Flüchtling in Moosburg:Suhaib hat jetzt eine bayerische Familie

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Die Familie Becker (von links) beim Kartenspielen: Cosima, Ricarda, Thomas, Roman und Suhaib. (Foto: Marco Einfeldt)

Anfangs gab es Reibereien und Probleme mit dem Mann-Frau-Verhältnis: Familie Becker hat einen jungen unbegleiteten Flüchtling bei sich aufgenommen. Jetzt herrscht Harmonie.

Von Alexandra Vettori, Wang

Suhaib, ein 17-jähriger Flüchtling aus Somalia, könnte viel erzählen, von dem, was er in den gut zwei Jahren seiner Flucht vor den Al-Schabaab-Milizen erlebt hat. Die haben seinen Vater getötet. Doch Suhaib erzählt nicht viel, er schaut, versucht, zu lernen, sich anzupassen und schenkt allen ein strahlendes Lächeln. Das ist in den vergangenen fünf Wochen noch strahlender geworden. Denn seither lebt er in einem eigenen, statt einem winzigen Dreibettzimmer, und er hat Menschen gefunden, die sich um ihn kümmern. Jetzt wohnt er bei Familie Becker in einem Weiler bei Moosburg. "Uns geht es gut, wir wollten etwas zurückgeben", begründet Thomas Becker die Aufnahme eines minderjährigen Flüchtlings in seine Familie.

Suhaibs Flucht begann, als er von Mogadischu mit dem Flugzeug nach Istanbul flog. Er erzählt von seinem weiteren Weg nach Griechenland und Mazedonien, von den Schlägen dort während der drei Monate im Gefängnis, wie es weiter ging, teils zu Fuß, teils im Schlauchboot, bis ihm in Italien ein Bahnticket nach München in die Hand gedrückt wurde. Die elf Monate, die er danach in der Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Hallbergmoos verbrachte, dürften den harmlosesten Teil seiner Erzählung ausmachen.

Das Jugendamt sucht dringend Pflegefamilien, die einen jungen Flüchtling aufnehmen

Thomas Becker, seine Frau Ricarda, die 16-jährige Tochter Cosima und der 13-jährige Roman haben es sich nicht leicht gemacht, als sie Suhaib von dort herausholten und in ihrer Familie aufnahmen. Doch nach den positiven Erfahrungen mit einer Sprachschülerin, die drei Monate bei ihnen lebte, haben sie sich getraut und an das Jugendamt Freising gewandt. Das sucht händeringend Privatleute, die einen jungen Flüchtling aufnehmen, fünf haben sich bisher gefunden. Für die Beckers folgten eine Prüfung zur Elternpflegschaft, ein Hausbesuch vom Jugendamt, Fragebögen, Gespräche, ein Führungszeugnis war nötig, ebenso ein Gesundheitsattest.

Sie habe sich auf die neue Erfahrung gefreut, betont Tochter Cosima, Bruder Roman war kritischer: "Ich fand es am Anfang ein bisschen komisch, aber jetzt ist es ganz gut." Nach dem ersten Probetag mit Suhaib war klar: Es passt. Dass es Reibereien und Missverständnisse gibt, verhehlt niemand. Sie habe vor allem mit dem Mann-Frau-Verhältnis Probleme gehabt, erzählt Ricarda Becker. Am Tisch habe sich der junge Somali stets nur mit ihrem Mann unterhalten, für ihn selbstverständlich und Ausdruck des Respekts, für sie befremdlich. Irgendwann haben sie das über die Sprachbarrieren hinweg thematisiert. Seither merkt sie, wie sich Suhaib bemüht, sie als Frau in Gespräche einzubinden.

Suhaib versteht nicht, warum die Familie kein Fleisch isst

Der Ramadan, den Suhaib als Muslim einhält, war die nächste Bewährungsprobe. Auf eigenen Wunsch nahm er am abendlichen Familientisch teil, ohne zu essen. Beim Fastenbrechen gegen 21.30 Uhr leistete ihm im Gegenzug ein Familienmitglied Gesellschaft, für die letzte Mahlzeit vor Sonnenaufgang gab es ein Lunch-Paket. Überhaupt das Essen. Familie Becker ernährt sich vegetarisch. Im Gespräch wird klar, dass Suhaib der Ansicht ist, die Ernährungsweise seiner Gastfamilie habe religiöse Gründe, sei eine Art Fastenzeit. Genauer erklären kann es ihm der Sprache wegen noch keiner. Zwar bemüht sich der junge Mann um Deutschkenntnisse, doch es reicht nur für das Alltägliche. Demnächst besucht er einen Deutschkurs an der Moosburger Volkshochschule und im Herbst erhält er einen Platz in einer Klasse für junge Flüchtlinge an der Berufsschule.

Jetzt aber kommt erst einmal ein Dolmetscher vorbei, es gilt Fragen der Behörde zu klären. Von den Ämtern fühle man sich gut betreut, betont Thomas Becker, obwohl alle überlastet seien. Diesem Umstand ist es wohl geschuldet, dass Suhaib elf Monate in Hallbergmoos war, ohne dass ein Asylantrag gestellt worden ist. Zuständig war anfangs das Jugendamt München, das die Einrichtung betreibt. Mittlerweile hat das Freisinger Jugendamt die Pflegschaft für Suhaib.

Wie lange Suhaib bleibt, weiß niemand

Das Problem in seinem Fall sei, erklärt Thomas Becker, dass seine Mutter zusammen mit ihren zwei Kleinkindern als Asylbewerberin in Augsburg lebt. Somit sei nicht klar, ob er jetzt als unbegleiteter Flüchtling gilt. Mittlerweile hat sie das Sorgerecht für Suhaib teilweise abgegeben, es könnte Bewegung in die Sache kommen. "Wir mutmaßen, dass es dafür kein Formular gibt", sagt Thomas Becker. Er wisse aber, dass der Aufenthaltsort der Mutter schon lange bekannt sei, aber nichts passierte, auch keine Zusammenführung. Wie der Fall weiter geht, weiß daher keiner. Darüber aber, betont, Ricarda Becker, seien sie sich im Klaren gewesen: "Wir wollen einfach als Sprungbrett dienen."

© SZ vom 15.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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