Coronavirus:Den Tagen mehr Leben geben

Lesezeit: 3 min

Angela Maria Zander ist gesetzliche Betreuerin und Verfahrenspflegerin. Einen Teil ihrer Arbeitszeit verbringt sie am Schreibtisch. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Vielen alten Menschen seien persönliche Kontakte wichtiger als unbedingter Schutz, sagt die Betreuerin Angela Maria Zander

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Wie kann man Menschen in der Corona-Pandemie schützen, die sich nicht mehr selbst schützen können? Menschen in Alten- und Pflegeheimen sind darauf angewiesen, dass ihr Umfeld sich um sie kümmert. Doch wie kann dieser Schutz vor dem Corona-Virus aussehen? Wie streng muss er gegebenenfalls sein? Die Altenheime für Besucher schließen und die Bewohner bestmöglich abschotten? Aber tut man den alten Menschen damit überhaupt einen Gefallen?

Häufig würden die alten Menschen beklagen, dass sie selbst "kaum oder gar nicht dabei mitreden können, ob und in welchem Umfang sie überhaupt geschützt werden wollen", ist die Erfahrung von Angela Maria Zander. Sie arbeitet als gesetzliche Betreuerin und Verfahrenspflegerin. Leute wie Zander werden vom Amtsgericht eingesetzt. Sie nehmen die Rechte von Menschen wahr, die nicht oder nicht mehr für sich selbst entscheiden können, etwa bei psychischer oder geistiger Behinderung oder bei Menschen in fortgeschrittenem Alter, die niemanden haben, der sich um sich kümmert und die auch keine Vorsorgevollmacht erteilt haben. Sie sei dazu da, "die Rechte derer zu vertreten, die es selbst nicht mehr können", sagt Zander.

Das ist, wie so Vieles, in Zeiten der Corona-Pandemie schwieriger als sonst. Im Landkreis betreut Zander 47 betagte Menschen, die sich auf fast alle der insgesamt 15 Pflegeheime verteilen. Nun sollen, weil es zuletzt viele Todesfälle in Zusammenhang mit Corona vor allem unter der älteren Bevölkerung gegeben hat, für Alten- und Pflegeheime in Bayern strengere Corona-Auflagen gelten und Bewohner dort am Tag nur noch Besuch von einer Person empfangen dürfen. Die muss überdies einen negativen Corona-Test vorweisen und eine FFP2-Maske tragen.

Die meisten Menschen in den Heimen, sagt Angela Maria Zander, die wüssten sehr genau, dass "sie die letzte Station erreicht haben". Oftmals erwarte sie dort - obgleich sich die Pflegekräfte Mühe geben würden - ein Leben in Gleichförmigkeit und Einsamkeit. Zander ist sich deshalb sicher: "Keiner meiner Betreuten würde lieber isoliert werden und dafür vielleicht ein paar Monate länger leben, als auf die menschlichen Kontakte zu verzichten." Und sei es nur die Fußpflegerin oder der Windel-Lieferant. Um wie vieles willkommener muss ihnen ein Besucher aus dem Verwandtenkreis sein.

Zander sieht in dem grundsätzlich offeneren Umgang des Caritas-Altenheims Sankt Anton in Gröbenzell, das zuletzt weit mehr als andere Pflegeheime von Corona-Infektionen betroffen war, "einen guten und wohl reflektierten Weg", der der Devise gerecht werde, "den Tagen mehr Leben, nicht (unbedingt) dem Leben mehr Tage zu geben". Viele alte Menschen, die beispielsweise noch den Krieg erlebten und nun um die 90 Jahre alt seien, sagten ihr, ihnen sei es egal, ob sie ein paar Monate früher sterben würden. Wenn sie mit Maske zu ihnen komme, dann forderten die alten Menschen sie auf, diese doch abzulegen. Die Senioren möchten nicht abgeschirmt werden, sagt Zander. Stattdessen lieber ein wenig Kontakt und Freude haben. Aus verschiedenen Untersuchungen wisse man, dass Sterbende fast nie darunter leiden würden, nicht länger, sondern allenfalls, nicht wirklich gelebt zu haben.

Der Umgang der einzelnen Pflegeheime mit Corona war Zanders Beobachtungen zufolge bislang sehr unterschiedlich: Manche stellten am Eingang Desinfektionsmittel bereit und eine Liste, in die sich Besucher eintragen mussten, andere erlaubten Besuche nach Termin und wieder andere schotteten sich ab. Letzteres stelle freilich auch einen fundamentalen Eingriff in elementare Rechte wie etwa die gesundheitliche Versorgung durch Therapeuten dar, sagt Zander. Zugang erhalten in solchen Fällen nur Hausärzte und Notfallmediziner. Das Altenheim Sankt Anton mit seinem eher offenen Konzept hatte ihr dieser Tage mitgeteilt, dass eine Station zwar nun geschlossen sei, das aber Bewohner anderer Abteilungen sich mit Besuchern in der Cafeteria treffen dürften.

Es bleibt eine Gratwanderung. Angela Maria Zander macht ihren Job seit 22 Jahren. Seit vier Jahren ist sie im Landkreis, sie kommt ursprünglich aus Hamburg und hat die Erfahrung gemacht, dass der Fürsorgegedanke in ihrer neuen Heimat "oft arg dominant" sei. Für viele alte Menschen hätte die Lebensqualität hingegen eine höhere Bedeutung. Zander aber weiß auch, dass dies eine "ethisch ganz brisante Diskussion" ist und Entscheidungen für die Heimleitungen nicht einfach seien. Hinzu komme, dass die 15 Alten- und Pflegeheime im Landkreis fast alle unterschiedliche Träger haben. Sie hielte es deshalb für sinnvoller, wenn sich die Heime zusammentun würden, um ein einheitliches Konzept für den Umgang mit dem Corona-Virus auszuarbeiten.

© SZ vom 10.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: