzen keinen Abbruch. Anstatt, dass die Diskussion ins Leere verläuft, die Schüler das Interesse verlieren, oder sich schlichtweg nicht trauen etwas zur Debatte beizutragen, bringen sie sich aktiv in die Diskussion mit ein. Wo die gemeinschaftlichen Problematiken liegen und was sie erreichen möchten, können sie verständlich kommunizieren und verstehen auch, dass sie für die Umsetzung ihrer Vorschläge Eigeninitiative zeigen müssen.
"Wenn man was will, muss man auch was dafür tun", sagt eine der Fünftklässlerinnen und erhält Zustimmung von ihren Mitschülern. Freiwillig erklären sie sich dazu bereit Umfragen in den Klassen durchzuführen, um herauszufinden, wie groß das Interesse an neuen Wellenbänken ist.
Grenzen der Finanzierbarkeit
Um den Kindern keine falschen Hoffnungen zu vermitteln, greift Direktorin Bettina Jungtorius an diesem Punkt ein. Sie erklärt den Schülern, mit welchen Mitteln die Schule finanziert wird und dass ihnen erst wieder im Jahr 2024 Kapazitäten für neue Schulbänke zusteht. Anstatt sich entmutigen zu lassen und die Idee zu verwerfen, entwickeln die Kinder eigenständig neue Lösungswege. Beispielsweise schlagen sie vor, die Eltern um Spenden zu bitten, oder mit Hilfe der Kampagne "Trash2Cash" Geld zu verdienen.
Laut Kehr entwickelte sich dieses Engagement und das lösungsorientierte Denken der Schüler erst im Laufe der Zeit. Im ersten Jahr seien die Kinder noch deutlich verhaltener gewesen: "Sie mussten erst lernen, dass sie hier ihre eigene Meinung haben dürfen, dass sie sagen dürfen, was sie denken und nicht ausgelacht werden. Mit der Zeit haben sie gelernt, dass sie etwas bewirken können."
Unterstützung erhält das Projekt von Gabriele Triebel. Die Grünen-Landtagsabgeordnete aus dem Stimmkreis Fürstenfeldbruck West/Landsberg gehört dem Ausschusses für Bildung und Kultus an und ist Sprecherin für Bildung, Religion und Erinnerungskultur ihrer Fraktion. Zu der Podiumsdiskussion ist sie gekommen, um sich den neugierigen Fragen der Schüler zu stellen und zu beobachten, wie die Podiumsdiskussion verläuft. "Es ist wirklich ein tolles Projekt", lobt Triebel die Arbeit von Kehr. Besonders beeindruckt ist, wie aktiv die Kinde und Jugendlichen teilnehmen. Ihnen demokratische Werte zu vermitteln, empfindet sie als eine bedeutsame Aufgabe: "Es ist wichtig, die Kräfte innerhalb einer Gesellschaft zu stärken, so dass sich die Kinder und Jugendlichen zu mündigen Bürgern weiterentwickeln, ein politisches Interesse gewinnen und wählen gehen."