SZ-Adventskalender:Die versteckte Armut

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Etwa tausend über 60-Jährige im Landkreis beziehen Leistungen aus der Grundsicherung im Alter. Die Zahl der Bedürftigen dürfte deutlich höher liegen. Doch viele schämen sich und wollen nicht, dass Angehörige unterhaltspflichtig werden. Die Seniorenfachberatung bietet ihnen Hilfe an

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Gerade diejenigen, die am ärmsten sind, melden sich nicht beim Sozialamt. Das sei das größte Problem mit der Altersarmut, erklärt der Brucker Sozialamtsleiter Dieter Müller. Momentan beziehen etwa tausend über 60-Jährige im Landkreis die Grundsicherung im Alter, Tendenz steigend. Allerdings, betont Müller, erfasse diese Zahl nur diejenigen, die sich in ihrer Not bereits ans Sozialamt gewendet haben. Wie hoch die Zahl derer ist, die eine solche Hilfe nicht annehmen wollen und jeden Monat mit einer winzigen Rente zurechtkommen müssen, darüber könne das Sozialamt keine Auskunft geben.

"Die Scham sitzt bei den Senioren oft sehr tief", sagt er. Dabei schwingen viele Faktoren mit. Einerseits sei das eine Generationensache. "Die Menschen, die jetzt älter als 60 Jahre sind, wurden anders erzogen", sagt Müller. Den Jüngeren falle es oft nicht so schwer, sich Unterstützung zu holen. Die Älteren würden oft jahrelang damit ringen, bevor sie zugeben, dass sie alleine nicht mehr zurechtkommen. Bei den über 80-Jährigen, weckt die Vorstellung, "auf's Amt" gehen zu müssen, Erinnerungen an Hunger und Not der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Und dann erleben Müller und seine Kollegin Kathi Probst, die im Landratsamt für die Seniorenfachberatung zuständig ist, immer wieder eines: Die Senioren haben Angst, dass ihre Kinder unterhaltspflichtig werden, wenn sie die Grundsicherung beantragen und dass diese dadurch selbst in Not geraten.

Auch im reichen Landkreis Fürstenfeldbruck lässt sich der Alltag für viele alte Menschen mit Minirenten kaum finanzieren. (Foto: Catherina Hess)

Das sei eine Sorge, die man den Senioren in den meisten Fällen nehmen könne. Für diejenigen, die Grundsicherung beziehen, sei das zumindest dann der Fall, wenn ihre Kinder weniger als 100 000 Euro im Jahr verdienen. Das gelte wohlgemerkt für die Grundsicherung. Werden andere Leistungen bezogen, wie Sozialhilfe oder Hilfe zur Pflege, liegen die Grenzen anders. Und sollte sich herausstellen, dass die Angehörigen unterhaltspflichtig wären, könne man immer noch von einem bereits eingereichten Antrag zurücktreten.

Sowohl die Zahl der Fälle als auch die Ausgaben des Bundes, die über die Sozialämter ausgegeben werden, nehmen zu. Waren es 2014 noch 3, 5 Milliarden Euro , sind es heute schon 3,7 Milliarden, die der Bund an deutsche Rentner ausbezahlt. Müller und Probst plädieren eindringlich an Rentner, die das Gefühl haben, mit ihrem Geld nicht zurecht zu kommen, sich frühzeitig an die Beratungsstellen zu wenden. Die Seniorenfachberatung etwa sei ein kostenloses Angebot, die Beratung ist unverbindlich. Und wenn das Sozialamt als Ansprechpartner nicht ausreicht, stellt Probst auch den Kontakt zu anderen Stellen her. Zudem listet ein Faltblatt Adressen und Ansprechpartner im Landkreis auf - von der Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung bis hin zur Suchtberatung. "Sucht und Schulden sind auch im Alter häufige Probleme", so Probst.

In der Seniorenfachberatung wird unter anderem geklärt, wer welche Leistung in Anspruch nehmen kann. Die Grundsicherung im Alter etwa wird nach individuellen Faktoren berechnet. Zum einen gilt der Regelsatz von 399 Euro, ab 1. Januar von 404 Euro. Dazu kommen die Unterkunftskosten im angemessenen Rahmen. Einer alleinstehenden Person stehen etwa 50 Quadratmeter zu und eine Kaltmiete von 440 bis 500 Euro, je nach Wohnort. "Wobei es einen Ermessensspielraum bei älteren Personen gibt", erklärt Müller. Lebt jemand schon lange in seiner Wohnung, darf er in der Regel dort bleiben, auch wenn die Miete etwas höher liegt. Gezahlt werden auch die Krankenversicherung und je nach persönlicher Situation ein Mehrbedarf, etwa, wenn jemand schwerbehindert ist.

Altersarmut betreffe übrigens überwiegend Alleinstehende und zu einem hohen Prozentsatz Frauen. Der Grund dafür sei, dass Frauen häufig nur wenige Stunden gearbeitet hätten oder zum Teil auch nicht versichert waren. Auch Scheidungen kommen heute im Alter öfter vor als noch vor 30 Jahren. Die Frauen stehen dann mit relativ wenig Unterhalt alleine da. Viele wüssten auch nicht, dass ihnen die Mütterrente zusteht. Und öfter als früher holen sich Rentner Rat aus dem Internet. Die dort verbreiteten Informationen stehen dann im Widerspruch zueinander, sind teilweise sogar falsch und verunsichern zusätzlich.

"Jeder Einzelfall wird bei uns sehr genau geprüft, und auf dieser Basis wird eine Entscheidung getroffen", erklärt Müller. Weil die Leistungen individuell berechnet werden und je nach Lebensumständen auch andere Hilfen beantragt werden können oder müssen, sei die Beratung in der Seniorenfachhilfe empfehlenswert. Angst haben muss niemand. "Lieber einmal zu viel gefragt als zu wenig", betont Müller.

Die Seniorenfachberatung wird seit vielen Jahren auch vom SZ-Adventskalender unterstützt. Die Spenden werden für konkrete Einzelfallhilfen verwendet. Kathi Probst führt über jede Zahlung ganz genau Buch. Auf ihrer Liste tauchen immer wieder Posten wie Zuzahlung zu einem Medikament oder zu einer Brille auf oder die Reparatur eines Fahrrads. Eine kleine Unterstützung erhielt auch ein älterer Herr, dessen Frau wegen ihrer Krankheit in einer Pflegeeinrichtung lebt. "Er konnte die Fahrtkosten nicht bezahlen, um seine Frau zu besuchen", sagt Probst. Eigentlich darf das Sozialamt selbst aus Bundesmitteln keine Zuzahlungen und Einzelfallhilfen dieser Art leisten. "Die Leistungsempfänger dürfen nicht bessergestellt sein als andere Bürger. So dürfen wir etwa bei Medikamenten keine Zuzahlung leisten, wenn die Kosten nicht von der Krankenkasse übernommen werden", erklärt Müller. Die Unterstützung durch den SZ-Adventskalender ist für die Seniorenberatungsstelle deshalb besonders wichtig.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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