Arbeiten in Corona-Zeiten, SZ-Serie, Folge 9:Dann eben Spuckschutz

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Damit Verkaufspersonal und Kassenkräfte geschützt sind, bauen Mitarbeiter der Maisacher Messebaufirma Rappenglitz individuelle Aufstellrahmen mit Plexiglasfüllung. Nur unten links ist ein Ausschnitt, damit Kunden die Ware bekommen und bezahlen können. (Foto: Rappenglitz Messebau/oh)

Messebau-Firmen sind seit der Absage von Veranstaltungen ohne Aufträge. Dafür bauen sie nun Sicherheitseinrichtungen für den Gesundheitsschutz

Von Erich C. Setzwein, Germering/Maisach

Die Roboter stehen jetzt still. Es wird nicht mehr gefräst, gebohrt und gesägt in der Fabrikationshalle von Ludwig Lindinger in Germering. Lindingers Betrieb, den er vor zwei Jahren im Gewerbegebiet an der Spange eröffnet hat und der so etwas ist wie die verlängerte Werkbank von Schreinerbetrieben, hat keine Aufträge mehr. Denn bestimmte Produkte, wie etwa für den Messebau, werden momentan nicht benötigt, die Branche, die von Ausstellungen und Veranstaltungen abhängig ist wie kaum eine andere, ist zum Stillstand gezwungen. Auch in der Messebaufirma Rappenglitz GmbH im Maisacher Ortsteil Gernlinden ist die Produktion nahezu heruntergefahren worden, nachdem unter anderem die Internationale Handwerksmesse und weitere Messen in München und Umgebung abgesagt worden waren. Von Veranstaltungsabsagen genauso getroffen wurde die VT Veranstaltungstechnik von Sebastian Trusheim.

Trusheim ist mit seiner Firma vor sechs Jahren in die Emmy-Noether-Straße ins Maisacher Gewerbegebiet gezogen. Der 44-Jährige, der die GmbH 1998 gründete, ist nach eigenen Angaben zu 90 Prozent auf den Messebau angewiesen. Dass es in diesem Jahr nicht so laufen würde, wie in den vorhergehenden, das sei schon im Februar zu erahnen gewesen. "Am 13. Februar gab es erste Hinweise", sagt der erfahrene Veranstalter. Als seine Firma eine Messe aufgebaut habe, sei vor der Eröffnung alles wieder abgebaut worden. Denn das Coronavirus war in Deutschland angekommen, die Krankheit Covid-19 fing sich an auszubreiten der Krisenstabs der bayerischen Staatsregierung empfahl dringend, Messen bis auf Weiteres abzusagen oder zu verschieben. Das galt auch für die Internationale Handwerksmesse München, die größte Messe ihrer Art in der Welt. Am 3. März dann verbot die Landeshauptstadt München die Ausrichtung ganz formell. Auch beim Maisacher Unternehmen Rappenglitz war man am 6. März noch euphorisch und berichtete: "So sieht eine Messehalle kurz vor dem Aufbau aus. Und da schnippt man einmal mit den Fingern und innerhalb von zwei Tagen entsteht hier eine komplette Welt. Auch uns fasziniert das noch immer jedes Mal!" Doch die "Internet World Expo 2020", auf der die beiden Maisacher Firmen aufbauten, wurde am 7. März abgesagt.

Die Plexiglasscheiben werden passend zugeschnitten. (Foto: Rappenglitz Messebau/oh)

Während diese Messe immerhin in den Herbst dieses Jahres verschoben wurde und damit den Messebauern sowie den Ausstellern noch ein wenig Umsatz winken könnte, ist das Geschäft auf der Handwerksmesse total ausgefallen. Doch die Kompetenz von Messebauern in "normalen" Zeiten wird auch in der Krise benötigt. In der Fertigungshalle in Gernlinden entstanden so in den vergangenen Wochen Trennscheiben aus Plexiglas für Supermarktkassen und Apotheken. "Spuckschutz", wie er genannt wird, wurde von Discountern wie von Arztpraxen praktisch von einem Tag auf den anderen angefordert. Allerdings sind die etwa 80 Mitarbeiter von Rappenglitz mit diesen Aufträgen nicht ausgelastet, Kurzarbeit ist auch dort das Mittel, mit dem die Firma hofft, über die Runden zu kommen und die Mitarbeiter halten zu können.

Bei Rappenglitz geht es aber nicht nur um die Belegschaft, derzeit läuft auch die Planung für den Neubau im Maisacher Gewerbegebiet an der Frauenstraße. Den Gemeinderat haben die Pläne unlängst passiert. "Wir wollen den Neubau wie geplant fortsetzen", sagt Firmensprecherin Lea Sophie Lex. Als Einzugstermin wird das zweite Quartal 2021 angepeilt.

Was den Messebauern und den in ihrem Umfeld Tätigen an Umsatz entgehen wird, ist noch nicht abzuschätzen. Der Fachverband Messen und Ausstellungen (Fama) jedenfalls geht für ganz Deutschland davon, dass die Messen mehr als 230 000 Arbeitsplätze sichern - pro Jahr. Und das sind nicht nur Angestellte, sondern auch viele Freiberufler, die in der Branche tätig sind. Den Beitrag der deutschen Messewirtschaft an der Gesamtwirtschaftsleistung beziffert der Fama auf jährlich rund 28 Milliarden Euro.

Auch Sebastian Trusheim beschäftigt viele Freiberufler, wenn Aufträge anstehen. In der Firma selbst seien derzeit fünf Mitarbeiter angestellt, die jetzt ohne Arbeit seien. Dafür bekommt nun der einzige Auszubildende noch mehr Aufmerksamkeit. Trusheim lässt den Lehrling die Abwicklung von Veranstaltungen und Konzerten üben. "Er darf Ton und Licht mischen", sagt der 44-Jährige. Trusheim sagt über seine Firma, dass sie 16 Monate durchhalten könne. Das dürfte für die Corona-Krise sicher reichen. Aber er macht sich Sorgen um die Kollegen in der Branche: "Es wird viele dahinraffen."

In Germering war Schreinermeister Ludwig Lindinger froh, als er hörte, dass er gleich zwei Gesellen gleichzeitig bekommen könnte. "Ich habe lange nach neuen Mitarbeitern gesucht", sagt der 39-Jährige. Doch in diesen Zeiten könne er kein Personal einstellen. In der Halle, in der die neuen Leute arbeiten sollten, steht alles still.

© SZ vom 03.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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