Covid-19:Gezeichnet von Corona

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Anästhesiepfleger Goran Simic infiziert sich im März 2020 im Klinikum Fürstenfeldbruck mit Sars-CoV-2 und muss um sein Leben kämpfen. Am Ostersonntag lässt er sich nun impfen - genau ein Jahr nachdem er aus dem künstlichen Koma erwacht ist

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Goran Simic ist stabil, jedenfalls wirkt er so. Als der gebürtige Kroate am Ostersonntag vor dem Fürstenfeldbrucker Impfzentrum steht, sticht er eigentlich nur wegen seiner zwei Meter aus dem Strom der Menschen heraus, die sich an diesem Feiertag gegen Corona impfen lassen. Er wirkt wie jemand, den nichts umhauen kann, wie man so sagt. Ein paar Minuten später, vor der obligatorischen medizinischen Aufklärung und der Injektion, ist dem 34 Jahre alten Fürstenfeldbrucker dann aber die Nervosität anzusehen. Er habe schon ein wenig Bammel, sagt er zu Matthias Skrzypczak, dem ärztlichen Leiter des Impfzentrums, der ihn begleitet. In dem Moment kommen offenbar all die Erinnerungen hoch an den Ostersonntag vor genau zwölf Monaten. Damals wachte er nach acht Tagen aus dem künstlichen Koma auf. Es ist ein Jahrestag, auf den Simic gut verzichten könnte. Seine Corona-Leidensgeschichte hat der Spiegel im Mai 2020 detailliert nachgezeichnet.

Am Sonntag im Impfzentrum ist Simic (ganz rechts) nervös, als er von Arzthelferin Isabella Sigl die Spritze erhält. Links: Matthias Skrzypczak, Chef des Impfzentrums, der vergangenes Jahr noch auf der Intensivstation gearbeitet hat und Simic deshalb gut kennt. (Foto: Stefan Salger/oh)

Simic, der fünf Jahre als Anästhesiepfleger im Kreisklinikum gearbeitet hat, ist ein alarmierender Fall. Ein Fall, der zeigt, dass Covid-19 mitnichten nur die alten oder gesundheitlich bereits angeschlagenen Menschen gefährdet. Simic war topfit, raucht nicht, joggt regelmäßig, hatte keine Vorerkrankungen - und war zeitweise doch dem Tod näher als dem Leben. Ein Fall, der zeigt, dass man sich nicht an Corona gewöhnen, sich auch in jungen Jahren vor einer Ansteckung schützen sollte.

Verkabelt und ruhiggestellt: Goran Simic im April 2020 auf der Intensivstation in Fürstenfeldbruck. (Foto: privat)

Und dass man wissen sollte, was einem die Impfung möglicherweise ersparen kann. Am 5. April 2020 wacht Simic aus dem künstlichen Koma auf. Nicht mehr in Fürstenfeldbruck, sondern im Klinikum Augsburg, das gerüstet ist für besonders aufwendige Intensivtherapien. Dort stehen auch die Maschinen zur Verfügung, die für Patienten mit akutem Lungenversagen die letzte Rettung sein können, weil sie das Blut außerhalb des Körpers in einem aufwendigen Verfahren reinigen und mit Sauerstoff anreichern. Simic gilt als Kandidat für die extrakorporale Membranoxygenierung, kurz Ecmo. Am Ende bleibt ihm die künstliche Lunge erspart, weil die Verabreichung von Rekonvaleszenzplasma Wirkung zeigt. Auch für die Ärzte ist diese Pandemie damals Neuland. Es gibt keine bewährte Therapie. Es ist eher improvisieren und ausprobieren.

