Flüchtlinge:Gestrandet am Pucher Meer

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Florian Schlämmer, Sprecher der Regierung von Oberbayern, informiert die Flüchtlinge am Pucher Meer. (Foto: Günther Reger)

Odyssee von 180 Asylbewerbern: Weil die Erstaufnahmestelle auf dem Fürstenfeldbrucker Fliegerhorst noch nicht fertig ist, werden die Flüchtlinge zum Erholungsgelände im Norden der Stadt gebracht. Nach mehr als fünf Stunden können sie dann doch noch einziehen.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

180 Asylbewerber sind am Donnerstag in Bruck eingetroffen. Weil ein Zaun nicht den militärischen Sicherheitsvorschriften entsprach und die Betten in den eilig hergerichteten Räumen des früheren Unteroffiziersheims noch nicht aufgestellt waren, wurden die Busse am Mittag zunächst zum Pucher Meer umgeleitet. Erst am frühen Abend konnten die Flüchtlinge ihr Quartier beziehen.

Es ist diese Ungewissheit. Keiner weiß Bescheid. Nicht die Busfahrer, nicht die Polizei, nicht die Leute von der Regierung von Oberbayern. Und vor allem auch nicht die vielen Frauen, Männer und Kinder, die mit Sack und Pack von der Bayernkaserne in München und einem Landschulheim in Münsing am Starnberger See auf die Reise geschickt worden sind. Nur eins ist um kurz nach 11 Uhr klar: Die Busse dürfen die Hauptpforte des Fliegerhorsts nicht passieren. Kasernenkommandant Oliver Kemmerzell und der Brucker Polizeichef Walter Müller beratschlagen. Klar ist zu diesem Zeitpunkt, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) den Abschnitt, auf dem ein nachgebesserter Bauzaun aufgestellt wurde, nicht abnimmt. Und der MAD hat da das letzte Wort. Durch den Zaun wird das neue Erstaufnahmelager an der südlichen Grenze des Fliegerhorsts vom Rest des militärischen Bereichs abtrennt - und auch vom Rest des 4000 Quadratmeter großen Gebäudetrakts, der in den nächsten Tagen und Wochen noch saniert wird, um Flüchtlinge aufzunehmen. Schritt für Schritt sollen bis zu 600 Menschen in 150 Stuben untergebracht werden. Die drei Gemeinschaftssäle mit den eng gestellten Stockbetten werden dann zu Aufenthaltsräumen - so ist der Plan.

Gegen Mittag geleitet ein Streifenwagen drei Busse mit Flüchtlingen zum Parkplatz am Erholungsgebiet im Norden der Stadt. Sie sind buchstäblich gestrandet am Pucher Meer. Das schöne Wetter, das herbstlich strahlende Laub und der idyllische See können nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele verunsichert sind. Sie wissen nicht, in welcher Stadt sie hier gelandet sind, stehen in Grüppchen um die Busse herum oder gehen über die Liegewiese zum Ufer. Nach einer Stunde kommen Mitarbeiter der Stadt und sperren die Toiletten auf. Ein Taxi bringt einen weiteren Asylbewerber, der in einem Krankenhaus in Gauting behandelt worden ist und die offenbar überstürzte Abfahrt der Busse verpasst hat. In der aktuellen Notlage laufe nicht alles nach Plan, räumt später Florian Schlämmer, der Sprecher der Regierung von Oberbayern, ein. Er war selbst von der Abfahrt der Busse überrascht worden und trifft verspätet in Bruck ein.

Am Pucher Meer ist die Stimmung zunächst ruhig. "Wir wurden bisher immer gut behandelt", sagt der 22 Jahre alte Paul Owusu aus Ghana. Aber niemand habe ihnen gesagt, wo es hingehe. Raymond Zamuni Elombola, der 21-jährige Mann aus dem Kongo, nickt. Er ist seit dem 18. September in Deutschland. Von Misshandlungen durch Sicherheitsleute, wie sie in Nordrhein-Westfalen vorgekommen sind, haben die Flüchtlinge nichts gehört. Das Personal hier habe sie immer gut behandelt. Wenig später treffen sieben Sicherheitsleute auf dem Parkplatz ein. Der eine oder andere von ihnen sieht nicht unbedingt vertrauenserweckend aus - massige Gestalt, kahl geschorener Kopf, Vollbart. Aber alle verhalten sich freundlich und respektvoll.

