Prominenter Gastredner:Europa, Mieten, Klimawandel

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Vizekanzler Olaf Scholz streift bei seinem Wahlkampfauftritt in der Fürstenfeldbrucker Marthabräuhalle eine Reihe von aktuellen politischen Themen

Von Karl-Wilhelm Götte, Fürstenfeldbruck

Olaf Scholz kommt pünktlich. Flankiert von den lokalen SPD-Granden Philipp Haimerl und Peter Falk bleibt der Bundesfinanzminister und Vizekanzler an der Tür der Marthabräuhalle stehen, schaut in die Runde und lächelt. Vorne am Mikrofon unterbricht der Olchinger SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi seine Rede, als er gerade den aktuellen Niedriglohnsektor in Deutschland kritisiert, den die SPD 2005 mit Hartz IV während der Schröder/Fischer-Bundesregierung selbst installiert hat. "Mein Chef der Finanzminister kommt", sagt Schrodi fast ein wenig ehrfürchtig. Scholz schaut lächelnd in den Saal, der mit vielen SPD-Mitgliedern in den vorderen Reihen und insgesamt gut 100 Besuchern gefüllt ist. Freundlicher Beifall empfängt ihn. Die Stadtkapelle Fürstenfeldbruck hat den Einmarsch verpasst und holt den Defiliermarsch nach, als der SPD-Politiker Platz genommen hat.

Parteifreunde und Funktionsträger aus dem ganzen Landkreis sind am Samstagmittag gekommen. (Foto: Günther Reger)

Scholz ist per Auto aus Saarbrücken angereist und wird später wieder nach Berlin fahren. Zwei große dunkle Fahrzeuge mit Stuttgarter Kennzeichen parken unmittelbar vor der Halle. Davor hat sich ein Polizeiauto platziert. Schrodi setzt seine Rede noch kurz fort. Zuvor hat er die Brucker Stadtspitze heftig kritisiert: "Dass hier heute kein offizieller Vertreter der Stadt da ist, wenn der Vizekanzler kommt, ist ein Affront, ein Unding." Der 60-jährige Hamburger ist kein fesselnder Redner, das wissen die meisten Zuhörer aus dem Fernsehen. Sie erleben dann auch, dass Scholz kaum die Stimme hebt oder lauter wird. Manchmal setzt er Pausen, um neugierig zu machen, aber grundsätzlich bedient er sein Publikum in der bekannt ruhigen Diktion.

Frühschoppen mit dem Vizekanzler: Freundlicher Empfang und ein ebensolcher Applaus begleiten Olaf Scholz beim Besuchin Fürstenfeldbruck. (Foto: Günther Reger)

Olaf Scholz redet angesichts der Europawahlen in drei Wochen über den Stellenwert Deutschlands und Europas in der Welt, dessen "relative Bedeutung weiter abnehmen wird", so die Überzeugung des Finanzministers. Er erinnert daran, dass China schon "früher mal die Hälfte des Sozialprodukts" auf der Welt ausgemacht hat. Seine Bestandsaufnahme für Deutschland lautet: "Eigentlich stehen wir gut da, daraus kann man etwas machen." Der gelernte Fachanwalt für Arbeitsrecht erwähnt auch, dass das nicht für alle gilt, die wenig Rente erhalten, mit geringen Löhnen auskommen und steigende Mieten ertragen müssen. Sein Ziel: "Ich wünsche mir auch für die Verkäuferin und die Regaleinräumerin am Ende ein gelungenes Leben." Scholz kritisiert, dass viele Millionen Menschen hierzulande bei Vollzeitarbeit unter 2000 Euro verdienen. "Das Einkommen muss fürs Alter reichen", fordert der Finanzminister und ergänzt: "Unter zwölf Euro pro Stunde funktioniert es nicht."

Der Bundesfinanzminister und Merkel-Stellvertreter kam für einen Wahlkapmpfauftritt in die Marthabräuhalle. (Foto: Günther Reger)

Lange beschäftigt sich Scholz qua Amt mit der Grundsteuer, deren Reform das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat. "Senkt den Hebesatz entsprechend, dass es für Haus- und Wohnungsbesitzer nicht teurer wird", fordert er die Kommunen auf, ihre Stellschrauben nach Verabschiedung des Gesetzes neu zu justieren. Scholz streift auch den Klimawandel. "Da ist es in der Tat fünf vor Zwölf", bekräftigt er. "Da muss schnell etwas gemacht werden." Zwei Besucher hat das nicht überzeugt. Sie beklagen später beim Hinausgehen übereinstimmend: "Da haben mehrere SPD-Minister schon nichts gemacht." Die Vergangenheit holt die SPD bei so vielen Themen immer wieder ein - auch Olaf Scholz. Als Generalsekretär war er von 2002 bis 2004 ein Verfechter der Agenda-Politik von Kanzler Gerhard Schröder gewesen. Zur aktuellen Kapitalismus-Kritik des Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert sagt Scholz in Fürstenfeldbruck offenbar aus gutem Grund kein Wort. Hat doch der heutige Bundesfinanzminister als ehemaliger stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos dem damaligen extrem-linken Stamokap-Flügel der Jusos angehört und sich in Reden gleich mehrfach ausdrücklich für die "Überwindung der kapitalistischen Ökonomie" stark gemacht. In der Marthahalle beendet er seine Rede mit dem Satz: "Politik ist nicht dröge, den Pessimismus und die schlechte Laune überlassen wir der AfD." Dafür gibt es Beifall - von den SPD-Mitgliedern stehend.

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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