Fürstenfeldbruck:Frostige Angelegenheit

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Seit mehr als drei Jahren muss die Familie von Ingrid Witkwoski in Maisach mit einem schweren Schaden an ihrem Haus leben. Mit den neuen Nachbarn fechtet sie deshalb einen Rechtsstreit aus. Ein Ende ist nicht in Sicht

Von Erich C. setzwein

Es ist der 5. Februar 2018 und ziemlich kalt draußen. Daniela Gönner und eine Freundin sitzen in der Küche, als sie schabende Geräusche durch die Außenwand wahrnehmen. Instinktiv weichen die beiden zurück, dann bemerkt Gönners kleiner Sohn Paul den Bagger, der sich auf dem Nachbargrundstück an der Frauenstraße in Maisach durch die alte Werkstatt der Schreinerei Zach frisst. Der Baggerfahrer erfüllt einen Auftrag, eine Genehmigung für den Abbruch des Altbestandes auf dem Grundstück aber hat er angeblich nicht. Doch der Abbrecher muss sein Tun selbst abbrechen, weil er sich um die Standfestigkeit des Hauses sorgt, in dem Gönner mit ihrem Sohn, ihre Mutter Ingrid Witkowski und ihre Großmutter Maria Wex lebt. Seit diesem frostigen Tag vor dreieinhalb Jahren ist in der Frauenstraße 2 einiges anders geworden. Repariert ist der Schaden bis heute nicht, eine Klage ist noch nicht zu Ende verhandelt, und die Stimmung mit der neuen Nachbarschaft ist dahin.

Jahrzehntelang standen die Häuser an der Frauenstaße 2 und 4 aneinander. Auf der einen Seite das Haus der Familie Wex, in der Ingrid Witkowski groß wurde, daneben die Schreinerei. Nach dem Abbruch der schützenden Außenwand des Nachbargebäudes wird den Bewohnerinnen erst klar, wie es ist, mit einer offenen Flanke leben zu müssen. Denn Hausbesitzerin Ingrid Witkowski hält sich schon gar nicht für die Verursacherin des Schadens, den der Bauträger des Nachbargrundstücks angerichtet hat. Durch den Schaden können weder die Garage noch die darüber liegende Terrasse genutzt werden, beides ist einsturzgefährdet. Die Außenwand ist ungeschützt und feucht, es schimmelt, und in den Wintermonaten ist ein Aufenthalt in der Küche nicht lange möglich. Auch im Bad wird es kalt und feucht. Ingrid Witkowski muss einen Heizlüfter anschließen, um einigermaßen die Zimmertemperatur zu halten. Dass die Verursacher für den Schaden aufkommen, dass die Außenwand endlich gedämmt wird, dafür kämpft sie. Aber ihre Kräfte und Mittel sind begrenzt. Sie hat nun allen Mut zusammengenommen und ihre Geschichte öffentlich gemacht.

Ingrid Witkowskis Geschichte hört sich an wie solche, die Alteingesessene erzählen, wenn sie Schwierigkeiten mit den neu Zugezogenen haben. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als ihr Elternhaus, in dem sie aufgewachsen ist, aus dem sie einmal auszog und wieder zurückkehrte, als es darum ging, die an Demenz erkrankte Mutter zu pflegen. Die Geschwister hätten kein Interesse am Haus gehabt, sie habe sie ausgezahlt, sagt die 55-jährige Beamtin. Sie lebt gern in dem gut 100 Jahre alten Haus.

Als er erkennt, welche Schäden noch folgen könnten, stellt der Baggerfahrer die Arbeitan der Außenwand des Hauses von Ingrid Witkowski ein. (Foto: Günther Reger)

Das Grundstück liegt unweit der Bahnstrecke, vom Küchenfenster kann man auf den Bahnsteig schauen, das Haus ist umgeben von anderen Ein- und Mehrfamilienhäusern. Es ist jener Teil der Frauenstraße, in dem mehr Menschen wohnen, als im weiteren Verlauf, wo sich dann Firmengebäude an Werkshalle fügt und an dessen Ende die Firma Rappenglitz mit ihrem schwarzen Neubau einen modernen architektonischen Schlusspunkt im Gewerbegebiet gesetzt hat. In dem kleinen Haus der in Maisach gut bekannten Familie Wex hätten die jetzt dort wohnenden vier Generationen auch gut weiterleben können. Ingrid Witkowski, die ihren Arbeitsplatz im Fliegerhorst hat, kann ihre Mutter in deren Erdgeschosswohnung versorgen, sie selbst wohnt im ersten Stock, und das Dachgeschoss hat sie als Wohnung für ihre Tochter Daniela ausgebaut.

Ihr Ziel, als sie 2010 von Gernlinden nach Maisach zurückzog, war: "Ich will das Haus so lange erhalten, wie es geht." Damals war sie noch verheiratet, das Ehepaar nahm mehr als 200 000 Euro auf, um das Haus zu renovieren und es fürs Alter entsprechend herzurichten. "Die fortschreitende Krankheit meiner Mutter und die damit verbundene Pflege und Aufmerksamkeit die ich ihr widmen muss, hat mein Ex-Mann nicht mehr toleriert, und wir haben uns im Dezember 2015 getrennt, die Scheidung war im Januar 2018", berichtet Ingrid Witkowski. Sie musste einen weiteren Kredit aufnehmen, um den ihrem Mann zustehenden Zugewinnausgleich bezahlen zu können. Seither trägt sie alleine auch die Darlehenskosten fürs Haus. Der Scheidung im Januar 2018 mit all ihren auch seelischen Auswirkungen folgte im Februar er nächste Schlag: der Abriss des Nachbarhauses. Die Beseitigung der alten Schreinerei hatte schon im November 2017 begonnen, war aber unterbrochen worden.

Ingrid Witkowski und ihre Tochter wussten sich nicht zu helfen. Der Baggerfahrer stellte seine Arbeit zwar ein, als er erkannte, welche Schäden noch kommen könnten und verließ die Baustelle, wie die beiden Frauen erzählen. Aber ein Bauleiter, an den sie sich hätten wenden können, war nicht anwesend. Auch beim Bauträger erreicht sie niemanden. Seit damals sei ihr Haus teilweise einsturzgefährdet. Aber irgendwie musste die Fassade wieder angebracht und vor den Elementen geschützt werden. Für sich hat Ingrid Witkowski die Erlebnisse von damals aufgeschrieben: "Selbst wenn ich gewollt und die finanziellen Mittel gehabt hätte, wäre die Anbringung einer Dämmung nicht möglich gewesen, da der ganze Abbruch vor meinem Haus lag - ein Gerüst zu stellen wäre unmöglich gewesen."

Witkowski wohnt mit Tochter Daniela, Enkel Paul und ihrer Mutter in dem alten Gebäude. (Foto: Günther Reger)

In der ganzen Aufregung der ersten Woche nach dem Teilabriss erleidet Witkowskis Mutter einen Herzinfarkt. Es dauert, bis sie sich davon erholt.

Zwei Monate später schaltet die Maisacherin einen Anwalt ein. Einer der neuen Nachbarn habe über seine Bauherrenhaftpflicht einen Gutachter bestellt, der von dem Schaden schockiert gewesen sei. Später aber stellt sich heraus, dass die Versicherung nicht für die Wiederherstellung der Außenwand aufkommen wird. Ingrid Witkowski vermutet, dass es mit dem ungenehmigten Abbruch zu tun gehabt haben könnte. Sie sagt, sie habe es im Guten probiert, aber es sei zu keiner Einigung gekommen. Inzwischen ist sie im Rechtsstreit mit allen vier neuen Nachbarn.

Im Juli 2019 dann kommt es vor dem Landgericht München II zum Prozess mit dem von Witkowski geschilderten Ausgang, wonach die gegnerische Seite keine gütliche Einigung wünschte. Als danach doch die Hand ausgestreckt wird und ihr ein Angebot gemacht worden sei, habe sie reagiert. Sie solle ein Fünftel der Kosten tragen, die Gegenseite würde vier Fünftel übernehmen. Sie habe sich einverstanden erklärt und zwei Kostenvoranschläge für die Sanierung der Außenwand vorgelegt. Kostenpunkt zwischen 40 000 und 50 000 Euro. "Daraufhin erklärte der gegnerische Anwalt, dass nun doch keine gütliche Einigung gewünscht sei. Es kam auch kein Gegenangebot zu den Kostenvoranschlägen."

Bei der juristischen Auseinandersetzung aber ist es nicht geblieben. Es sind die Scharmützel der Gegenseite, die an Ingrid Witkowskis Nerven zehren. So werde in Zweifel gezogen, ob es für ihr Haus und die später gebaute Garage überhaupt eine Baugenehmigung gebe. Witkowskis wendet sich an Gemeinde und Kreisbauamt, denn Unterlagen über den vor 100 Jahren erfolgten Hausbau hat sie keine, nur für die genehmigten Umbauten. Es gelte Bestandsschutz, erfährt sie.

Das Haus ist rund 100 Jahre alt. (Foto: Günther Reger)

Was Ingrid Witkowski nicht mehr schlafen lässt, sind auch ihre Erfahrungen mit der bayerischen Justiz. So habe sie für einen gerichtlich bestellten Gutachter im März 2020 6600 Euro vorab an die Landesjustizkasse überweisen müssen. Gekommen ist der Gutachter aber erst am 15. April dieses Jahres. Bislang liege ihr auch diese Expertise nicht vor. Dafür habe sie das Gericht aufgefordert, weitere 5000 Euro für ein Gutachten zu bezahlen, "das bestätigt, dass der Regenablauf der Zufahrt der Nachbarn in Richtung meines Hauses fließt. Was zu allem Überfluss ja auch noch der Fall ist".

Sie hat sich verschuldet, um ihre an Demenz erkrankte Mutter zu pflegen und sich und ihrer Tochter Wohnraum im Elternhaus zu schaffen. Zuletzt hat sie sogar den Rat bekommen, das Haus zu verkaufen. Ingrid Witkowski aber weigert sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Noch.

© SZ vom 13.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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