Flüchtlinge in Fürstenfeldbruck
:Eingepfercht am Fliegerhorst

Die Reise war hart, mit Verspätung erreichen die Flüchtlinge ihr Ziel: den Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck. Dort sind die Vorbereitungen noch gar nicht abgeschlossen - die Neuankömmlinge müssen auf engstem Raum zusammen leben.

Drei Mitarbeiterinnen der Caritas kommen, um sich ein Bild zu machen. Bereits am Montag soll die Sozialbetreuung beginnen, es werden Abstimmungsgespräche mit der Inneren Mission geführt.

Um den Streifenwagen hat sich eine dichte Menschentraube gebildet. Aber die Beamten wissen ja auch nicht, wann es weitergeht. Ein vierter Bus ist gekommen, doch wenig später fahren die leeren Busse wieder weg - sie sind im Schülertransport eingeteilt. "Wir kommen später wieder", sagt einer der griechischen Fahrer auf Englisch. Kinder und Frauen sitzen auf Koffern, Männer diskutieren und telefonieren. Wie geht es weiter? Keine Antwort. Florian Schlämmer, der sich zuvor einen Überblick über die Lage auf dem Fliegerhorst verschafft hat, trifft ein. Er versucht, die Menschen zu beruhigen. Ja, es werde noch am Nachmittag weitergehen. Schlämmer hat eine Engelsgeduld. Als er erklärt, dass die Flüchtlinge in drei großen Gemeinschaftssälen untergebracht werden, droht die Stimmung zu kippen. Manche Familien hatten in der Bayernkaserne schon ein eigenes Zimmer. Eine Zumutung?Muhamad Al-Katib winkt ab. Er kommt aus Syrien, hat eine Flucht im Boot übers Mittelmeer hinter sich. In seiner Heimat sterben die Menschen im Krieg. Deutschland gibt Sicherheit. Was bedeutet es da schon, ein paar Tage oder Wochen in einem großen Saal zu schlafen. Schwester, Bruder und Cousin sind beim Fluchtversuch am Vortag verunglückt. Ihr Boot kenterte, hundert Menschen kamen ums Leben. Gottlob wurden seine Verwandten gerettet. Al-Katib kann die Tränen nicht unterdrücken.

Gegen 14 Uhr bringt ein Cateringservice Essen und Wasser. Es gibt Hühnchen, Reis und Salat. Die Szenerie wirkt wie ein großes Picknick. Die Busse sind wieder da. Gegen 17 Uhr kommt die erlösende Nachricht: Der Fliegerhorst ist vorbereitet. Der provisorische Bauzaun wurde befestigt, vorerst patrouilliert dort ein Sicherheitsdienst.

Eine Familie, die sich wegen der Sache mit dem Gemeinschaftssaal nicht einsteigen will, wird von anderen Flüchtlingen überredet. Mitglieder der Bundeswehr-Feuerwehr schneiden eine Lücke in den südlichen Zaun, dann können die Busse passieren. Kemmerzell steht am Rand und ärgert sich über die Regierung von Oberbayern. Deren Vorbereitung sei "vorsichtig ausgedrückt suboptimal", die Anforderung an den Zaun seit Tagen bekannt. Drinnen können die Menschen die Räume beziehen. Wegen all der Aufregung bekommt ein korpulenter Mann Kreislaufprobleme und wird von den Maltesern ins Krankenhaus gebracht. Als abends Brucks Oberbürgermeister Klaus Pleil vorbeischaut, hat sich die Lage bereits wieder beruhigt.

© SZ vom 04.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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