Auswanderung in der Zwischenkriegszeit:Von Nassenhausen in die argentinische Pampa

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Martin Hartl um 1928 in einer Werkstatt der Handwerkerschule der Mönche von Sankt Ottilien in Los Condores in Argentinien. (Foto: Jexhofmuseum)

Das Jexhofmuseum widmet dem abenteuerlustigen Schmied Martin Hartl eine kleine Sonderausstellung.

Von Peter Bierl, Schöngeising

Abenteuerlustig muss der junge Mann gewesen sein oder er hielt die Enge in dem kleinen Dorf nicht aus. Aus wirtschaftlichen Gründen musste Martin Hartl nicht auswandern. Er hätte den elterlichen Hof geerbt und war als gelernter Schmied und Mechaniker ein qualifizierter Facharbeiter. Dennoch ließ sich Hartl 1925 von den Versprechungen eines Paters verlocken, um in der argentinischen Pampa eine Siedlung aufzubauen. Das Jexhofmuseum erinnert jetzt in einer kleinen Sonderausstellung an sein bewegtes Leben zwischen den Welten.

Zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wanderten etwa 600 000 Deutsche in überseeische Länder aus. Die Hälfte der Migranten kam zeitweise aus Bayern.

Einer von ihnen war Hartl, 1894 als achtes von zehn Kindern geboren. Seine Eltern betrieben eine kleine Landwirtschaft mit Schlosserei und Wagnerei. Er absolvierte die Volksschule und die Sonntagsschule in Adelshofen sowie eine Lehre als Schmied und Mechaniker in Moorenweis. Anschließend ging Hartl auf Wanderschaft in Südbayern. 1914 musste er zum Militär und wurde an der West- und an der Ostfront eingesetzt.

Das erste behelfsmäßige Haus der Siedlung im Chaco 1925, im Vordergrund die Werkstatt von San Benito. (Foto: Jexhofmuseum)

In Nassenhausen und Umgebung warb der Benediktinerpater Paulus Sauter aus Sankt Ottilien mit blühenden Landschaften in Argentinien. Etliche junge Männer folgten ihm, darunter Hartl und vier andere aus Nassenhausen und Luttenwang. Ende April 1925 stachen sie von Hamburg aus in See, Hartl hatte sein ganzes Werkzeug dabei, verpackt in zwei großen Kisten. Über die Kanarischen Inseln, Madeira, Kapverden und Rio de Janeiro ging es nach Buenos Aires, wo das Schiff Mitte Mai anlegte. "Eine Seefahrt ist sehr schön, soweit nicht Sturm und Unwetter eine Rolle spielen", notierte Hartl in seinem Tagebuch. Von der argentinischen Hauptstadt reisten die insgesamt 25 Auswanderer weiter in den Gran Chaco, eine Gegend im Norden mit Trockenwäldern und Dornbuschsavannen.

Wie eine Wandzeitung: Fotos und Texte der Ausstellung sind an einem Fahrzeugschuppen angebracht. (Foto: Johannes Simon)

Der Pater hatte die Gegend im Jahr zuvor erkundet und Land gekauft, aber die Lage anscheinend völlig falsch eingeschätzt. Das Siedlungsprojekt scheiterte komplett, weil es an Trinkwasser fehlte, bei fünf Brunnenbohrungen stießen die Männer nur auf Salzwasser. Anfang Dezember 1925 verbrannte die Ernte aus Mais und Baumwolle, die zweite Aussaat vertilgten Heuschrecken. Die Siedler, die das Land hatten kaufen müssen, waren pleite. Einige kehrten nach Bayern zurück, anderen zogen nach El Dorado, einer deutschen Siedlung im äußersten Nordosten. Simon Eibl, ebenfalls aus Nassenhausen, ließ sich 1928 dort nieder und eröffnete mit seiner Frau ein Lokal.

Hartl fand eine Anstellung an der Handwerksschule eines Ablegers von Sankt Ottilien in Los Condores, allerdings mussten die Mönche das Projekt mangels Aufträgen nach drei Jahren aufgeben. Hartl machte sich selbständig, kaufte ein Haus und reiste durch das Land, wie aus seinen Tagebüchern hervorgeht. Er besuchte etwa die ehemalige Jesuiten-Reduktion San Ignacio Mini. Dort hatten die Patres im 17. und 18. Jahrhundert die indigene Bevölkerung christianisiert und zugleich vor europäischen Sklavenjägern und Großgrundbesitzern geschützt, bevor sie von den Kolonialmächten vertrieben wurden.

Aufnahme der Stadt Comodoro Rivadavia an der Atlantikküste, wo Erdöl gefördert wurde. Hartl arbeitete dort in der Gewerbeschule. (Foto: Jexhofmuseum)

1941 verpflichtete sich Hartl als Lehrer an der Gewerbeschule der staatlichen Erdöl- und Gasfirma in Comodoro Rivadavia, 1500 Kilometer weiter im Süden am Atlantik. Dort war 1907 Öl gefunden worden und der Ort entwickelte sich zur Industriestadt. Don Martin, wie Hartl genannt wurde, war einer von dreizehn Meistern und unterrichtete autogenes und elektrisches Schweißen. Offensichtlich gab es Streit mit Vorgesetzten, so dass er 1947 wieder nach Los Comodoro zurückkehrte.

Don Martin unterrichtet seine Schüler im Schweißen. (Foto: Jexhofmuseum)

Weil die argentinische Wirtschaft sich im Abstieg befand, ging Hartl 1954 zurück nach Nassenhausen. Die Dorfbewohner, die sich bei seiner Rückkehr versammelten, warnte er vor einer Auswanderung, im Ausland sei "alles abgedroschen".

Hartl wohnte und arbeitete anfangs bei seinem Bruder auf dem elterlichen Hof und später in der Schlosserei von Sankt Ottilien. Möglicherweise fand er sich nicht mehr mit dem Leben in Deutschland zurecht und das Klima empfand er als "furchtbar rauh". Anscheinend erwog er eine Heirat, wollte aber dann doch seine "Goldene Freiheit" behalten.

1957 reiste Hartl wieder nach Argentinien. Drei Jahre später kehrte er erneut nach Nassenhausen zurück, wo er bis zu seinem Tod 1966 blieb und Diavorträge über Südamerika hielt.

Fotos und Texte sind am Außenbereich des Jexhofes wie eine Wandzeitung am Fahrzeugschuppen angebracht. (Foto: Johannes Simon)

Die informative und spannende Ausstellung besteht aus Fotos und Texten, die im Außenbereich des Jexhofes wie eine Wandzeitung am Fahrzeugschuppen angebracht sind. Das macht den Besuch etwas mühsam, gerade bei sommerlichen Temperaturen.

Die Jexhof-Ausstellung "Von Nassenhausen nach Argentinien: Ein Schmied wandert aus", ist bis 10. September zu sehen.

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