Flucht:Kriegsflüchtlinge ohne Bleibe

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Die Gastfreundschaft für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ist groß. Doch wo sollen sie hin, wenn sie aus Privatunterkünften raus müssen? (Foto: Robert Michael/dpa)

Künftig will der Landkreis Fürstenfeldbruck Geflüchteten aus der Ukraine, die Privatunterkünfte verlassen müssen, keinen Übergangsplatz mehr bieten. Begründung: Er braucht die Plätze selbst, um Woche für Woche neue Zuwanderer unterzubringen.

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Die Flüchtlingssituation im Landkreis Fürstenfeldbruck ist angespannt. Für Dienstag ist die neuerliche Ankunft von 50 Geflüchteten angekündigt. Der Landkreis versucht seit Monaten, weitere Unterkünfte zu akquirieren - erfolglos. Nun übt er selbst Druck aus und will die Zahl der sogenannten Fehlbeleger in seinen Sammelunterkünften reduzieren, um Platz für Neuankömmlinge zu schaffen.

Derzeit duldet das Landratsamt 1016 Menschen in seinen Unterkünften, die als Fehlbeleger gelten, weil der Landkreis eigentlich nicht mehr für sie zuständig ist. Ein Großteil davon sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Sie waren nach Kriegsausbruch zu einem großen Teil von Privatleuten in deren Häusern oder Wohnungen aufgenommen worden. Müssen sie dort ausziehen und finden auf dem angespannten freien Wohnungsmarkt keine Bleibe, werden sie obdachlos.

Landrat Karmasin begründet die Entscheidung mit "unvermindertem Flüchtlingszustrom"

Solche Geflüchteten hatte der Landkreis übergangsweise auch in seiner dezentralen Erstanlaufstelle in der Emmy-Noether-Straße in Maisach untergebracht. Aber "angesichts des unverminderten Flüchtlingszustroms", wie es in einer aktuellen Pressemitteilung heißt, sieht das Landratsamt keine Möglichkeit mehr, diese Praxis aufrechtzuerhalten. "Wir brauchen zur Erfüllung unserer Pflichtaufgaben jeden Platz und können freiwillige Aufnahmen deshalb nicht mehr durchführen", kündigt Landrat Thomas Karmasin (CSU) an.

Dazu muss man wissen, dass es gemäß Asylbewerberleistungsgesetz Aufgabe der Landratsämter ist, Flüchtlingen, die als Asylbewerber nach Deutschland kommen, eine Unterkunft zu verschaffen. Doch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine fallen nicht unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Seit Juni vorigen Jahres ist einen Monat nach ihrer Ankunft in Deutschland das jeweilige Jobcenter dafür zuständig, ihnen finanzielle Leistungen der Grundsicherung auszuzahlen - ähnlich wie bei Langzeitarbeitslosen. Karmasin hatte, als die entsprechende Gesetzesänderung bekannt wurde, bereits auf mögliche Folgen hingewiesen: Das Jobcenter werde eine Wohnung zwar bezahlen, aber nicht suchen.

Um den Zustrom an Geflüchteten bewältigen zu können, musste das Landratsamt inzwischen auch Zelte aufstellen, auf unserem Foto in Maisach. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Claudia Baubkus bestätigt das. "Wohnungsvermittlung ist bis heute nicht unsere Aufgabe", sagt die Leiterin des Jobcenters Fürstenfeldbruck. Viele Geflüchtete aus der Ukraine seien allerdings gut vernetzt und würden bei der Wohnungssuche häufig Unterstützung auch von jenen Privatpersonen erhalten, von denen sie bislang aufgenommen wurden: Einige der "Vermieter" hätten sogar entsprechende Annoncen geschaltet.

