Familienzusammenführung:Ende eines Albtraums

Lesezeit: 4 min

Gleich nach ihrer Ankunft in Mammendorf hat sich Ifrah Mohamed einen Schulplatz gesucht. Zusätzlich dazu bekommt sie dreimal pro Woche Nachhilfe von einer älteren Frau aus dem Ort. (Foto: Günther Reger)

Vor vier Jahren flieht Ifrah Mohamed vor der Al-Shabaab-Miliz aus Somalia. Weil sie es mit ihren drei Kindern niemals über die Grenze schaffen würde, muss sie sie zurücklassen. In Mammendorf kämpfen die Asylhelfer für die Zusammenführung der Familie Nun ist es soweit

Von Florian J. Haamann, Mammendorf

An diesem Samstag geht für Ifrah Mohamed ein Albtraum zu Ende. Einer, der vor etwa zehn Jahren begonnen hat; 6000 Kilometer entfernt vom beschaulichen Mammendorf, wo nun alles wieder gut werden kann. Denn nach vier Jahren der Trennung darf sie endlich wieder ihre drei Kinder in den Armen halten. Möglich ist dieser Moment nur, weil unzählige Menschen die junge Frau unterstützt haben, vom Mammendorfer Helferkreis bis hin zum Bundesentwicklungsminister Gerd Müller.

Die erschütternde Geschichte von Mohamed kann Roswitha Reiser erzählen. Sie kümmert sich als Asylhelferin seit zwei Jahren um Ifrah, ist wohl ihre wichtigste Bezugsperson. "Wir haben schnell eine enge und herzliche Beziehung aufgebaut, und dann hat sie mir erzählt, dass sie nicht schlafen kann und immer weinen muss, weil sie drei Kinder hat, die sie in ihrem Heimatland Somalia zurücklassen musste. Das war für uns der Startschuss. Wir wollten alles dafür unternehmen, die Kinder da raus zu bringen und die Familie zusammenzuführen. Das war im Mai vor zwei Jahren", sagt Reiser.

Aber warum musste Mohamed ihre Kinder zurücklassen? Nun erzählt Reiser den Anfang vom Albtraum der jungen Frau. Mit 15 Jahren wurde sie mit einem etwa 60 Jahre älteren Mitglied der Al-Shabaab-Miliz verheiratet, wurde brutal misshandelt. Nach dessen Tod wollte sie mit den Kindern flüchten. Deshalb habe der Clan des Ex-Mannes ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt und sie zum Tod durch Steinigung verurteilt. Bis in die Hauptstadt Mogadischu ist sie mit den Kindern gekommen, hat dort ihren heutigen Mann kennen gelernt, mit ihm einen Unterschlupf gefunden. Doch die Familie wird an die Miliz verraten, die Zeit drängt. Weil sie mit den Kindern niemals über die Grenze gekommen wäre, trifft Ifrah die wohl schwerste Entscheidung ihres Lebens: Sie versteckt die Kinder bei den Eltern ihres neues Partners und macht sich auf den Weg. Die Flucht gelingt, nach mehr als zwei Jahren kommen die beiden in Deutschland an, werden nach Mammendorf gebracht.

Dort nun beginnt der Kampf, den Reiser gemeinsam mit einer Schar von Helfern für Mohamed führt. "Wir haben am Anfang gar nicht gewusst, was da alles auf uns zukommt, auch emotional. Immer wenn wir zwei Schritte nach vorne gemacht haben, haben wir uns gefreut. Aber meistens sind wir dann direkt wieder drei nach hinten gefallen. Es gab Momente, in denen haben wir gedacht, wir schaffen das nicht." Irgendwann hat sie dem Grafrather Pfarrer Christian Dittmar von der Geschichte erzählt. Der hat sich direkt an einen alten Kollegen erinnert: Johannes Löffler, Pfarrer in Nairobi, der Hauptstadt des an Somalia grenzenden Kenia. Er habe sich vor Ort in der Botschaft um viele Dinge gekümmert.

Doch eines Tages erhält Ifrah von der Mutter ihres neuen Mannes eine Horrornachricht: Der Clan des verstorbenen Mannes war bei ihr und hat eines der Kinder entführt. "Wir waren am Boden zerstört. Wir hatten das Gefühl, nun ist alles verloren", sagt Reiser. Doch dann entscheidet sich die alte Frau in Somalia zu einem geradezu waghalsigen Schritt, wie Reiser erzählt. "Sie hat sich auf den Weg gemacht, den Clan und das Kind gefunden. Und sie hat mit dem Clanältesten verhandelt. So lange, bis er nicht nur das verschleppte Kind freigegeben hat, sondern alle drei."

In Deutschland beginnen nun für Reiser und zwei Helferinnen, die namentlich nicht genannt werden wollen, die Verhandlungen mit der Botschaft und den Behörden. Ein zäher Prozess. "Damals habe ich ein Buch unseres Entwicklungsministers gelesen. In meiner Verzweiflung habe ich ihm eine Mail geschrieben." Und tatsächlich, Müller meldet sich bei ihr, sagt seine Hilfe zu. An diesem Punkt schaltet sich auch die CSU-Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler ein. "Ich habe von Frau Reiser einen Brief bekommen. Mir war klar, dass die Kinder Hilfe brauchen, damit sie wieder zu ihrer Mama dürfen. Wir reden immer ganz viel über Nächstenliebe. Ich finde bei Kindern, die ganz alleine sind, kann man zeigen, ob man das auch hat. Also haben wir versucht, alles zu tun, was in unseren Möglichkeiten liegt, beim Auswärtigen Amt nachgefragt, wo es hakt und was man tun kann, damit es weitergeht".

Stück für Stück geht es, trotz kleiner Rückschlage, von da an voran. Am vergangenen Montag bekommt Reiser die erlösende Nachricht: Die Visa sind genehmigt, können in der Botschaft von Nairobi abgeholt werden. Am Mittwoch ist es soweit, Pfarrer Löffler und die Kinder sind vor Ort. Doch weil an diesem Tag Terroristen einen Anschlag auf ein Luxushotel in Nairobi verüben, dürfen sie das Gelände der Botschaft nicht verlassen. Weil die Aufenthaltsgenehmigungen der Kinder abgelaufen sind, wird es noch einmal brenzlig. Löffler packt die Kinder und nimmt sie mit aufs Kirchengelände. Dort bleiben sie bis zum Abflug am Freitagabend.

In Mammendorf muss Reiser während dieser letzten, aufregenden Tage noch ein anderes Problem lösen: Das Haus, in das die Familie ziehen soll, ist noch nicht fertig renoviert, in der Unterkunft dürfen sie aber nicht zusammen sein. Also greift Reiser zum Telefon, wendet sich Hilfe suchend an den ehemaligen Zweiten Bürgermeister und Gemeinderat Erwin Wieser. Der hat in seinem Haus eine freie Wohnung, sagt sofort seine Hilfe zu. "Diese Leute tun mir Leid. Wenn ich helfen kann, dann tue ich das natürlich. Ich habe mich mein Leben lang ehrenamtlich engagiert", sagt der 79-Jährige. Es ist das letzte Puzzleteil, das noch gefehlt hat. Für Reiser eine Erlösung: "Ifrah ist so eine liebenswerte, taffe und fleißige Frau. Wir freuen uns alle wahnsinnig, dass wir sie endlich mit ihren Kindern zusammenbringen können."

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: