Strukturwandel im Landkreis:Wenn Dörfer ihr Gesicht verlieren

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Das zerfallende alte Bauernhaus in der Nassenhausener Hauptstraße ist nur ein Beispiel der sich auflösenden Strukturen auf den Dörfen im Landkreis. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Toni Drexler und die Kreisheimatpflegerin Susanne Poller warnen vor einem architektonischen Einheitsbrei und dem Verlust kultureller Identität

Von Florian Haamann, Fürstenfeldbruck

"Es tut mir in der Seele weh, wenn ich sehe, wie unsere Dörfer ihr Gesicht verlieren", sagt der ehemalige Kreisheimatpfleger Toni Drexler. Immer wieder werde er auch von Außenstehenden auf die in ihren Augen bedauernswerte Entwicklung vor allem in den westlichen Gemeinden im Landkreis aufmerksam gemacht. Dass er mit seinem Eindruck nicht alleine ist, habe ihn umgetrieben. Deshalb hat er sich mit der Kreisheimatpflegerin Susanne Poller zusammengeschlossen und gemeinsam mit ihr einen offenen Brief geschrieben, der zumindest ein Bewusstsein schaffen soll - für den "massiven Kulturverlust", der sich da langsam aber sich ausbreite.

"Das Land Bayern hat viele Gesichter: Spektakuläre, wunderschöne, banale und auch hässliche, aber immer unterschiedliche - diverse! Gleiches gilt - oder galt - auch für die Dörfer Bayerns", beginnen die beiden ihr Schreiben. Genau diese Diversität aber, die vielen Eigenheiten, die jede Region ausmachten, gingen verloren. "Aus Dörfern, die das Gesicht einer Region prägten, werden austauschbare, gesichtslose Siedlungen. Von Flensburg bis Garmisch, ein Einheitsbrei!", warnen sie. Dabei gehe es nicht um eine romantische Verklärung, sagt Drexler. Das zu betonen, ist ihm wichtig. "Es liegt mir fern eine Stimmung von "Früher war alles besser" hervor zu rufen. Es ist natürlich, dass auch Dörfer sich im Laufe der Zeit gewandelt haben und es weiter tun." Was allerdings früher Jahrhunderte gedauert habe, geschehe heute innerhalb eines Jahrzehnts.

Mehr Grünflächen und Bäume, keine Gehsteige: Auch das macht das klassische Dorf aus (Foto: Toni Drexler/OH)

Die Erben verkaufen an einen Bauträger, dann wird jeder Quadratmeter ausgenutzt

Was aber genau ist dieser Gesichtsverlust, den die beiden beklagen? "Fahren wir durch unseren Landkreis: Aufgelassene Hofstellen mit ehemaligen Bauernhäusern, kleine wie große, stehen leer, die Erben verkaufen meist an einen Bauträger, dieser plant eine Wohnanlage unter Ausnutzung von jedem bebaubaren Quadratmeter und dann kommt der Bagger", heißt es dazu im Schreiben. Grundstücke, auf denen früher ein großes Bauernhaus mit seinen regionalen Besonderheiten gestanden habe, werden mit Retorten-Einfamilienhäusern bebaut und mit einem Zaun eingegrenzt, während früher die einzelnen Grundstücke fließend und offen ineinander übergangen sind. Zäune gab es nur da, wo Pflanzen vor Vieh geschützt werden mussten. Während die Bauernhäuser mit regionalen Baustoffen errichtet und eingerichtet worden sind, herrsche auch da heute Beliebigkeit. "Mit den Baumärkten sind überall die gleichen Baumaterialen verfügbar geworden. Früher gab es in jeder Region vielleicht eine Handvoll davon. Hier etwa Holz, Ziegel, ein bisschen Eisen, ein bisschen Glas. Aber auch das bedeutet nicht, dass ich will, dass man zu diesem puritanischen Stil zurückkehrt. Auch ich weiß den modernen Standard durchaus zu schätzen", sagt Drexler.

Ein anderes Beispiel, das Drexler nennt, ist die Durchgrünung. Auch die habe zur traditionellen dörflichen Struktur gehört, auch sie verschwinde zunehmend. "Es macht einen Ort gleich lebenswerter, wenn noch die entsprechenden Grünflächen zwischen den Häusern sind. In den neuen Siedlungen steht auf jedem Grundstück ein Haus, um das man gerade so noch rumlaufen kann, dazu ein paar Blumen und Büsche und das wars. Damit verändert sich das Dorf natürlich wesentlich. Andererseits verstehe ich die Entwicklung natürlich auch, wenn man sich die irrsinnigen Quadratmeterpreise anschaut", sagt Drexler.

Dass die aktuellen Entwicklungen schwer aufzuhalten sind, ist auch Poller und Drexler klar. Ihnen geht es vielmehr um einen Appell, sich Gedanken über die Gestaltung des Eigenheimes auf dem Land zu machen. Deshalb richten sie sich in ihrem Schreiben auch direkt künftige Besitzer: "Liebe Bauherren und -frauen: Schaut euch um, es gibt viele gute, bezahlbare und zeitgemäße Lösungen für den Umgang mit alter Bausubstanz. Bevor man den Bestattungsunternehmer anruft, wird man immer zuerst verschiedene Ärzte konsultieren - bevor man das Abbruchunternehmen anruft, sollte man doch erst einen Architekten/Architektin befragen und sich beraten lassen. Jedes Abbruchhaus hat das Recht auf eine Zweit- und Drittmeinung".

Der Spielraum der offiziellen Stellen ist überschaubar

Ein Beispiel, an dem der Niedergang eines alten Bauernhauses aktuell zu beobachten ist, findet sich in der Hauptstraße in Nassenhausen. Das historische Gebäude steht unter Denkmalschutz, verfällt aber zusehends. Wenn es dort wie in vergleichbaren Fällen läuft, wird so lange gewartet, bis das Haus zusammenfällt. Denn wo kein Denkmal, da kein Schutz mehr - und somit die Gelegenheit, ein weiteres modernes Haus auf das Grundstück zu bauen. "Meine Hoffnung wäre, dass auf sowas auch mal die offiziellen Stellen reagieren, wobei sie da auch nicht viel machen können", sagt Drexler.

Es gebe immer wieder auch positive Beispiele im Umgang mit historischen Gebäuden im Landkreis Fürstenfeldbruck. Überhaupt könne er beobachten, dass vermehrt junge Menschen aus den Städten zurück in ihre Dörfer ziehen, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen und eine Familie gegründet haben.

"Wenn ich mich so in der Nachbarschaft umschaue, dann haben sie etwas in ihrer Sozialisation mitbekommen, das sie vermissen, wenn sie in der Großstadt sind. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern und viele fühlen sich auch dort wohl, was ja vollkommen in Ordnung ist", sagt Drexler.

Vielen falle es aber leichter, sich in ihrer Heimat auf dem Dorf für etwas zu engagieren als in der Stadt. Und natürlich sei es auf dem Dorf einfach überschaubarer, was viele genössen, wenn sie mal über 30 seien. Auch wenn einige der Rückkehrer selbst neu bauten, gäbe es doch andere, die alte Häuser kauften und wieder herrichteten. "Die sind dann glücklich, dass sie selbst anpacken können und darin einen Sinn finden", sagt Drexler.

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