Für obdachlose Flüchtlinge sind dann die Städte und Gemeinden zuständig

Nach Angaben des Landratsamtes leben im Landkreis derzeit um die tausend Ukrainerinnen und Ukrainer in Privatunterkünften. Müssen sie dort ausziehen und finden keine andere Wohnung, müssen jene Städte und Gemeinden sich um ihre Unterbringung kümmern, in denen sie zuletzt gewohnt haben. Ob nun auch Asylbewerber, die bereits anerkannt sind, aber keine Wohnung finden, vorübergehend in den Sammelunterkünften bleiben dürfen, ist unklar. Wie es mit ihnen auf Dauer weitergehe, sei noch nicht entschieden, heißt es aus dem Landratsamt.

In der Gemeinde Maisach leben aktuell 33 Ukrainerinnen und Ukrainer in Privatunterkünften. Müsste er welche davon in der gemeindlichen Obdachlosenunterkunft unterbringen, könne das vor allem in den Herbst- und Wintermonaten problematisch werden, weil in dieser Jahreszeit regelmäßig mehr Obdachlose ein Dach über dem Kopf benötigten, sagt Maisachs Bürgermeister Hans Seidl (CSU). Auch Olchings Bürgermeister Andreas Magg (SPD) zufolge ist für seine Stadt derzeit "nicht abschätzbar, wie viele da auf uns zukommen würden".

Schon länger weisen Landkreise und kommunale Spitzenverbände wie der Bayerische Landkreistag, dessen Vorsitzender Karmasin ist, in ganz Deutschland darauf hin, dass die kommunale Ebene bei der Aufnahme von Geflüchteten an der Belastungsgrenze angekommen sei. Die für Dienstag angekündigten 50 weiteren Flüchtlinge sollen vorerst in der Emmy-Noether-Straße in Maisach untergebracht und von dort im Landkreis verteilt werden.

An der Emmy-Noether-Straße stehen dafür eine Containeranlage und ein Zelt bereit, das der Landkreis kürzlich aufstellen ließ und das jetzt erste Anlaufstelle für geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer ist. Insgesamt verfügen Container und Zelt an der Emmy-Noether-Straße über 210 Plätze. Im Zelt leben derzeit 26 Menschen, für die die neue Regelung jedoch nicht gilt, weil sie vorher nicht in privaten Unterkünften untergebracht waren.

Auch die einzelnen Kommunen sehen sich an der Belastungsgrenze

Maisachs Bürgermeister Seidl zufolge ist der Landkreis "bisher sehr loyal" gewesen, was den Umgang mit Fehlbelegern in Kreisunterkünften angeht. Er könne die jüngste Entscheidung des Landkreises "wegen der drängenden Situation" aber schon auch nachvollziehen, sagt Seidl, und auch sein Olchinger Amtskollege Andreas Magg weiß, dass "der Landrat hier Bundesrecht umsetzt". Dennoch erinnert Magg auch daran, dass die Städte und Gemeinden den Landkreis bislang "massiv unterstützt" hätten bei der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten. Seidl warnt davor, sich "für die Problemlösung jetzt gegenseitig Erschwernisse zuzuschieben".

Doch Seidl positionierte sich unlängst selbst und schickte einen offenen Brief an den Landrat, in dem er mitteilte, keine weiteren Flüchtlinge mehr in seiner Gemeinde aufnehmen zu können, um die Integration nicht zu gefährden. "Wir verweigern uns nicht", sagt Seidl der SZ, "aber es geht einfach nicht". Schließlich müsse auch die Integration all der Menschen gelingen. Auch lasse die Thematik "Teile der Bevölkerung nicht mehr unberührt".

In Mammendorf musste sich Landrat Karmasin vergangene Woche bei der Bürgerversammlung mehr als eine Stunde lang kritische Fragen gefallen lassen. In Mammendorf sollen zwei Zelte für Geflüchtete aufgestellt werden sowie eine Containeranlage. Auch Magg sorgt sich um die Stimmung, schließlich habe man doch bisher für Unterstützung aus der Zivilgesellschaft geworben.

Wie wird es also weitergehen? Man müsse der Tatsache ins Auge sehen, "dass das keine punktuelle Erscheinung bleiben wird", ist sich Hans Seidl sicher: "Wirtschafts-, Armuts- oder Klimaflucht werden uns auf Jahrzehnte begleiten und zu einer dauerhaften Aufgabe werden."

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