Und es geht darum, erst einmal Zeit zu gewinnen. Angesteckt hatte sich Simic vermutlich in der dritten Märzwoche auf der Intensivstation in Fürstenfeldbruck bei einem mit Sars-CoV-2 infizierten alten Mann, der nach einem Rachenabstrich zunächst irrtümlich negativ getestet worden war und später der Krankheit erliegen wird. Als Kopfschmerzen und Muskelkater beginnen, begibt sich Simic vorsorglich selbst in Quarantäne, vermeidet zu Hause jeden Kontakt zu seiner Frau Ana und der damals sechs Monate alten Tochter Marta. Das positive Testergebnis nimmt er noch relativ gelassen auf. Als es immer schlimmer wird, erhält er starke Schmerzmittel. Am zehnten Tag nach der Ansteckung wird er auf die Covid-19-"Normalstation" im Erdgeschoss der Kreisklinik eingewiesen. Seine Blutwerte verschlechtern sich weiter, eine schwere Lungenentzündung wird diagnostiziert. Simic hat große Schwierigkeiten, bekommt kaum Luft. Letztlich landet er am nächsten Tag dort, wo man ihn gut kennt und wo er sich normalerweise um andere Patienten kümmert: auf der Intensivstation. Mit Hilfe eines Beatmungshelms, der aussieht wie eine Requisite aus einem Science Fiction, wird mit Überdruck versucht, den "Lufthunger" zu stillen. Doch es reicht nicht. Simic muss ins künstliche Koma versetzt sowie intubiert werden und erhält eine Magensonde. Die Lage ist sehr ernst, es droht ein Multiorganversagen (nur etwa jeder zweite Covid-Patient, der künstlich beatmet werden muss, überlebt). Es gibt aus dieser Zeit ein Foto, das "mein lieber Kollege, der Anästhesiearzt, gemacht hat, ich bin ihm sehr dankbar dafür". Das Foto bestätige ihn in dem Entschluss, sich nach reiflicher Abwägung impfen zu lassen. Zwei Wochen nach der Infektion wird Simic nach Augsburg verlegt. Auch dort ist er der jüngste Covid-Patient. Den Umschwung scheint dann das Rekonvaleszenzplasma zu bringen. Die Verabreichung ist auch in Augsburg eine Premiere. Die Substanz wird aus dem Blut Genesener gewonnen und enthält Antikörper. Viele Monate später wird Florian Weis, Leiter der Intensivmedizin in Fürstenfeldbruck, im Gespräch mit der SZ feststellen, dass Rekonvaleszenzplasma sich noch in der wissenschaftlichen Erprobung befinde und nach aktuellem Wissensstand statistisch eigentlich "keinen klaren Vorteil bezüglich der Sterblichkeit" bringe. "Kein Wundermittel" sei das, pflichtet Matthias Skrzypczak bei. Bei Goran Simic aber wirkt es augenscheinlich doch Wunder. Jedenfalls bessert sich sein Gesundheitszustand erst leicht und dann spürbar von Tag zu Tag. Gut einen Monat nach der Ansteckung wird der Patient entlassen, auch wenn er phasenweise noch mit starken Rückenschmerzen und Fieberschüben sowie einer Rippenfellentzündung zu kämpfen hat. 15 Kilo hat er während seines Martyriums abgenommen. Es folgt eine Reha in Ansbach. "Da ging es weiter aufwärts", so Simic. "Ich bin zufrieden, mir geht es relativ gut". Die acht Tage im Koma, die überstandene Lungenembolie - all das macht ihm bis heute bisweilen noch zu schaffen. Er hat trainiert, ist wieder muskulös geworden. Der linke Arm ist noch etwas dünner, wegen der Schädigung eines Nervs, die Folge eines Lagerungsschadens. "Aber das wird mich nicht aufhalten, es gibt Schlimmeres." Simic joggt wieder, auch wenn ihm irgendwann immer noch die Luft ausgeht und er stehen bleiben muss.

Bevor Matthias Skrzypczak die ärztliche Leitung des Impfzentrums übernommen hat, arbeitete er auf der Intensivstation. Er kennt Simic gut, kümmerte sich um dessen Familie. Und er weiß, dass so ein schwerer Krankheitsverlauf über die körperlichen Folgeschäden hinaus auch Spuren in der Seele hinterlassen kann. Und dass sich auch Familie und Arbeitskollegen einer solchen Belastung nicht entziehen können.

Letztlich überwiegt aber die Erleichterung, dass Goran Simic seinen Kampf ums Überleben gewonnen hat. Bis heute ist er der einzige Mitarbeiter des Klinikums, der auf der Intensivstation behandelt werden musste. Noch diese Woche soll es ein Wiedersehen mit den Eltern in Kroatien geben. "Wir sind durch die Hölle und zurück, deshalb brauchen wir auch den Urlaub bei der Familie." Im Juli wird er dann wieder im Klinikum Fürstenfeldbruck beginnen - nicht mehr auf der Intensivstation, sondern als Hygienefachkraft. Auch deshalb lässt er sich nun die eine Injektion, die für Menschen nach durchgestandener Covid-Krankheit empfohlen wird, verabreichen. Sie soll vor allem gegen die bereits stark verbreiteten Virus-Mutanten schützen. "Die Geschichte hat meiner Meinung nach ein sehr positives Ende", sagt Goran Simic.

© SZ vom 06.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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