Kirche:Austrittswelle nach Missbrauchsgutachten

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Die Tür zur Kirche schlagen immer mehr Menschen hinter sich zu. Das belegt die Zahl der Anträge auf Austritt in den Standesämtern. (Foto: Carmen Voxbrunner/Carmen Voxbrunner)

Die Standesämter stellen eine steigende Zahl von Menschen fest, die ihre Konfessionszugehörigkeit aufgeben

Von Xaver Lallinger, Fürstenfeldbruck

Dieser Januar wird ein schwarzer Monat für die Kirche. Nach den weiteren Enthüllungen um den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in den vergangenen Jahrzehnten, nimmt die Zahl derjenigen, die sich von der Kirche abwenden, drastisch zu. Ob im ländlich geprägten Westen des Landkreises ist oder im städtischen Osten - für immer mehr Menschen ist "das Maß voll". So drückt Johannes Steinitz vom Standesamt der Verwaltungsgemeinschaft Mammendorf die Stimmung der Antragsteller aus, als er über den Anstieg um etwa ein Drittel bei den Kirchenaustritten berichtet.

Vor allem in den vergangenen Tagen haben sich viele Christen entschlossen, ihrer Kirche den Rücken zu kehren, nachdem das Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der Erzdiözese München Freising veröffentlicht wurde. Die dort erhobenen Vorwürfe und auch die Erkenntnisse lassen viele Katholiken an ihrer Konfessionszugehörigkeit zweifeln. Allein in der VG Mammendorf haben 20 Bürgerinnen und Bürger innerhalb weniger Tage einen Antrag auf Kirchenaustritt gestellt.

Weitere Termine gebucht

Die steigende Nachfrage bemerken auch die Standesämter in Fürstenfeldbruck, Germering, Gröbenzell und Eichenau. Petra Oswald, vom Standesamt der Kreisstadt berichtet von zwölf Austritten seit dem 20. Januar und 17 weiteren Terminen bis Freitag kommender Woche. Insgesamt seien somit seit Jahresbeginn 45 Personen aus der katholischen und der evangelischen Kirche ausgetreten. Verglichen mit den 27 Austritten im Januar 2021, sei das schon "sehr viel". Oswald befürchtet zudem, "dass das noch nicht alles war".

Dieser Anstieg zeigt sich auch in Germering. Dort seien in diesem Jahr bereits 15 Personen ausgetreten, berichtet die Standesamtsleiterin Christiane Eschenweck. Im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres seien es lediglich drei gewesen. Anja Metz, Leitung des Geschäftsbereiches Bürgerservice in Gröbenzell, erkennt in ihren Zahlen einen ähnlichen Trend. Seit Donnerstag seien bereits zwölf Personen aus der katholischen Kirche ausgetreten. 22 neue Termine für Kirchenaustritte wurden gebucht, die jedoch in diesem Fall sowohl für den Austritt von Protestanten und Katholiken sein können. Insgesamt jedoch merke sie, dass der Austritt vieler mit der Veröffentlichung des Gutachtens korreliert.

Die Menschen sind bestürzt und sprachlos

Die Zahlen des Standesamtes Eichenau bestätigen die Aussagen andere Ämter nur weiter. Im vergangenen Jahr sind im Durchschnitt pro Monat 13 Personen aus den beiden Kirchen ausgetreten. In diesem Januar allein sind es schon 23, die die Konfession quittieren.

Die Stimmung, seitdem das Gutachten bekannt ist, bekommen auch die katholischen Seelsorger der Gemeinden zu spüren. Die sonst üblichen Gespräche und die Heiterkeit nach den Gottesdiensten, seien an diesem Wochenende ganz ausgeblieben, erzählt Pfarrer Andreas Christian Jaster, Leiter der Stadtkirche Germering. Seine Gemeindemitglieder seien insgesamt sehr aufmerksam bei Ereignissen im gesellschaftlichen Zusammenhang. Aus diesem Grund spüre er in diesem Moment die Bestürzung und Sprachlosigkeit vieler Menschen.

So empfindet es auch Pfarrer Wolfgang Huber, Pfarrverbandsleiter aus Mammendorf. Sowohl die mit der Kirche enger verbundenen als auch die etwas kritischeren Personen, seien gleichermaßen von der Veröffentlichung ergriffen. Das sei auch gut so, sonst "hätte man ein Problem", so Huber. Direkte Reaktionen haben beide jedoch kaum erhalten. Die Leute würden, selten vor der Austrittsentscheidung das Gespräch mit ihm suchen, erklärt Jaster aus Germering. Er würde in den meisten Fällen erst im Nachhinein über das Standesamt davon erfahren. Dann schreibe er den Personen immer einen Brief und machen ihnen bewusst, dass die Tür, sollten sie wieder zur katholischen Kirche zurückkommen wollen, jederzeit offenstehe. Jedoch würden darauf nur zehn bis fünfzehn Prozent antworten.

Eine Ohrfeige für die örtlichen Seelsorger

Ähnliche Erfahrungen teilt auch Pfarrer Otto Gäng, Leiter des Pfarrverbandes Fürstenfeld. Sollte er jedoch Antworten auf seine Briefe erhalten, würde ein Großteil der Menschen ihren Austritt mit der Vertuschung der Missbrauchsfälle, der Kirchensteuer oder dem Zölibat begründen. Dennoch möchte er den Menschen bewusst machen: Mit einem Kirchenaustritt gebe man nicht nur den Verantwortlichen, also dem Ordinariat oder dem Vatikan "eine Ohrfeige", sondern auch ihnen als lokalen Seelsorgern. Das Ordinariat würde nämlich erst in zweiter Linie von den Austritten erfahren und kenne denn auch nicht die zugehörigen Gesichter. Er jedoch würde sich jeden Austritt zu Herzen nehmen. Den Gemeindemitgliedern, die jetzt mit dem Austrittsgedanken spielten, sagt er: "Nur wer dabei ist, kann klar und deutlich sagen, was schiefläuft".

Die Bestürzung in seiner Gemeinde über die Ergebnisse des Gutachtens merkt auch Gäng. Er habe schon einige E-Mails von Gemeindemitgliedern erhalten. Viele zeigten sich persönlich berührt über die Verbrechen und den Umgang der katholischen Kirche damit. Bei einzelnen E-Mails merke er jedoch sogar eine gewisse Genugtuung, dass dieses Gutachten der katholischen Kirche ein derartiges Fehlverhalten nachgewiesen hat.

Diese Stimmungslage zeige sich auch in den Gottesdiensten, erzählt der Germeringer Pfarrer Jaster. Die sonst üblichen Gespräche und die Heiterkeit nach dem Gottesdienst hätten am Wochenende gefehlt. Dieses Gefühl habe er zum Beispiel beim Gottesdienst in der Klosterkirche am Wochenende auch gehabt, berichtet Gäng aus Fürstenfeldbruck. Beide hätten das Thema daraufhin im Gottesdienst offen angesprochen und die Taten thematisiert. Gäng erklärt, dass er den Umgang mit Geschlagenen und Armen angesprochen habe. Somit wäre es für ihn unmöglich gewesen, sich vor dem drängenden Thema Missbrauchsgutachten "wegzuducken". "So ein Mensch bin ich nicht", sagt Gäng. Er habe es deshalb nicht totgeschwiegen oder ausgeblendet. Dabei habe er gemerkt, dass sich bei den Zuhörern "etwas löste".

Pfarrer Huber aus Mammendorf hingegen erzählt, dass er am Wochenende nicht auf das Gutachten eingegangen sei. Dennoch sei für ihn in der Predigt das Thema Vertrauen und wie man es in der Gemeinde aufrechterhält, ein wichtiger Punkt gewesen. Eine andere Herangehensweise wählte am Wochenende der Stadtpfarrer in Germering. Er habe für die Opfer gebetet und eine Schweigeminute initiiert. Für ihn habe die Kirche auch in diesem Fall die Opferseite zu wenig im Sinn. Das sei für ihn ein "zweites Nicht-Hinschauen" und für die Opfer ein weiterer "Schlag ins Gesicht", so Jaster.

Das Evangelium verraten

Der Schritt der Erzdiözese für ein externes Gutachten befürwortet ein Großteil der Seelsorger. "Wenn man es von sich heraus nicht schafft, Transparenz und Vertrauen zu schaffen, ist es gut, sich von außen beurteilen zu lassen", so Jaster. Das helfe gegen "Systemblindheit" und "verschrobene Parallelwelten". Es sei jetzt an der Zeit für die Kirche zu "schweigen, zuzuhören und die Kritik auszuhalten". Sowohl die Taten als auch die Vertuschung durch wichtige Kirchenvertreter "halte er für ein Verbrechen", es sei "unfassbar". Für Gäng hätten die Täter "Verrat am Evangelium und am Herrn begangen". Es sei für ihn schwer in Worte zu fassen, wie geweihte Priester solche Taten begehen konnten und in solch "kranker Weise Menschen verzweckten".

Für Jaster steht fest: "Die Kirche muss ihre Strukturen, die nicht funktionieren und die ihre Schwächen jetzt offenbaren, umjustieren" Nur so könne sie in Zukunft ihre "Vertrauenswürdigkeit" aufrechterhalten.

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